Welthandel:Mit Strafzöllen lässt sich kein Handels-Plus abbauen

Stahlproduktion

Viele Faktoren, die die Industrie belasten, kommen aus dem Ausland – so etwa der Brexit und die Zollkonflikte.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)
  • Schon unter Präsident Obama musste sich Angela Merkel für das deutsche Handels-Plus rechtfertigen.
  • Die Argumente der Kanzlerin sind aus amerikanischer Sicht mehr als dünn. Und US-Präsident Trump möchte nun mit Strafzöllen auf Stahl den Überschuss verringern.
  • Experten warnen allerdings, dass sich die USA ins eigene Fleisch schneiden könnten.

Von Claus Hulverscheidt

Angela Merkel hatte schwer zu kämpfen, denn der Druck des Kollegen aus Washington war enorm. Im Welthandel, so schimpfte der US-Präsident, gebe es eine massive Unwucht, weil "Länder wie Deutschland" mit ihren gewaltigen Exportüberschüssen dazu beitrügen, dass anderswo die Defizite in die Höhe schnellten. Solch einseitige Geschäfte zulasten der USA seien nicht länger hinnehmbar, die Bundesrepublik müsse sich verpflichten, eine strikte Obergrenze für ihr Ausfuhrplus einzuführen. Die Kanzlerin wehrte sich mit Händen und Füßen gegen die Forderung. Schließlich gab Barack Obama nach.

Die Klagen der USA über die deutsche Außenhandelspolitik, das zeigt diese Episode aus dem Jahr 2010, sind mitnichten neu und weder eine Erfindung des amtierenden Präsidenten Donald Trump noch ein Steckenpferd seiner republikanischen Partei. Im Gegenteil: Die Ansicht, dass Staaten wie Deutschland und China die Märkte mit ihren Waren fluten und die Weltwirtschaft so in eine gefährliche Schieflage gebracht haben, ist unter Oppositionspolitikern und demokratisch gesinnten Ökonomen in Washington mindestens genauso verbreitet. Je weiter nach rechts und links man blickt, desto schärfer werden die Attacken - bis zu jenem Punkt, an dem im jüngsten Präsidentschaftswahlkampf die wirtschaftsnationalistische und die eher sozialistische Agenda der Kandidaten Trump und Bernie Sanders miteinander verschmolzen.

Der Unterschied zwischen Obama und Sanders auf der einen und Trump auf der anderen Seite ist jedoch, dass der amtierende Präsident nicht viel von Diplomatie und internationalen Institutionen wie der Welthandelsorganisation (WTO) hält. Er setzt stattdessen auf eine Politik der Stärke und der Drohungen, vor der auch befreundete Staaten nicht gefeit sind. Sollte Merkel bei ihrem Treffen mit Trump an diesem Freitag keine konkreten Schritte benennen können, wie sich die Überschüsse im Warenverkehr mit den USA reduzieren lassen, könnte der Präsident schon in der kommenden Woche Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte aus Europa einführen. Lieferungen aus Staaten wie China werden bereits mit Einfuhrabgaben zwischen zehn und 25 Prozent belegt, für die EU gilt dagegen noch eine Ausnahmegenehmigung.

Merkels Problem ist, dass ihre Argumente aus amerikanischer Sicht mehr als dünn sind. Vereinfacht gesagt, verweist die Kanzlerin seit Jahren darauf, dass die Bundesrepublik jene schmerzhaften Strukturreformen bereits vollzogen hat, die andere Staaten seit vielen Jahren vor sich herschieben. Beispiele sind etwa die Hartz-Reformen am Arbeitsmarkt oder die weitgehende Abwicklung nicht zukunftsträchtiger Branchen wie der Kohleindustrie. Ergebnis ist laut Merkel, dass deutsche Waren heute nicht nur qualitativ, sondern auch preislich zu den attraktivsten der Welt gehören. Dafür dürfe niemand bestraft werden.

Dass Deutschland "ohne jeden Zweifel gute Produkte herstellt, die Ausländer kaufen wollen", bestreiten auch politisch unverdächtige Experten wie der einstige US-Notenbankchef Ben Bernanke nicht. Tatsache ist aber auch, dass der deutsche Exportüberschuss mit mehr als acht Prozent der Wirtschaftsleistung seit Jahren auf einem Niveau verharrt, das aus Sicht vieler Ökonomen nicht nachhaltig, ja schädlich, ist. Sogar die Bundesregierung selbst hat wiederholt internationale Vereinbarungen unterzeichnet, in denen geschrieben steht, dass es von sechs Prozent an kritisch wird.

Stahleinfuhren aus Deutschland machten keine zwei Milliarden Dollar aus

Bernanke sieht zwei Punkte, die deutsche Firmen von anderen Top-Herstellern unterscheiden. Zum einen, so schrieb er bereits 2014, spiegele der Euro die Wettbewerbskraft des ganzen Währungsraums wider, nicht aber die Position einzelner Mitgliedsländer: "Würde Deutschland immer noch die D-Mark verwenden, wäre diese wahrscheinlich sehr viel stärker, als es der Euro heute ist." Anders ausgedrückt: Deutsche Produkte sind auch deshalb so wettbewerbsfähig, weil sie in einer künstlich verbilligten Währung verkauft werden. Zum anderen trage auch die Bundesregierung mit ihrer Sparpolitik und den viel zu geringen Investitionen zu dem Ungleichgewicht bei. Beinahe wortgleich hatte sich erst am Wochenende US-Finanzminister Steven Mnuchin geäußert, nachdem er in Washington mit seinem deutschen Kollegen Olaf Scholz zusammengetroffen war.

Eine völlig andere Frage ist nun, ob sich das deutsche Handels-Plus gegenüber den USA mithilfe von Stahlzöllen spürbar abbauen ließe. Kurze Antwort: nein. Laut US-Wirtschaftsministerium importierten die Vereinigten Staaten 2017 Waren und Dienstleistungen im Wert von 153 Milliarden Dollar aus der Bundesrepublik. Dem standen Exporte von 85 Milliarden gegenüber, unter dem Strich blieb ein deutscher Überschuss von fast 68 Milliarden Dollar. Die Stahleinfuhren aus Deutschland machten aber keine zwei Milliarden Dollar aus.

Viele US-Experten warnen gar, dass sich die Amerikaner mit Zöllen auf europäische Stahllieferungen ins eigene Fleisch schneiden würden. Die US-Hersteller, die Trump durch die Einfuhrabgaben vor ausländischer Konkurrenz schützen will, beschäftigen heute nur noch 140 000 Arbeitnehmer, die stahl- und aluminiumverarbeitenden Branchen aber 6,5 Millionen. Dazu zählen die Auto- und die Flugzeugbauer, die Bierdosen- und die Bauindustrie und Dutzende andere. Sie alle müssten mit höheren Kosten rechnen, die manche Firma womöglich an anderer Stelle wieder hereinholen müsste, etwa durch Produktionsverlagerungen ins Ausland. Und noch ein gravierendes Problem gäbe es: Viele europäische Hersteller haben Stahlsorten entwickelt, die ihre amerikanischen Kunden nirgendwo sonst auf der Welt bestellen können, besonders feste etwa oder extrem dünne. Sie alle müssten also auch künftig in Europa einkaufen - allerdings erheblich teurer.

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