Gründerreport 2010:Land der Innovationslosen

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Das Fleisch ist willig, aber der Geist ist schwach: Die Krise treibt viele Leute in die Selbständigkeit - oft fehlt es den angehenden Unternehmern jedoch an Innovationspotential.

Thomas Öchsner

Immer mehr Menschen wollen sich als Unternehmer selbständig machen - vor allem auf Grund drohender Arbeitslosigkeit. Nur wenige sind aber daran interessiert, in einer Hightech-Branche ihr Glück zu versuchen. Das geht aus dem Gründerreport 2010 des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) hervor, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. "Pioniergeist steht zumeist nicht Pate bei den Existenzgründungen", sagt DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben der SZ.

Innovation ist Mangelware - vielen Existenzgründern fehlen die Ideen, Neugründungen in der Hightech-Branche gibt es kaum. (Foto: ag.dpa)

Die Kammerorganisation legt jährlich eine Studie zum Gründungsgeschehen in Industrie, Handel und Dienstleistungssektor vor. Diese basiert auf den Erfahrungsberichten der Existenzgründungsberater in den 80 Industrie- und Handelskammern und für das Jahr 2009 auf mehr als 363.000 Gesprächen mit angehenden Unternehmern. Demnach lässt vor allem die Qualität und Innovationskraft der Geschäftskonzepte zu wünschen übrig.

Das Hauptmotiv

"Erstmals seit vier Jahren wollen in Deutschland wieder deutlich mehr Menschen ein eigenes Unternehmen gründen", sagt Wansleben. Im Krisenjahr 2009 stieg die Zahl der Gespräche verglichen mit 2008 um 14 Prozent. Wie schon in den Vorjahren dominiert aber Arbeitslosigkeit als Hauptmotiv bei den Existenzgründungen.

"Sechs von zehn Gründern streben mit der Selbständigkeit vornehmlich einen Ausweg aus der Erwerbslosigkeit an und wollen weniger aus unternehmerischer Berufung heraus eine Idee umsetzen", heißt es in dem Gründerreport. Viele sähen darin auch die Chance auf ein höheres Einkommen als mit Arbeitslosengeld II (Hartz IV).

Die Gründungsbranchen

"Arbeitslose bringen zumeist nur wenig eigenes Kapital für die Gründung mit und streben daher eine Selbständigkeit in Branchen an, in denen eine Kleingründung möglich ist", bedauert der DIHK-Hauptgeschäftsführer. Mehr als zwei von drei wollen deshalb im Dienstleistungssektor starten, etwa im Sozialwesen, als Künstler, in der Marktforschung, in der Gebäudebetreuung, im Garten- und Landschaftsbau oder in den Bereichen Telekommunikation und Informationsdienstleistungen.

Besonders viele träumen vom eigenen Lokal: Jeder siebte Teilnehmer einer IHK-Gründungsberatung will sich im Gastgewerbe selbständig machen.

Das fehlende Kapital

Viele Kreditinstitute stellen nach Angaben des DIHK in der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise "erheblich höhere Anforderungen an Sicherheiten" als früher. Dies treffe gerade Existenzgründer, die "noch keine Sicherheiten in Form von Gebäuden und Maschinen vorweisen können". Deutlich stärker gefragt bei der Industrie- und Handelskammer waren deshalb Gutachten für Förder- und Bürgschaftsanträge.

Der Mangel an Geschäftsideen

"Viele Gründer begeben sich unzureichend vorbereitet in das Abenteuer Selbstständigkeit", heißt es in dem aktuellen DIHK-Report. Noch im vergangenen Jahr habe mehr als die Hälfte der vorgelegten Geschäftskonzepte "schwere Mängel" aufgewiesen. So könnte nicht einmal jeder zweite der Unternehmer in spe beschreiben, warum Kunden das eigene Produkt oder die eigenen Dienstleistungen dem Angebot der Konkurrenz vorziehen sollten (Alleinstellungsmerkmal).

Weit verbreitet seien auch vage Vorstellungen von der möglichen Kundengruppe und der eigenen Produktidee. Besonders häufig ist dies nach Angaben der Kammerorganisation bei den arbeitslosen "Not-Gründern".

Das geringe Innovationspotential

Nur etwa sechs Prozent der Gründungsinteressierten wollten sich in Hightech-Branchen selbständig machen. Dies entspricht einem Rückgang von 21 Prozent im Vergleich zum Jahr 2006, als die Kammerorganisation erstmals die Zahl der Hightech-Gründer bei den Kammern erhob. In dem Report werden dafür vor allem zwei Gründe genannt: der vergleichsweise hohe Bedarf an Startkapital wegen langer Vorlaufzeiten und des großen Aufwands für Forschung und Entwicklung und das hohe Risiko, am Markt zu scheitern.

Für Hightech-Gründer sei es deshalb besonders schwer, "Finanzierungspartner zu finden", heißt es in dem Bericht. Gerade Gründungen in der Informations- und Kommunikationstechnik oder Gesundheits- und Medizintechnik "setzen jedoch Impulse für Wachstum und Beschäftigung. Im ersten Geschäftsjahr schaffen Hightech-Unternehmen vier bis sechs Arbeitsplätze - und damit doppelt so viel wie der Durchschnitt der Gründungen", sagt Wansleben.

Der Blick in die Zukunft

Die meisten IHK-Existenzgründungsberater sind überzeugt: Das Interesse, ein eigenes Unternehmen ins Leben zu rufen, wird weiter steigen. Sie sehen gute Perspektiven in den Bereichen Umwelttechnik, Energieeffizienz sowie auf Grund der steigender Zahl alter Menschen im Sozialwesen, in der Pflege und bei den Dienstleistungen für private Haushalte.

Die politischen Forderungen

Die Kammerorganisation kritisiert, dass in vier von fünf Schulbüchern die Chancen und Risiken von Selbständigkeit nicht thematisiert werden. Das Thema gehöre deshalb verstärkt in die Lehrprogramme. "Wir brauchen in Schulen und Universitäten eine deutschlandweite Offensive für das Verständnis von Unternehmertum", fordert Wansleben.

Deutschland verspiele ohne "findige Unternehmer" Zukunftschancen. "Angesichts der demografischen Entwicklung und Gründungsneigung der Deutschen wird es im Jahr 2050 über eine halbe Millionen Unternehmer weniger geben als heute", sagt der DIHK-Hauptgeschäftsführer.

© SZ vom 05.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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