Hartz IV im Bundestag:Viele Schleifen, viel Papier - aber wenig Inhalt

Das Hartz-IV-Gesetz ist fast eine Attrappe. Wer zuerst das fundamentale Karlsruher Urteil und dann das mickrige Gesetz liest, könnte Depressionen kriegen.

Heribert Prantl

Ministerin von der Leyen und die Bundesregierung nehmen das Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts sehr genau - allerdings nur bei einer einzigen, einer allereinzigen Frage: beim Datum. Sie wollen auf Teufel komm raus die Frist einhalten, die das höchste Gericht gesetzt hat: 1. Januar 2011.

Bundestag

Verteidigte im Bundestag mit Verve die Erhöhung um fünf Euro: Ministerin von der Leyen.

(Foto: dapd)

So hat es das Gericht vor zehn Monaten gefordert; freilich nicht einfach so oder um den Gesetzgeber zu triezen, sondern um den Armen möglichst schnell ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewähren.

Das alte Hartz-IV-Gesetz war und ist nämlich, so die Richter, von Anfang an verfassungswidrig. Und dieser Zustand sollte so schnell wie möglich beendet werden. Es wäre nun ein bitterer Witz, wenn das alte, also das verfassungswidrige Hartz-IV-Gesetz vom 1. Januar 2005 nun nach sechs verfassungswidrigen Jahren am 1. Januar 2011 durch ein neues verfassungswidriges Gesetz abgelöst werden würde. Genau das aber ist zu befürchten.

Das Gesetz der Ursula von der Leyen sieht aus wie ein schön verpacktes Weihnachtsgeschenk: viele Schleifen, viel Papier - aber zu wenig Inhalt. Es ist fast eine Attrappe. Wer zuerst das fundamentale Karlsruher Urteil und dann das mickrige Gesetz liest, der könnte Depressionen kriegen.

Dieses Urteil verlangt von der Politik mehr Ernsthaftigkeit im Umgang mit den Armen dieser Gesellschaft und es fordert vom Gesetzgeber mehr legislative Sorgfalt. Es fehlt an beidem.

Die Regierungspolitik weigert sich, den Staat in die Aufgabe einzusetzen, die das höchste Gericht ihm zugewiesen hat: Er soll Schicksalskorrektor sein, er soll die Kinder fördern, so gut es nur irgend geht. Von der Leyen verspricht das, aber sie macht es nicht.

Bei der Expertenanhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales hat es Kritik nur so gehagelt. Die Bundesregierung hat das nicht gekümmert. Sie hat die fünf Euro (so viel sollen die Hartzer mehr bekommen) weiter in der Hand gedreht - und jetzt hat sie fünf Euro über den Tisch gerollt.

Fragwürdige Kinderregelsätze

An den neuen Kinderregelsätzen ist vieles fragwürdig: Das beginnt mit den diversen Verteilungsschlüsseln, mit denen aus dem Gesamtverbrauch einer Familie der Kinderverbrauch errechnet wurde; das setzt sich fort bei den Details von Schulbedarf und Bildungspaket.

Das Gesetz ist unzureichend und es ist miserabel formuliert. Die Behörden sollen es, wenn ihre Leute nach den Weihnachtstagen zurück sind, Knall auf Fall anwenden. Die überlasteten Sozialgerichte können sich auf noch mehr Lasten einstellen.

Das haben die Richter nicht gewollt; sie wollten Gründlichkeit und Sorgfalt. Sie haben dem Gesetzgeber zwar eine Frist gesetzt, aber zugleich gesagt, was passiert, wenn es doch länger dauert: Das zu spät erlassene Gesetz muss dann rückwirkend in Kraft gesetzt, dann muss nachgezahlt werden. Dem Gesetzgeber ist dringend anzuraten, sich Zeit zu lassen - um die verfassungsrechtlichen Fragwürdigkeiten zu bereinigen, die administrativen Unklarheiten auszuräumen und ein Rechtschaos zu verhindern.

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