Hartz IV:Kunst des Durchhaltens

Der Zusammenhang ist eindeutig: Menschen, die keine richtige Ausbildung haben, tun sich schwer im Arbeitsleben. Etwa jeder zweite Erwerbslose ist ohne Abschluss. Fast 1,1 Millionen Hartz-IV-Empfänger haben keinen Beruf erlernt.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Wer ohne Berufsausbildung einen Job suchen muss, hat es schwer. 2014 waren bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) im Jahresdurchschnitt mehr als 490 000 Stellen als offen gemeldet. Aber nur etwa jede Sechste kam überhaupt für ungelernte Jobsuchende in Frage. Um so wichtiger ist es, für Arbeitslose ohne Berufsausbildung sich weiterzubilden. Doch die Mittel dafür sind begrenzt, und mehr als jeder vierte Erwerbslose, der nachträglich noch einen Berufsabschluss erreichen will, bricht die Weiterbildungsmaßnahme wieder ab. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke hervor.

Etwa jeder zweite Erwerbslose ist ohne Berufsabschluss. Besonders hoch ist die Quote unter denjenigen, die auf die staatliche Grundsicherung angewiesen sind. Sie hat in den vergangenen Jahren sogar noch zugenommen. Fast 1,1 Millionen Hartz-IV-Empfänger haben keinen Beruf erlernt.

Trotzdem ist das Geld in den Jobcentern für eine Weiterbildung mit dem Ziel Berufsabschluss knapp. Nach den Zahlen des Bundesarbeitsministeriums sanken die dafür ausgegebenen Mittel von 853 Millionen im Jahr 2010 auf 575 Millionen Euro. Statt mehr als 30 000 Maßnahmen wurden im Hartz-IV-System nur noch 24 600 gefördert. Insgesamt unterstützte die Bundesagentur für Arbeit 2014 knapp 66 000 Maßnahmen, um Menschen zu einem Berufsabschluss zu verhelfen. Verglichen mit den Vorjahren ist dies sogar ein kleiner Anstieg. 2002 - damals war die Arbeitslosigkeit aber viel höher - kam die Behörde allerdings noch auf mehr als 150 000 dieser abschlussorientierten Maßnahmen.

Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken, wirft der Bundesregierung deshalb vor, "ein Weiterbildungsdesaster zu verantworten". Die Zahl der geförderten Berufsausbildungen sei viel zu gering. "Das kommt dabei heraus, wenn man in der Arbeitsmarktpolitik brutal kürzt", sagte die Linken-Abgeordnete. Sie weist auch darauf hin, dass die Bundesagentur für Arbeit bereits in 27 Berufsarten eine Mangel an Fachkräften festgestellt hat. Trotzdem werde die Zukunft von Langzeitarbeitslosen "weggespart". Die Linken fordern daher, die Mittel für solche Fördermaßnahmen zu erhöhen.

Es gibt allerdings noch ein weiteres Problem: Viele Arbeitslose schaffen es nicht, bis zur Prüfung und zum Abschluss durchzuhalten. 2014 wurden 11 550 derartige Maßnahmen abgebrochen. Die Abbruchquote hat damit in den vergangenen vier Jahren deutlich zugenommen. 2012 lag sie zum Beispiel bei 17,8 Prozent. Selbst eine Sprecherin der Bundesagentur sagt: "Die Abbruchquoten sind zu hoch." Hauptgründe dafür seien "Fehlzeiten der Teilnehmer und die Aufnahme einer Arbeit". Die BA plädiert deshalb für "Durchhalteprämien", um das Erlernen eines Berufsabschlusses finanziell attraktiver zu machen. Das Arbeitslosengeld fällt nämlich meist niedriger aus als der Lohn, der mit einem Helferjob drin ist. Und diesen Verdienst wollen sich viele lieber nicht entgehen lassen.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) fand heraus: Arbeitslose nennen am häufigsten "monetäre Aspekte als Grund, keine Weiterbildung aufzunehmen". Dahinter steckt eine zutiefst menschliche Verhaltensweise: Mit einer Berufsausbildung steigen die Chancen, in Zukunft deutlich mehr zu verdienen. Viele Menschen empfinden aber entgangene Gewinne als weniger nachteilig als direkte Verluste, selbst wenn die Effekte mathematisch identisch sind, schreiben die IAB-Forscher. "Dies gilt umso mehr, wenn die Gewinne in der Zukunft liegen und unsicher sind, während die Verluste kurzfristig eintreten und als relativ sicher eingeschätzt werden."

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