Hamburg:Kummernummer für Unternehmer

In Hamburg versucht die Firmenhilfe, Selbständige vor der Insolvenz zu retten. In diesem Jahr ist der Ansturm besonders groß.

Christiane Langrock-Kögel

Hier lässt sich nichts mehr retten, das weiß Annette Noll schon nach den ersten Sätzen ihres Anrufers. Er spricht das Wort Insolvenz selbst aus. Noll lässt ihn erzählen, ihr Bleistift kratzt über den Notizblock, sie murmelt "Mhhm", fragt ein paar Mal nach und sagt schließlich: "Suchen Sie sich einen Anwalt." Noll notiert die Anschrift des Gesprächspartners, um ihm ein paar Adressen zu schicken, die bei der Suche nach einem Juristen helfen. "Viel Glück!", sagt sie zum Abschied.

Hamburg: Ein Kummertelefon für Kleinunternehmer gibt es nur in der Hansestadt.

Ein Kummertelefon für Kleinunternehmer gibt es nur in der Hansestadt.

(Foto: Foto: Reuters)

Der Mann, der die Pleite fürchtet, hat die Telefonnummer der Hamburger Firmenhilfe gewählt. Dieses Kummertelefon für Kleinunternehmer in der Krise gibt es nur in der Hansestadt. Über 800 Unternehmer und Selbständige hat der Notdienst in den acht Jahren seines Bestehens beraten, angerufen haben zehnmal so viele Menschen. Finanziert wird der Dienst aus Mitteln der Wirtschaftsbehörde und des Europäischen Sozialfonds. Die Unternehmensberatung Evers & Jung mit ihrem Büro in der historischen Deichstraße hat dem Wirtschaftssenator das Projekt im Jahr 2001 vorgeschlagen.

Manchmal reicht schon ein wenig Beratung

Olaf Brockmeyer, bis vor kurzem Chef des Mittelstandsförderinstituts, leitet die Firmenhilfe bei Evers & Jung. Der Volkswirt sitzt während der Sprechzeiten, montags bis freitags von neun bis 13 Uhr, am Telefon, im Wechsel mit drei Kolleginnen. Die Sozialökonomin Noll ist eine von ihnen. In dem kleinen, zwei Schreibtische breiten Büro nimmt sie Anrufe wie den des insolventen Mannes entgegen, bei dem nichts mehr zu machen war. Vielen Geschäftsleuten kann sie aber helfen. Manchmal ist dazu nur ein wenig Beratung nötig, wie bei Kirsten Albrecht, Besitzerin einer Boutique im gutsituierten Stadtteil Eppendorf.

Albrecht führt ihren Laden seit knapp drei Jahren. Farbenfrohe Modelle spanischer und skandinavischer Marken hängen in ihrem lindgrün gestrichenen Verkaufsraum. Nach Jahren als Angestellte in der Verlagsbranche hat sie sich 2006 selbständig gemacht. Das erste Jahr war hart, sie geriet in einen finanziellen Engpass. Die Mittvierzigerin verhandelte mit Lieferanten, vereinbarte Ratenzahlungen und spätere Lieferzeiten, sie verstärkte ihre Pressearbeit und kämpfte so gegen die Krise. Bis unvorhersehbare Kosten auf ihren Betrieb zukamen.

Noll war am Telefon, als Albrecht anrief. Das erste Gespräch dauert meistens eine Dreiviertelstunde. Die Sozialökonomin gab ihrer Klientin die üblichen "Hausaufgaben" auf: Am Computer sollte sie eine genaue Finanzplanung aufstellen. Gute Kalkulation und Beratung genügten. Albrecht hat es ohne weitere Kredite geschafft. Einige Male hat sie noch mit Annette Noll telefoniert. Und konnte immer melden, dass sie Kurs halte.

Nicht immer ist es so einfach. Noll hat auch Menschen in der Leitung, die verzweifelt sind. Sie vergisst nicht die entlassene Schneiderin, die sich selbständig machte, aber dann von den Schulden ihres Mannes erdrückt wurde. "Ihre Probleme waren unverschuldet", sagt die Ökonomin. Sie machte der Schneiderin Mut, "von Frau zu Frau". Oder der resignierte Mann, der seit Wochen keine Briefe mehr öffnete. "Kaufen Sie einen Ordner und sortieren Sie alles ein", empfahl die Beraterin. "Und holen Sie einen Freund dazu". Er habe keinen, antwortete der Mann, der kein Einzelfall ist. "Psychologische Hilfe können und wollen wir aber nicht leisten", sagen die Berater.

Hingucken tut weh

Kleinbetriebe machen den größten Teil der insolventen Firmen aus. "Solche Unternehmen sind auf sich allein gestellt", sagt Volkswirt Brockmeyer. Er hält es für wichtig, ihnen niedrigschwellige Hilfe anzubieten - aber nicht, um ihr Geschäft abzuwickeln, sondern um es zu retten. Dazu braucht es allerdings Zeit. "Am besten ist ein Handlungsspielraum von mindestens zwei bis drei Monaten." Vor allem Männern fällt es schwer, Versäumnisse einzugestehen. Manche Frau hat schon für ihren Mann zum Hörer gegriffen.

"Hingucken tut weh", sagt Noll. Sie muss mitunter deutlich werden, wenn sie merkt, dass ein Unternehmer nur Luft ablassen will, die Schuld verschieben, über die Banken lamentieren. "Wollen Sie sich bewegen oder nicht?", fragt sie dann.

Die Weltwirtschaftskrise ist längst auch bei der Firmenhilfe angekommen. Nach Weihnachten sei der Ansturm groß gewesen. "Der Januar war der stärkste Monat seit dem Start", sagt Brockmeyer. Er zählte beinahe doppelt so viele neue Beratungsfälle wie zuvor. Die meisten Anrufer brauchten mehr als nur ein Telefonat. Vermutlich wird der Andrang hoch bleiben: Steigende Arbeitslosigkeit führt zu mehr Neugründungen. Aber die aus der Not geborene Selbständigkeit ist erfahrungsgemäß weniger stabil.

Deutlich mehr Insolvenzen hat die Firmenhilfe bislang aber nicht registriert. Die Finanzkrise spült den Beratern eher mehr Anrufer zu, die rechtzeitig anrufen. "In guten Konjunkturphasen sind die Hemmschwellen höher", sagt Brockmeyer, "da kann man auch ohne ein funktionierendes Controlling Gewinne machen." Die historisch schlechte Wirtschaftslage lässt die Unternehmer vorsichtiger werden. Sie greifen schneller zum Hörer. "Das ist gut", sagt Brockmeyer. "Es muss nicht immer um Krisenintervention gehen. Wir beantworten auch gerne Entwicklungsfragen."

Er hat eine kleine Tabelle mit den Merkmalen eines erfolgreichen Firmenhilfe-Kunden erstellt: Der hat nach der Beratung einen Blick fürs Wesentliche. Geht vorbereitet in Bank- und Gläubigergespräche. Hat eine realistische Vorstellung seiner Unternehmensziele. Und vielleicht, wie es kürzlich in einem Dankesbrief hieß, "zum ersten Mal seit Wochen wieder ruhig geschlafen".

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