Hartz IV und die Folgen:Die Billig-Jobber kommen

Zeitarbeitsfirmen haben mehr Bewerber, Tankstellen finden einen Tankwart, Bauern schicken bald deutsche Staatsbürger zur Ernte - die Arbeitsmarktreformen wirken.

Von Thomas Hummel

Für alle, die in Deutschland Eigeninitiative fordern, Selbstverantwortung und Engagement, für all die ist Alfons Huber ein Musterbeispiel. Vor acht Jahren verlor er seine Stellung als Bauingenieur, heute ist er 60 Jahre alt und will sich trotzdem nicht aufgeben.

Hartz IV und die Folgen: Radieschenernte in Rheinland-Pfalz. Schon bald wieder mehr deutsche Staatsbürger auf dem Feld?

Radieschenernte in Rheinland-Pfalz. Schon bald wieder mehr deutsche Staatsbürger auf dem Feld?

(Foto: Foto: dpa)

Arbeitslosengeld II, Hartz IV - für Huber sind das Reizwörter, gleichbedeutend mit "doppelbödiger Politik", "Unverschämtheit" und "sozialer Ungerechtigkeit".

Einmal in Fahrt hört er gar nicht mehr auf zu reden, die Arme fuchteln hin und her, Huber ist in Rage. Gleichzeitig sagt er aber auch etwas, was die Schöpfer der Arbeitsmarktreformen gerne hören werden: "Ich starte noch einmal einen neuen Anlauf."

Schwierig genug

Huber will jetzt Arbeit finden in seiner Stadt Nürnberg, wo die Situation zwar längst nicht so verfahren ist wie in Ostdeutschland. Bei einer Arbeitslosenquote von 10,9 Prozent ist die Aufgabe allerdings schwierig genug.

Alfons Huber, der im wirklichen Leben ganz anders heißt, weil er wie alle anderen Arbeitsuchenden und Arbeitnehmer in diesem Text ihren Namen nicht in der Zeitung sehen wollen, dieser Mann hat nach 1996 schon einmal versucht, vom Staat nicht mehr abhängig zu sein.

Als Selbstständiger verkaufte er Versicherungspolicen, doch als das nach drei Jahren auch nicht mehr funktionierte, meldete er sich im Arbeitsamt. Heute bekommt er 800 Euro Arbeitslosenhilfe - von Januar an wären es 345 Euro Arbeitslosengeld (Alg) II plus Heizkosten. Da er in einer Eigentumswohnung lebt, fiele der Mietzuschuss weg.

Das wäre noch nicht das Schlimmste, sagt er, auch wenn er den künftigen Betrag als "existenzbedrohend" bezeichnet. Am meisten hat er jedoch Angst um seine Lebensversicherung, mit der er eigentlich für das in drei Jahren beginnende Rentenalter vorsorgen wollte und die durch Hartz IV nicht mehr vor dem Zugriff der Behörden geschützt ist.

Gar nicht erst beantragen

Also will er das Alg II erst gar nicht beantragen, will sich am 1. Januar wieder selbstständig machen, wieder als Bauingenieur, und wenn das nicht klappt, "dann muss ich etwas anderes finden, was tragbar ist". Altenpflege, Wohnungsrenovierung oder Hausmeisterdienst. Irgendwas, Hauptsache nicht noch weiter nach unten rutschen.

Die Zahl der Menschen mit der Einstellung eines Alfons Huber wird in diesen Tagen - wenige Monate vor dem Start von Hartz IV im Januar 2005 - offenbar größer. Es ist die Unsicherheit, die Angst vor der Zukunft, der drohende finanzielle Druck, der viele Arbeitslose aufschreckt und in die Offensive drängt, so oder so: Sie protestieren am Montagabend auf der Straße gegen die Reformen, oder sie bewerben sich für noch mehr Stellen und gehen dabei zunehmend mit ihren finanziellen und qualitativen Ansprüchen herunter.

Noch ist die Zahl nicht groß genug, um den starren Arbeitsmarkt in seinen Grundfesten zu erschüttern, doch in einigen Bereichen ist ein merkliches Rütteln zu spüren.

Helga Lorenz drückt das so aus: "Die Leute kommen endlich ins Tun." Sie betreibt in Nürnberg die größte Zeitarbeitsfirma und hat schwere Zeiten erlebt.

Synonym für "Chance"

Als Ende 2001 die Situation auf dem Arbeitsmarkt schwieriger wurde, musste sie Mitarbeiter entlassen, Löhne kürzen und auf Rücklagen zurückgreifen. Bei den Begriffen Arbeitslosengeld II und Hartz IV wird auch sie emotional, hört minutenlang nicht mehr auf zu reden. Doch bei ihr sind das Synonyme für "Chance", für "Bewegung", für "Aufschwung".

Um zehn Prozent hat das Geschäft der Lorenz-Zeitarbeit GmbH seit Frühling zugenommen, eine neue Abteilung für Technikberufe wurde gegründet. Die Zahlen der Bewerber steigen, vor allem im Niedriglohnbereich, und Helga Lorenz sieht vornehmlich einen Grund dafür: "Die Leute, die sich bei uns vorstellen, haben plötzlich eine ganz andere Einstellung."

Auch heute scheiterten Vermittlungen mitunter daran, weil Bewerbern eine Stelle im 20 Kilometer entfernten Erlangen zu weit weg ist, oder weil sie nicht von ihren Gehaltsvorstellungen abrücken. Doch das wird mehr und mehr die Ausnahme. Viele Antragsteller sind heute bereit, Umstände hinzunehmen, die sie früher nicht akzeptiert hätten.

Diese Entwicklung trifft auch Akademiker, hoch qualifizierte Menschen wie Laura Müller. Sie ist jung, 28 Jahre alt, hat ein sicheres Auftreten, eine Banklehre gemacht, ihr Jurastudium abgeschlossen und Fremdsprachen gelernt.

Da draußen wartet niemand

Man könnte meinen, ihr steht die Arbeitswelt offen, doch sie musste erkennen, dass niemand da draußen auf sie wartet. Ein paar Wochen nach dem Abschluss war sie arbeitslos, lief regelmäßig zu Nürnberger Jobbörsen und schrieb etwa 40 Bewerbungen. Doch es nutzte alles nichts, meistens bekam sie gar keine Antwort.

Über eine Zeitarbeitsfirma kam sie dann als Urlaubsvertretung in die Norisbank und hat es geschafft, demnächst fest übernommen zu werden. Als Assistentin in der zweiten Führungsebene, in einem Job, "für den normalerweise eine kaufmännische Ausbildung reicht", sagt Gabriele Bochmann, Leiterin der Personalberatung der Bank.

Warum Laura Müller das macht? "Von irgendwas muss ich ja leben", sagt sie. Das hat sich vermutlich auch der Diplom-Betriebswirt gedacht, der von 1. Oktober an im Call Center der Norisbank anfängt. "Ein Akademiker auf so einem Posten, das war vor ein paar Jahren noch undenkbar", sagt Bochmann.

Die Billig-Jobber kommen

Sie weiß um die gute Situation für den Arbeitgeber. "Wir können heute die Positionen so besetzen, wie wir uns das wünschen", sagt sie. Bewerber gebe es schließlich genug, für eine angebotene Stelle bekomme sie zwischen 50 und 200 Anfragen. Der Druck auf die Arbeitnehmer in puncto Qualifikation, Flexibilität und Lohn ist entsprechend hoch und wird beginnend bei Akademikern im sozialen Gefüge nach unten weitergegeben.

Etwa im Bereich der Hotels und Gaststätten. "Es ist viel leichter geworden, jemanden für Abend- und Wochenenddienste zu finden", sagt Werner Beringer, Kreisvorsitzender des Nürnberger Hotel- und Gaststättenverbands. Oder im Bereich der Aushilfsjobs.

So steht an der OMV-Tankstelle in der Triebstraße in München wieder ein Tankwart, der das Benzin einfüllt und höflich fragt, ob Öl und Wasser in Ordnung seien. Pächter Sebastian Köhler stellte für diesen Service eine zweite Aushilfe ein und hat damit bei den Kunden Erfolg. "Wir sind die einzige OMV-Tankstelle mit Steigerungsraten im Verkauf", sagt er.

Etliche Bewerber

Und trotz der wenig üppigen Bezahlung von acht Euro pro Stunde "stehen hier am Tag zwei, drei Bewerber für den Job". Nicht nur Schüler und Studenten, auch Arbeitslose oder Berufstätige, die einen Nebenverdienst suchen.

Das Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit in Bonn rechnet deshalb bereits mit bis zu 300.000 neuen Stellen im Niedriglohnbereich. Die vom Staat unterstützten Ein- bis Zwei-Euro-Jobs sollen ein ähnliches Resultat bringen und damit die Arbeitslosenzahl im kommenden Jahr weit unter vier Millionen bringen.

Und die Ausweitung der Leiharbeit auch durch Zeitarbeitsfirmen wurde von der Hartz-Kommission schon 2002 angestrebt, um den "flexiblen Kapitalismus" zu fördern.

Kritiker der Reformen sprechen dagegen von Zwangsarbeit und Abriss des Sozialstaats. Die Sprecherin der Arbeitsagentur in Nürnberg sieht zwar bisher keinen Ansturm auf die eigenen Beratungsstellen. "Es ist aber schon bemerkbar, dass sich der eine oder andere mehr bemüht."

Deutsche Staatsbürger bei der Ernte

Dieser Trend reicht, um auch bei den Landwirten die Hoffnung zu wecken, zur Ernte wieder deutsche Staatsbürger auf die Felder schicken zu können. "Es wird wirklich so kommen", glaubt Martin Wunderlich, Sozialreferent im Bayerischen Bauernverband. Er wirkt dabei fast selbst überrascht von seiner Aussage.

Seit 1991, als den Bauern erlaubt wurde, Osteuropäer als Saisonarbeiter einzustellen, arbeiten kaum mehr Einheimische auf den Äckern. Im Schnitt 5,50 Euro pro Stunde bekommen die etwa 280.000 Erntehelfer für ihre oft harte körperliche Arbeit. Mehr gibt der Markt trotz Subventionen nicht her, und das ist den heimischen Arbeitern offenbar zu wenig.

Teilweise suchen die Bauern "händeringend nach Leuten", sagt Wunderlich. Auch ganzjährige Tätigkeiten wie Stallbursche auf einem Reiterhof seien zu haben. Doch die Menschen würden sich einfach weigern, das zu tun, klagt er.

Von einer Umkehr in diesem Bereich kann allerdings noch keine Rede sein. Bis zum Knoblauchsland bei Nürnberg zum Beispiel ist der Trend noch nicht vorgedrungen. Da beobachtet Landwirt Gerhard Völkl seine Gastarbeiter aus Polen und Rumänien, die ihm wie immer zuverlässig das Gemüse ernten.

Im ganzen Knoblauchsland keine deutschen Helfer

Er erzählt die bekannte Geschichte, dass zwei Deutsche einmal bei ihm anfingen, ihnen aber die Arbeit zu hart war und sie bald wieder aufhörten. Im gesamten Knoblauchsland gebe es keine deutschen Helfer, sagt der örtliche Kreisobmann des Bauernverbands, und die Aussicht darauf, macht ihn skeptisch. "Unter Zwang würden Deutsche das wahrscheinlich schon machen, aber das würde auf Kosten der Leistung gehen", sagt Völkl.

Seine Gastarbeiter wollen hier arbeiten und strengen sich entsprechend an. Ob Alfons Huber einmal im Knoblauchsland die Gurken erntet, ist unwahrscheinlich, seine Gesundheit würde das vermutlich nicht zulassen.

Obwohl er die Kraft hat, noch einmal sein Schicksal selbst in Hand zu nehmen, ist er psychisch angegriffen. "Es geht mir manchmal sehr schlecht", sagt er. Ein Ventil sind für ihn die Montagsdemonstrationen, an denen er regelmäßig teilnimmt. Auch die neue Linkspartei will er wählen, wenn es sie irgendwann gibt. "Man muss sich doch wehren", sagt er.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: