Gründerstandorte:Wo das Potenzial wächst

Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Junge Unternehmen mit frischen Ideen sind wichtige Treiber der Wirtschaft. Wo Gründer besonders viele Kapitalgeber, Berater und nützliche Netzwerke finden.

Von Norbert Hofmann

Die Welt braucht immer wieder kreative Köpfe, die abseits herkömmlicher Denkgewohnheiten das Neue schaffen und ihre Ideen in jungen Unternehmen umsetzen. Solche Start-ups haben ihre Wurzeln häufig in der Hochschulforschung oder sie entstehen, wenn qualifizierte Spezialisten sich von etablierten Unternehmen in die Selbständigkeit verabschieden. Von einem Gründerfieber kann in Deutschland zwar nicht die Rede sein. Dennoch haben sich Regionen mit hohen Temperaturen herauskristallisiert. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim hat dafür eine "Heatmap" entworfen, die sich an den Gründungen pro Kopf der Bevölkerung orientiert. Im Bereich der Hightech-Industrie und bei wissensintensiven Dienstleistungen ragen demnach die Zentren München, Stuttgart, Karlsruhe sowie die Rhein/Ruhr-Region mit Standorten wie Köln und Düsseldorf heraus. Gemessen an der Zahl der Gründungen in diesem Bereich sind die Städte Berlin, Hamburg und München führend. Bei den Gründungen über alle Wirtschaftszweige hinweg wiederum führt Nordrhein-Westfalen gefolgt von Bayern und Baden-Württemberg das Feld an.

Insgesamt ist die Zahl der Gründungen nach Erhebungen des ZEW in 2015 wieder leicht auf 157 000 gestiegen. "Diese Stabilisierung ist angesichts des seit zehn Jahren rückläufigen Trends eine gute Nachricht", sagt Georg Licht, Leiter des Forschungsbereichs Industrieökonomik und Internationale Unternehmensführung am ZEW. Von Investoren wurde den Gründern in 2015 bundesweit mehr Risikokapital, im Fachenglisch Venture Capital genannt, zur Verfügung gestellt. "Wie schon in den Vorjahren sorgte vor allem Berlin für den Aufwärtstrend, aber auch Baden-Württemberg scheint bei Risikokapitalgebern wieder stärker Fuß zu fassen", sagt Licht.

Das Start-up-Barometer der Beratungsgesellschaft EY bestätigt den Trend. Demnach haben 2015 in Berlin 183 Unternehmen Risikokapital erhalten, gefolgt von Bayern mit 69 Firmen und Baden-Württemberg mit 25 Start-ups. Deutsche Städte stehen laut EY auch im europäischen Vergleich immer besser da. Bei einer Risikokapital-Investitionssumme von insgesamt 2,1 Milliarden Euro in 2015 belegt Berlin noch vor London, Stockholm und Paris den ersten Platz. Doch auch Hamburg (296 Millionen Euro) und München (206 Millionen Euro) rangieren unter den europäischen Top 6.

Berlin auf der Überholspur

Die Hauptstadt hat sich zu einem kreativen Zentrum entwickelt und lockt auch immer mehr Gründer und Investoren aus dem Ausland an. Was in Berlin alles möglich ist, zeigt die Erfolgsgeschichte von 6 Wunderkinder. Das erst vor sechs Jahren gegründete Start-up hat eine App zur Verwaltung von To-do-Listen entwickelt. Vereinfacht gesagt kann damit alles elektronisch abgehakt werden, was vom Geschenkeinkauf bis zur Urlaubsbuchung gerade so ansteht. Die Newcomer konnten dafür zunächst den bundesweit tätigen High-tech-Gründerfonds begeistern. Später engagierten sich Risikokapitalgeber aus aller Welt, bis schließlich Microsoft im vorigen Sommer das ganze Unternehmen für mehr als 100 Millionen Dollar gekauft hat.

"In Berlin gibt es viele junge Menschen unter 30, die schon einmal ein Geschäft aufgebaut und dann verkauft haben", sagt Stefan Franzke, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Berlin Partner. Diese erfolgreichen Jungunternehmer, die ihr Geld und ihre Erfahrung nicht selten an andere Gründer weitergeben, haben eine starke Anziehungskraft. Dafür stehen auch Namen wie Zalando, Soundcloud oder Home 24, die zu den sogenannten "Einhörnern" zählen. Das sind junge innovative Firmen, die binnen weniger Jahre eine Firmenbewertung von einer Milliarde Dollar erreicht haben.

Natürlich ist das nicht die Regel, doch die Reihe erfolgshungriger Gründer ist lang. "Die Zahl der Start-ups in Berlin hat sich in den letzten drei Jahren verdreifacht", sagt Franzke. Die Hauptstadt, die jährlich um 40 000 Einwohner wächst, sei Multikulti, und das fördere das Innovationsverhalten. Rund ein Drittel aller Mitarbeiter in den Berliner Start-ups besitzt keinen deutschen Pass. Die Wirtschaftsförderer helfen qualifizierten Neuankömmlingen, schnell eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Doch auch internationale Firmen sorgen für Dynamik. "Als Ende letzten Jahres der IT-Anbieter Cisco seinen Standort eröffnet hat, sind allein in diesem Umfeld 30 Ansiedlungen von Start-ups entstanden", sagt Franzke. Viele renommierte Konzerne aus dem In- und Ausland von Springer über Microsoft bis zur Deutschen Telekom haben zudem sogenannte Inkubatoren und Acceleratoren installiert, über die sie den Gründern Arbeitsräume und eigenes Know-how ebenso vermitteln wie Kontakte zu potenziellen Kunden und Investoren.

Innerhalb von fünf Jahren hat sich das Volumen des in Berliner Gründer investierten Risikokapitals mehr als verzehnfacht. "Den Boden hat über viele Jahre die öffentliche Hand mit sehr intensiven Investments geebnet", sagt Georg Licht vom ZEW. Allen voran die IBB-Beteiligungsgesellschaft. Die Tochter der Investitionsbank Berlin (IBB) gehört zu den Vorreitern, die durch die Zusammenarbeit mit Co-Investoren auch privates Kapital mobilisiert. Längst zeigen nun immer mehr Beteiligungsgesellschaften von Unternehmen Interesse. "Aufgrund der dynamischen Gründerszene in der Stadt sind sogar viele Risikokapitalgeber von Hamburg nach Berlin gezogen", sagt Licht.

Die Gründerszene in Berlin ist so dynamisch, dass darauf ganze Branchen und Märkte reagieren. "Vermieter etwa haben sich darauf eingestellt, dass Gründer nicht die gleichen Mieten zahlen können wie etablierte Unternehmen und reagieren mit flexiblen Mietverträgen, die dynamisch wachsende Unternehmen brauchen", sagt Franzke. Auch am Arbeitsmarkt wird die Entwicklung sichtbar. Laut einer Analyse des Instituts für Strategieentwicklung (IFSE) hat sich die Zahl der Mitarbeiter in den Start-ups in den letzten drei Jahren auf rund 13 200 nahezu verdoppelt. Sie arbeiten bei 620 Firmen, die höchstens acht Jahre alt und ohne Internet nicht denkbar sind.

Kraftzentrum München

Die Isarmetropole gilt mit ihrer Forschungslandschaft, starken Unternehmen und einem gewachsenen Pool an Risikokapitalgebern als Motor für Innovationen. Im Süden der Republik arbeiten Staat und Wissenschaft, Investoren und Unternehmen noch enger als anderswo zusammen, um Bayern und seine Metropole München als eine der herausragenden Start-up-Regionen auszubauen. Staatliche Förderprogramme einschließlich des in 2015 gestarteten neuen Wachstumsfonds für Firmen, die nach der ersten Startphase nach Höherem streben, gehören zu den Treibern. Das gilt auch für die vom Freistaat initiierte Beteiligungsgesellschaft Bayern Kapital und die mit Mitteln der Wirtschaft und der LfA Förderbank Bayern finanzierte Bayerische Beteiligungsgesellschaft (BayBG).

Hinzu kommen private Investoren. Bayernweit rund 230 Business Angels. Das sind ehemalige oder noch aktive Manager. Auch Unternehmer gehören dazu. Sie investieren ihre Erfahrung und Teile ihres Vermögens in innovative Gründer. Nach Schätzungen des von Sponsoren aus der Industrie und vom bayerischen Wirtschaftsministerium getragenen Netzwerk- und Coachingunternehmens BayStartUP sind rund drei Viertel von ihnen auf die Landeshauptstadt ausgerichtet. Junge Unternehmen brauchen sie vor allem in den frühen Phasen als Partner, wenn sie ihre Produkte hin zur Marktreife entwickeln. Im Vordergrund stehen vielfältige digitale Entwicklungen, die vor allem auch auf die Bedürfnisse der Industrie oder etwa professioneller Abnehmer im medizinischen Bereich abgestimmt sind. "Viele unserer Investoren sind erfahrene Mittelständler, die Interesse an solchen meist sehr komplexen Lösungen haben", sagt Carsten Rudolph, Geschäftsführer von BayStartUP.

Das Netzwerk informiert Business Angels über die Bedürfnisse von und den Umgang mit Gründern. Es stellt Kontakte zwischen Investoren und Start-ups her und veranstaltet jährlich den Münchener Business-Plan-Wettbewerb. Die zuletzt 250 Teilnehmer aus Südbayern erhalten dort Feedback in Form konstruktiver Kritik und Tipps einer Experten-Jury zu ihren Geschäftsstrategien. An neuen Ideen mangelt es allein schon aufgrund der starken Mischung aus Weltkonzernen, Mittelstand und Forschung in der Region nicht. "Rund ein Drittel der Start-ups in unserem Netzwerk kommen von einer Hochschule", sagt Rudolph. An deren Ideen sind auch viele hier ansässige internationale Beteiligungsgesellschaften wie Target Partners, Wellington oder Earlybird interessiert.

Zunehmend unterstützen auch große Konzerne die Start-ups, weil sie ihnen Fenster zu neuen Ideen öffnen. In der im vergangenen Jahr gegründeten BMW-Start-up-Garage beispielsweise können junge Innovationsteams ein mehrmonatiges Programm durchlaufen und sich an der Entwicklung eines für den Autokonzern relevanten Prototyps versuchen. Das von der BMW-Großaktionärin Susanne Klatten ins Leben gerufene Gründungs- und Innovationszentrum "UnternehmerTUM" an der TU München begleitet Hightech-Start-ups von der Ideenfindung bis zur Wachstumsphase. Jeder vierte Student der Universität nimmt bereits an Formaten der UnternehmerTUM teil. Das Zentrum hat einen eigenen Venture-Capital-Fonds aufgelegt und unter dem Namen Tech Founders ein Accelerator-Programm geschaffen. In dessen Rahmen können sich Start-ups bei einem Projektbudget von 25 000 Euro mit Coaching, Mentoring und unter Nutzung einer Prototypenwerkstatt in 20 Wochen auf die Beschaffung von Risikokapital vorbereiten.

"Das Münchner Ökosystem für Start-ups hat sich noch nie so dynamisch entwickelt wie heute", sagt Helmut Schönenberger, Mitgründer und Geschäftsführer von UnternehmerTUM. Die Bayernmetropole gelte laut EU-Statistik als Digitalisierungsstandort schlechthin und habe damit das Potenzial, von der Produktionsanlage bis zur Mobilität neue Ideen zu entwickeln und sie in eine breite Wertschöpfungskette einzugliedern. Gemeinsam planen die Stadt München und UnternehmerTUM in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsministerium des Landes zudem ein neues Gründerzentrum für Smart-City-Lösungen, das Produkte, Ideen und Dienstleistungen für die Stadt der Zukunft erarbeiten soll. "Die Eröffnung ist für 2019 geplant und wir wollen damit auch die Zahl der Start-ups in München erheblich vergrößern", sagt Schönenberger.

Stuttgart holt auf

Am Neckar wächst bei Staat und Unternehmen die Erkenntnis, dass Start-ups wichtige Bausteine für die Zukunft sind. Baden-Württemberg hat zwar schon lange einen guten Ruf als Land der Tüftler, Techniker und Automobilentwickler. Gemessen an der Zahl der jungen Unternehmen, die 2015 Venture Capital bekommen haben, liegt das Ländle jedoch nur auf Platz neun. Doch der erste Eindruck täuscht. Beim Volumen des investierten Risikokapitals springt schon der vierte Platz heraus und sieht man noch einmal genauer hin, tut sich vor allem rund um die Landeshauptstadt viel. "Studien belegen, dass der Anteil der wissensorientierten Gründungen am gesamten Gründergeschehen aufgrund des Hightech-Umfelds in Stuttgart überdurchschnittlich hoch ist", sagt Guy Selbherr, Geschäftsführer der MBG, Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Baden-Württemberg. Gerade solche Start-ups schaffen erfahrungsgemäß auf Dauer überdurchschnittlich viele Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung und starker Exportorientierung.

Mit 750 000 Beschäftigten in der Region Stuttgart gehört die IT-Industrie zu den Branchen, die für die besonderen Stärken des Standorts stehen. Hier entstehen viele zukunftsweisende Geschäftsmodelle und neue Produkte, für die auch potenzielle Nachfrage besteht. "Die Region hat die höchste Industriedichte Europas und viele der hier ansässigen Unternehmen werden ihre Geschäftsmodelle jetzt auch in die digitale Welt übertragen", sagt Selbherr. Junge Unternehmen mit Ideen finden da die Kunden und Lieferanten quasi vor der Haustür. Der starke Automobilsektor sucht ebenso wie die Gesundheitsbranche bis hin zur Medizintechnik laufend nach Innovationen. Verlage, die in der Region Stuttgart stark vertreten sind, treiben die Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle voran. Vor allem sind aber auch Maschinen- und Anlagenbauer an Software- und IT-Lösungen für die Fabrik der Zukunft interessiert. "Sie finden bei Start-ups vielfältige Kompetenzen rund um die Entwicklung intelligenter Maschinen für Industrie 4.0", sagt Selbherr.

Zahlreiche Initiativen unterstützen die Gründerszene. Dazu gehören der aus der Industrie heraus entstandene Verein "Baden-Württemberg: Connected e. V. ", der Start-ups unter anderem mit Coaching und der jährlichen Preisvergabe des Cyber One Awards unterstützt. Jüngsten Erhebungen zufolge wird in Baden-Württemberg zudem unter allen Bundesländern das größte Volumen an Preisgeld im Rahmen von Businessplan-Wettbewerben vergeben. Die von einem Gründerverein erst kürzlich ins Leben gerufene Accelerate Stuttgart bietet Räumlichkeiten und Workshops für die Weiterentwicklung. Mitte April haben hier zudem erstmals fünf Gründerteams ein sechsmonatiges Accelerator-Programm absolviert und durften sich bei einem "Demo Day" vor einer großen Anzahl von Investoren präsentieren.

Auch das Finanzierungsangebot wächst. Neben den regionalen Business-Angels-Netzwerken gilt der Risikokapitalfonds der L-Bank als wichtige Kapitalquelle für Frühphasen. Mit dem VC-Fonds BW hat das Land zudem vor zwei Jahren eine weitere Initiative mit einem Finanzierungsvolumen von zunächst 20 Millionen Euro gestartet, die bereits zwei Investments getätigt und einem dritten zugestimmt hat. Guy Selbherr von der MBG - die das Management dieses Fonds übernommen hat und bei diesem auch als Parallelinvestor auftritt - rechnet mit zwei weiteren in diesem Jahr. Die MBG meldet auch im eigenen Geschäft neue Rekorde. Mit erstmals acht offenen Beteiligungen an jungen Firmen stellte sie in 2015 echtes Risikokapital in Höhe von 2,2 Millionen Euro zur Verfügung.

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