Grundsatzentscheidung zu Hartz IV:Die Angst vor dem Urteil

Das Bundesverfassungsgericht fällt an diesem Dienstag ein wichtiges Urteil. Es könnte dazu führen, dass Hartz IV in der bisherigen Form keinen Bestand hat.

Claus Hulverscheidt

Das Bundesverfassungsgericht verkündet am heutigen Dienstag sein mit Spannung erwartetes Urteil über die Rechtmäßigkeit der Hartz-IV-Sätze. Union und FDP befürchten einen Richterspruch, der zu Mehrausgaben in Milliardenhöhe führt.

Bundesverfassungsgericht, AP

Hans-Jürgen Papier (Mi.), der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hatte bereits in der mündlichen Verhandlung am 20. Oktober 2009 angedeutet, dass er das Verfahren zur Festlegung der Hartz-IV-Regelleistungen für zweifelhaft hält.

(Foto: Foto: AP)

Wie aus Koalitionskreisen verlautete, geht die Regierung fest davon aus, dass die Richter grundlegende Änderungen am bisherigen Berechnungsmodus verlangen werden. Die Haushaltsprobleme würden damit weiter vergrößert.

Der Präsident des Verfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hatte bereits in der mündlichen Verhandlung am 20. Oktober angedeutet, dass er das Verfahren zur Festlegung der Hartz-IV-Regelleistungen für zweifelhaft hält. Die Richter seines 1. Senats hatten höchst penibel nachgefragt, wie die sogenannten Regelsätze zustande kämen.

Die Vertreter der Bundesregierung konnten das offensichtlich nicht zur Zufriedenheit der Richter erklären. Aus den Fragen der Verfassungsrichter an die Beteiligten hatte sich überdies ergeben, dass es in der Entscheidung nicht nur um die Geldbeträge gehen soll, die man in Deutschland zum Überleben braucht, sondern um das sogenannte soziokulturelle Existenzminimum. Das ist der Betrag, den man benötigt, um am gesellschaftlichen Leben wenigsten ein wenig teilnehmen zu können.

Momentan erhält ein Erwachsener im Monat 359 Euro Arbeitslosengeld II, zudem kommt der Staat für die Miet- und Heizkosten sowie die Sozialversicherungsbeiträge auf. Bei Kindern beträgt der Hartz-IV-Satz je nach Alter zwischen 215 und 287 Euro.

Berechnungsgrundlage ist allerdings nicht etwa der tatsächliche Bedarf, sondern ein Prozentwert der Regelleistung für Erwachsene. Das führt zu der kuriosen Situation, dass Säuglingen rein rechnerisch 11,90 Euro im Monat für Tabak und Alkohol zur Verfügung stehen, aber kein Geld für Windeln vorgesehen ist.

Erhebliche Mehrkosten

Auf den Finanzminister könnten durch das Urteil Mehrkosten in Milliardenhöhe zukommen. So hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vor einigen Monaten errechnet, dass ein Hartz-IV-Satz von monatlich 420 Euro den Staat jährlich zusätzlich zehn Milliarden Euro kosten würde. Darin enthalten sind höhere Ausgaben für das Arbeitslosengeld II sowie höhere Zahlungen für Kinder. Außerdem hätten wegen der höheren Regelsätze zusätzlich etwa 300.000 Haushalte Anspruch auf Arbeitslosengeld II, ermittelte das IAB.

"Ich schaue mit großer Sorge nach Karlsruhe, denn das Urteil kann uns leicht ein paar Milliarden Euro kosten", sagte der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Norbert Barthle, der Süddeutschen Zeitung. Ähnlich äußerte sich sein FDP-Kollege Otto Fricke. "Sollte uns Karlsruhe tatsächlich verbindliche Vorgaben machen, werden wir nicht umhin kommen, diese umzusetzen", erklärte er.

Derzeit gibt der Bund für die 6,7 Millionen Hartz-IV-Bezieher fast 40 Milliarden Euro im Jahr aus. Hinzu kommen zwölf Milliarden Euro für die Wohnungskosten, die die Kommunen übernehmen. Mittlerweile erhält in Deutschland jeder zehnte Bundesbürger unter 65 Jahren Leistungen aus der 2005 eingeführten Grundsicherung für Arbeitsuchende, wie Hartz IV offiziell heißt. Jedes sechste Kind unter 15 Jahren lebt von Arbeitslosengeld II.

Formal entscheiden die Richter nur über die Fälle dreier Familien, die gegen die Kindersätze geklagt hatten. Gerichtspräsident Papier hatte aber bereits im Oktober klar gemacht, dass er ein Grundsatzurteil über die Höhe des staatlich garantierten Existenzminimums anstrebt.

Im Video: Was muss der Staat dem Menschen zum Leben geben, damit seine Menschenwürde gewahrt ist?

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