Grüne Woche:Die großen Probleme der Landwirtschaft sind ungelöst

Große Ertragseinbußen bei Getreide

Pestizide, Gentechnik, Umweltschutz - in Deutschland läuft in der Landwirtschaft eine Menge schief.

(Foto: dpa)
  • Christian Schmidt möchte auch künftig Agrarminister bleiben. In der jetzigen Legislaturperiode hat er aber so gut wie keins der akuten Probleme gelöst.
  • Es gibt immer noch flächendeckend Defizite beim Tierschutz, der Glyphosat-Streit war eine einzige Blamage und die Abschaffung der Milchquote hat einen dramatischen Preisverfall ausgelöst.
  • Auch Schmidts Pläne für die Zukunft enthalten kaum konkrete Regelungen oder Gesetze - er setzt weiter auf freiwillige Initiativen.

Von Markus Balser, Jan Heidtmann, Silvia Liebrich und Kristiana Ludwig

Wenn am Freitag die weltweit größte Agrar- und Verbrauchermesse Grüne Woche in Berlin beginnt, wird sich Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) erklären müssen. Er steht nach fast drei Jahren Amtszeit noch immer vor einer langen Liste ungelöster Probleme. Ein Überblick.

Grenzen für Ställe

Kaum ein Thema stößt in weiten Teilen der Bevölkerung auf so viel Kritik wie die Tierhaltung. Dem Agrarminister ist es nicht gelungen, diesen Konflikt zu entschärfen. Zu diesem Schluss kommt auch der wissenschaftliche Beirat des Agrarministeriums. Fleischindustrie und Tierhalter hätten zwar große ökonomische Fortschritte gemacht. Gleichzeitig gebe es jedoch erhebliche Defizite, vor allem im Tierschutz, aber auch im Umweltschutz. Ein Problem ist, dass die Halter Hühner, Schweine oder Kühe in immer größere Ställe pferchen, um noch billiger zu produzieren. Kleinere Betriebe bleiben dabei auf der Strecke. So hat sich etwa die Zahl der Schweinehalter seit 2010 fast halbiert.

Unter dem Drang zur Größe leiden Tiere und Umwelt. Dabei hatten CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag die Messlatte hoch gesetzt. "Wir streben eine flächengebundene Nutztierhaltung an", heißt es da etwa. Das bedeutet, dass Bauern, gemessen an der Fläche ihres Landes, nur eine bestimmte Anzahl von Tieren halten dürfen. Auch eine Obergrenze für Stallgrößen sollte geprüft werden. Nichts davon ist in verbindliche Regeln umgesetzt. An einer Begrenzung der Tierhaltung wird kein Weg vorbeiführen. Freiwillige Selbstverpflichtungen, wie sie Schmidt favorisiert, werden dafür kaum ausreichen.

Umwelt unter Druck

Der Umweltschutz zählt zu den größten Streitpunkten in der Agrarpolitik. Während Agrarminister Schmidt die Expansion auf dem Weltmarkt als Ziel verfolgt, wo deutsche Agrarprodukte mit Billigpreisen konkurrieren, will Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) weg von der Devise: immer mehr, immer billiger. Sie fordert einen "grundlegenden Umbau" der Agrarpolitik. Zu oft würden Gewässer und Böden ausgebeutet. "Wir stoßen mit der heutigen Landwirtschaft an eine ökologische Grenze. Umweltprobleme machen klar: So kann es nicht weitergehen", kritisierte Hendricks auf einem Agrarkongress ihres Ministeriums am Dienstag. Zu den Gästen zählte auch Amtskollege Schmidt. "Wir erleben in der Landwirtschaft Raubtierkapitalismus in Reinkultur," sagte Hendriks.

Damit bricht in der Bundesregierung ein neuer Streit offen aus. Hendricks fordert, Subventionen stärker nach Umwelt-Gesichtspunkten zu verteilen. Im Agrarministerium sieht man den Vorstoß kritisch. Eine wachsende Weltbevölkerung brauche bezahlbare Ernährung, ist das Credo von Agrarminister Schmidt. Der CSU-Politiker weiß, dass ein Umbau der Förderung auch einflussreichen Agrarkonzernen ein Dorn im Auge wäre. Schmidt will sich stattdessen darauf konzentrieren, Finanzinvestoren die Spekulation mit Böden zu erschweren. Denn steigende Landpreise machen Deutschlands Landwirten in der aktuellen Krise zu schaffen. Und die Umwelt? Die Gesellschaft fordere viel von der Landwirtschaft, sagt Schmidt. Die nötigen Investitionen aber wolle kaum jemand zahlen. Es gebe da wohl noch Abstimmungsbedarf mit dem Umweltressort.

Gentechnik-Hintertür und Glyphosat-Blamage

Flickenteppich bei Gentechnik

Mit der Gentechnik verhält es sich in Deutschland in etwa so wie früher mit der Atomkraft: Der größte Teil der Bevölkerung ist dagegen, mächtige Konzerne aber sind dafür. Unternehmen wie Bayer, BASF oder die Saatgutfirma KWS wollen derart veränderte Pflanzen züchten. Bislang wird in Deutschland kein gentechnisch verändertes Saatgut kommerziell angebaut. Nach Ansicht der EU soll dies auch so bleiben, eine 2016 beschlossene Richtlinie legt fest, dass jeder Mitgliedsstaat Gentechnik-Pflanzen verbieten kann.

Doch geht es nach Schmidt, könnte gerade diese Regelung dazu führen, dass Gentechnik möglich wird: Der von ihm vorangetriebene Gesetzentwurf würde enorme Hürden für ein Verbot schaffen. So müssten sechs Ministerien binnen 45 Tagen zustimmen, damit ein gentechnisch verändertes Produkt nicht auf den Markt gebracht werden darf - im politischen Prozess fast unmöglich. Gelingt es aber nicht, muss jedes Bundesland einzeln ein Verbot erlassen, gegen das die Agrar-Konzerne jedoch klagen könnten. Ein solcher Flickenteppich von Verbots-Regionen könnte zu einer "schleichenden gentechnischen Kontamination von Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion" führen, meint Heike Moldenhauer vom BUND.

Plan für Pestizide

Im Streit um das umstrittene Pflanzenvernichtungsmittel Glyphosat hat sich die Bundesregierung blamiert, auch auf EU-Ebene. Der nach wie vor ungelöste Zwist zwischen Agrar- und Umweltministerium, die sich über mögliche Risiken uneinig sind, verunsichert Verbraucher. Schmidt betont, er wolle sich für eine nachhaltige Landwirtschaft einsetzen. Doch das würde auch einen geringeren Einsatz von Pestiziden bedeuten. Davon kann in Deutschland nicht die Rede sein. Nicht nur der Glyphosat-Verbrauch ist deutlich gestiegen. Der Umsatz mit Pestiziden lag zuletzt bei fast 1,6 Milliarden Euro pro Jahr, 2010 waren es noch 1,26 Milliarden Euro. Ein Plan, wie der Einsatz giftiger Substanzen dauerhaft gesenkt werden kann, fehlt.

Preisverfall bei der Milch

Im Frühjahr 2015 wurde die Milchquote abgeschafft, der Deutsche Bauernverband, der das massiv betrieben hatte, war voll des Lobes: endlich könnten die Milchbauern frei über die Mengen entscheiden, die sie produzieren wollten, sie könnten neue Märkte in neuen Ländern erschließen und so weiter. Glaubte man dem Bauernverband, würde aus dem Land der Milchquote nun das Land von Milch und Honig.

Tatsächlich erlebten die deutschen Milchbauern einen dramatischen Preisverfall, der sich immer weiter verstärkte: Da der Preis pro Liter stetig sank, produzierten die Bauern mehr und mehr Milch, was wiederum dazu führte, dass der Preis weiter sank. Am Ende bekamen die Bauern teils unter 20 Cent für einen Liter - so billig ist nicht einmal billigstes Mineralwasser. Von ihren Einnahmen konnten viele Bauern den Strom für den Stall und das Futter für das Vieh nicht mehr bezahlen. Manche mussten ihre Lebensversicherungen oder Sparverträge kündigen, andere gingen schlicht pleite, allein 2016 wurden 4000 Milchbauernhöfe aufgegeben.

Im Sommer beschlossen EU und Landwirtschaftsminister Soforthilfen von 500 Millionen Euro. Seit Herbst steigen die Preise wieder, die Frage ist nur: wie lange? Kritiker des Systems sagen deshalb, die Bauern sollten nicht weiter versuchen, große Mengen auf labilen Exportmärkten zu verkaufen, sondern besser Bio-Qualität für Deutschland produzieren. Doch der Bauernverband hat da eine ganz andere Idee: Milchbauern sollten sich in Zukunft an internationalen Terminbörsen verstärkt absichern.

Freiwillige Initiativen statt Gesetze

Verbraucherschutz in Defensive

Wie viel Leber muss in die Leberwurst? Und kann ein Fleischsalat auch vegetarisch sein? Agrarminister Schmidt hat angekündigt, bei der Beschriftung von Lebensmitteln im Supermarkt für "Wahrheit und Klarheit" zu sorgen. Also änderte er im vergangenen Jahr die Geschäftsordnung der sogenannten Lebensmittel-Kommission. Dieses unabhängige Gremium aus 32 Vertretern von Wirtschaft, Wissenschaft und Verbraucherschutz setzt in Deutschland die Regeln für das, was auf der Packung steht. Künftig muss es sich mindestens ein Mal im Jahr treffen, um über die Namen neuer Lebensmittel zu diskutieren, dafür hat Schmidt gesorgt.

Zu dieser neuen Klarheit müsse aber auch gehören, dass die Bürger nachvollziehen können, wie die Regeln für die Verpackungen zustande kommen, monieren Verbraucherschützer. Denn auch in Zukunft tagen die Experten hinter verschlossenen Türen, und die Mitglieder aus der Lebensmittelindustrie besitzen ein Veto-Recht. Damit können sie klare Produktnamen ausbremsen. Dabei orientierten sich die Etiketten "noch viel zu häufig an den Unternehmen und nicht an den Bedürfnissen der Verbraucher", sagt Klaus Müller des Verbraucherzentrale Bundesverbands.

Konventionell gegen ökologisch

Das politische Berlin befand sich in den Weihnachtsferien, als Agrarminister Schmidt am Tag vor Silvester sein Grünbuch vorstellte. Das Papier, an dem Schmidt lange feilte, soll sein "Fahrplan für die zukünftige deutsche Ernährungs- und Agrarpolitik" sein. Ihm gehe es um die "Akzeptanz der Landwirtschaft", die er mit seinen Vorschlägen wieder "in die Mitte der Gesellschaft holen" wolle. Denn der Streit treibt Bauern und Verbraucher gleichermaßen zum Protest auf die Straße. Zur Demo "Wir haben Agrarindustrie satt!" werden am Samstag in Berlin wieder Tausende Teilnehmer erwartet.

Doch den Konflikt dürfte auch Schmidts Zukunftsfibel nicht entschärfen. Im Streit zwischen konventioneller und ökologischer Landwirtschaft forderte der Minister, eine Diskussionskultur "für besseres Verständnis und mehr Akzeptanz" zu entwickeln. Die Landwirtschaft dürfe nicht zum Opfer von Glaubenskriegen werden, sagte Schmidt und verteidigt damit die konventionelle Agrarwirtschaft. Die Agrarförderung soll künftig vor allem Familienbetrieben zugutekommen, nicht Großinvestoren. Beim Klima- und Naturschutz setzt er auf freiwillige Initiativen statt auf Gesetze. Kritiker hatten auf strikte Vorgaben gehofft. Die präziseste Ansage machte Schmidt in eigener Sache: Ob er nach der Wahl gerne Agrarminister bliebe? "Ja", sagt er.

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