Gutachten im Bundestag:Soli darf es ewig geben

Regenpfützen  in Dresden

Muss der Soli gehen, wenn die Ostförderung fällt? Die katholische Hofkirche, der Hausmannsturm und das Residenzschloss in Dresden.

(Foto: dpa)

Schäuble will die Einkommensteuer erhöhen - denn er fürchtet, dass das Bundesverfassungsgericht den Soli ab 2019 verbieten könnte. Nun widersprechen die Rechtsexperten im Bundestag.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Es ist gelegentlich schon beklagt worden, dass sich die Führungsmannschaft des Bundesfinanzministeriums unter der Leitung des Rechtsgelehrten Wolfgang Schäuble immer mehr in einen reinen Juristen-Club verwandelt hat. Tatsächlich ist die Zahl an Volkswirten wie auch deren Einfluss auf den Kurs des Hauses seit dem Amtsantritt Schäubles vor mittlerweile fast fünf Jahren spürbar geschrumpft, was man, so sagen es zumindest manche Kritiker, der ein oder anderen finanzpolitischen Entscheidung auch anmerkt.

Im Streit um die Zukunft des Solidaritätszuschlags allerdings macht sich die Ballung juristischen Sachverstands jetzt offenbar bezahlt. Denn Schäubles Idee, den "Soli" mittelfristig abzuschaffen und sein Aufkommen durch die Erhöhung anderer Steuern zu kompensieren, ist vor allem der Warnung seiner Rechtsexperten geschuldet, dass das Bundesverfassungsgericht die Ergänzungsabgabe nach dem Auslaufen der Ostförderung im Jahr 2019 für grundgesetzwidrig erklären könnte. Käme es dazu, würde im Bundeshaushalt über Nacht ein Loch von etwa 20 Milliarden Euro klaffen. Dann doch lieber, so das Kalkül des Ministers, die rechtzeitige Integration des Zuschlags in die Einkommen-, Körperschaft- und Abgeltungsteuer - auch um den Preis, dass der Bund die Erlöse künftig mit Ländern und Gemeinden teilen müsste.

Parlamentsjuristen halten Soli doch für verfassungskonform

Vielleicht aber irren Schäuble und seine Juristen-Entourage auch, und alles kann einfach beim alten bleiben. Zu diesem Ergebnis zumindest kommt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Demnach ist es keineswegs so, dass mit dem Auslaufen des Solidarpakts II, also des Bund/Länder-Programms zur Finanzierung des Aufbaus Ost, auch der Solidaritätszuschlag seine Legitimation verliert. Im Gegenteil: Aus Sicht der Parlamentsjuristen ist eine Ergänzungsabgabe keineswegs eine Zwecksteuer, sondern dient vielmehr der Deckung des allgemeinen staatlichen Finanzbedarfs. "An dieser Beurteilung ändert sich auch dadurch nichts, dass die Einführung des Solidaritätszuschlaggesetzes zeitlich und wirtschaftlich mit dem Beitritt der neuen Länder im Zusammenhang steht", heißt es in dem Gutachten. Und weiter: "Die Verknüpfung mit den finanziellen Lasten der Wiedervereinigung ist lediglich eine ideelle."

Die Sonderabgabe wird seit 1991 erhoben, die Regierung Kohl hatte ihre Einführung seinerzeit außer mit den Aufwendungen für die Wiedervereinigung auch mit den Kosten des Golfkriegs begründet. Der Soli ist ein Zuschlag von derzeit 5,5 Prozent auf die Einkommen-, Körperschaft- und Abgeltungsteuerschuld. Anders als viele Bürger im alten Bundesgebiet glauben, muss er auch im Osten gezahlt werden.

Sollte sich zeigen, dass die neuen Länder auch nach 2019 noch einer besonderen Förderung bedürfen, könnte der Zuschlag aus Sicht des Wissenschaftlichen Dienstes "mit unveränderter Begründung" fortgeführt werden. Doch selbst wenn der Bund tatsächlich kein weiteres Geld in den Aufbau Ost stecken müsste, werde der Zuschlag deshalb noch nicht verfassungswidrig. "Durch eine entsprechende Umwidmung der Ergänzungsabgabe für neue Aufgaben (...), etwa als Finanzierungsbeitrag für den Strukturwandel in ganz Deutschland oder zur Unterstützung der Einführung eines Altschuldenfonds, wie sie aktuell diskutiert werden, ließe sich ein neuer Zweck im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts begründen", schreiben die Gutachter unter Verweis auf gleich drei Karlsruher Urteile aus den Jahren 1972, 1999 und 2010.

Zwei Experten - drei Meinungen

Verwiesen wird in der Expertise zudem auf das Argument, der Solidarzuschlag diene auch als Ausgleich dafür, dass die finanziellen Lasten der Wiedervereinigung die Schulden des Bundes in die Höhe getrieben haben. Dieser Auffassung schließen sich die Bundestagsjuristen an, allerdings unter Vorbehalt: Das Argument zieht demnach nur, wenn die Bundesregierung den Anteil der vereinigungsbedingten Lasten an der gesamten Staatsschuld exakt beziffert und einen Tilgungsplan vorlegt.

Ob sich Schäuble auf den Wissenschaftlichen Dienst verlassen wird, ist ungewiss, denn als Jurist weiß er, dass das, was gern über Ökonomen gesagt wird, auch für seine eigene Zunft gilt: zwei Experten - drei Meinungen. So vertritt etwa der frühere Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier die Ansicht, eine Ergänzungsabgabe dürfe "nicht als Instrument der dauerhaften Erhöhung des Steuerniveaus" eingesetzt werden. Vielmehr könne sie der Bund nur erheben, wenn ihm allein ein konkreter Finanzierungsbedarf entstehe. Fortsetzung folgt.

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