Harter Sparkurs:Opel fährt auf den Abgrund zu

Ein Amerikaner entscheidet über 38.000 Arbeitsplätze in Deutschland. Der GM-Mann Stephen Girsky soll schon bald Erfolge bei Opel vermelden - und in erster Linie sparen. Doch in Rüsselsheim herrscht das seltsame Gefühl, dass nun alles möglich ist. Sogar das Ende.

Thomas Fromm und Klaus Ott

Schon seltsam, wie schnell sich die Dinge manchmal drehen. Es ist gerade mal ein paar Tage her, da war Karl-Friedrich Stracke noch Opel-Chef. Er stellte sich hin und sagte, die US-Konzernmutter General Motors (GM) sei "zu Recht ungeduldig mit uns". Man dürfe der Mutter "nicht länger auf der Tasche liegen". Am Tag danach war der Mann, der so um Verständnis für seinen Sanierungskurs warb, weg. Nach nur 15 Monaten.

Außerordentliche Betriebsversammlung bei Opel in Bochum

Auch für GM wäre ein radikales Ende keine Lösung. Den US-Konzern würde das wohl Milliarden Dollar kosten.

(Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Am Freitag ist das, was man bei Opel in Rüsselsheim spürt, mehr als nur Katerstimmung. Es ist das seltsame Gefühl, dass nun alles möglich ist, sogar das Ende. "Der Countdown läuft", sagt ein Arbeitnehmervertreter. Und der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer glaubt, dass nun die "knallharte Sanierung" komme: "Mitarbeiter werden rausgeschmissen, Werke geschlossen", so sein Szenario.

Was genau GM mit Opel vorhat, weiß keiner. Nur so viel steht fest: Der Autobauer fährt, wieder einmal, in Richtung Abgrund. Anders als in den vergangenen Jahren könnte es dieses Mal richtig ernst werden. Konzerninsider berichten, wie desolat die Lage bei Opel ist.

Der Firma, heißt es, könne im schlimmsten Fall das Geld ausgehen. Der von GM gewährte Finanzrahmen betrage zwei bis 2,5 Milliarden Euro. Entweder werde dieser Kreditrahmen ausgeweitet oder Opel sorge dafür, dass der Rahmen reiche. Kein Geld mehr, die Pleite - das wäre das ärgste Szenario für alle Beteiligten.

Beängstigende Perspektive für Arbeitnehmer

Die Jobs von 38.000 Leuten wären weg. Das will niemand. Auch für GM wäre ein radikales Ende keine Lösung. Den US-Konzern würde das wohl Milliarden Dollar kosten. Selbst der Pensionssicherungs-Verein (PSV) der deutschen Wirtschaft, der die betriebliche Altersversorgung von mehr als zehn Millionen Arbeitern und Rentnern im Falle von Insolvenzen schützt, wäre womöglich überfordert.

Opel pleite, das wäre ein Schock nicht nur für die Beschäftigten dort und deren Familien, nicht nur für GM. Opel pleite? Nein, das kann und darf nicht passieren.

GM greift nun direkt ein - auch wenn das für viele Beschäftigte eine "beängstigende Perspektive" sei, wie in Arbeitnehmerkreisen zu hören ist. Ex-Chef Stracke - der Mann, der noch vor wenigen Tagen sagte, er wolle den Amerikanern nicht auf der Tasche liegen - habe nicht überzeugt. Leute, die mit ihm zu tun hatten, beschreiben ihn als "guten Ingenieur". Was im Umkehrschluss heißt: Er ist kein guter Manager. Als Vorstandschef habe er versagt.

Die Zahlen sprechen für sich: Laut Kraftfahrt-Bundesamt sind die Neuzulassungen von Opel in Deutschland im ersten Halbjahr 2012 um 9,3 Prozent zurückgegangen. Immer weiter schrumpft der Marktanteil von Opel, immer höher werden die Verluste, die in Rüsselsheim von Quartal zu Quartal angehäuft werden.

Job-Garantien ohne Wert?

Eigentlich gibt es Garantien für Jobs und Werke bis 2016. Nur - was sind die jetzt noch wert? Jetzt, wo der als harter Hund berüchtigte GM-Vizeboss und Opel-Aufsichtsratsvorsitzende Stephen Girsky als Interimschef bei Opel die Regie führt? Erst Ende Juni hatte er ein Sanierungskonzept Strackes akzeptiert, das vorerst weniger auf Stellenstreichungen und Werksschließungen und stärker auf Investitionen und neue Modelle setzte. Jetzt fragen sich die Mitarbeiter: Wird das Bochumer Opel-Werk nun doch noch vor 2016 geschlossen? Fallen im großen Stil Jobs weg?

Opel Bochum

Ein GM-Mann, der direkt durchregiert - das kann nur klappen, wenn die Kommunikation stimmt, was zuletzt nicht der Fall war.

(Foto: dpa)

"Wir werden darauf achten, dass bestehende Zusagen und Verträge eingehalten werden", sagt der Bochumer Betriebsratschef Rainer Einenkel. Und IG-Metall-Chef Berthold Huber warnt im SZ-Interview: Es dürfe kein einziger Standort aufgegeben werden. "Wer Opel aufgeben wollte, muss wissen: Das wären die teuersten Werksschließungen, die ein Konzern jemals in Deutschland versucht hätte."

Was die Sache für die Opelaner gerade so schwierig macht, schildert jemand aus dem Arbeitnehmerlager: Demnach stehen sich bei der Opel-Mutter in Detroit zwei Fraktionen gegenüber. Eine hält die Europa-Tochter für ein Fass ohne Boden und würde am liebsten rasch das komplette Geschäft mit Astras und Corsas einstampfen; es sind diejenigen, die dem Druck der US-Börse und den Vertretern der US-Regierung im GM-Verwaltungsrat nachgeben wollen. Denn von New York aus ist Rüsselsheim weit weg, von Detroit aus noch weiter. Opel, die Euro-Krise, Griechenland - "aus deren Perspektive ist das inzwischen alles das Gleiche", sagt ein Insider.

Personal-Entscheidungen noch im Juli

Aber es gibt da noch die andere Fraktion bei GM, das sind die Pragmatiker. Diejenigen, die glauben, Opel sei wegen seines großen Entwicklungszentrums in Rüsselsheim und seines Know-how bei kleinen und mittelgroßen Wagen wichtig für die Mutter. Zu dieser Gruppe gehört Übergangsboss Girsky. Es sind diejenigen, die sagen, Opelaner müssten nicht unbedingt Opels bauen, um ihre Jobs zu erhalten. Es könnten auch andere Modelle aus dem großen GM-Imperium sein. Chevrolets etwa, deren Marktanteil in Europa gerade steigt.

Die Zeit drängt. Das Arbeitnehmer-Lager im Aufsichtsrat, der sich noch im Juli zu einer Sondersitzung treffen soll, will jetzt schnelle Personal-Entscheidungen. Zwar wird Opel-Strategiechef Thomas Sedran schon als kommender Opel-Chef gehandelt. Tatsächlich aber habe Sedran habe keine großen Chancen, Vorstandschef zu werden, sagen Insider. Allerdings habe GM derzeit auch nicht viele Kandidaten parat. Was bedeuten würde: Das Unternehmen müsste sich auf eine längere Übergangszeit mit dem Amerikaner Girsky einstellen.

Ein Amerikaner in Deutschland. Ein GM-Mann, der direkt durchregiert - das kann nur klappen, wenn die Kommunikation stimmt, was zuletzt nicht der Fall war. Das kann nur klappen, wenn Girsky dauerhaft vor Ort ist, in Rüsselsheim. Opel von der GM-Zentrale in Detroit aus steuern zu wollen, wäre ein verheerendes Signal, glaubt man bei Opel.

Was auch immer an Lösungen diskutiert wird, eine Variante scheidet mit Sicherheit aus: Dass Opel, wie schon vor drei Jahren geplant, abgegeben wird. Denn dass sich ein Käufer für die Firma fände, ist unrealistisch. Niemand wolle Opel in diesen Zeiten haben, sagen Insider. Nicht einmal geschenkt.

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