Großprojekte in Deutschland:Bau auf, bau auf

Auf die Bürger kommen gewaltige infrastrukturelle Projekte zu. "Stuttgart 21" ist erst der Anfang, der Ausbau von Stromnetzen, Flughäfen und Autobahnen muss folgen. Die Deutschen mögen solche Projekte nicht, doch sie sind nötig.

Marc Beise

Es war ein kurzer Abschnitt in der Haushaltsrede der Bundeskanzlerin, aber es könnte der Beginn von Größerem gewesen sein. Inmitten einer kämpferischen Rede am vergangenen Mittwoch im Bundestag legte sich Angela Merkel fest: Sie steht hinter den Bauplänen für den neuen, tief gelegten Hauptbahnhof Stuttgart, und ihre CDU in Baden-Württemberg soll mit diesem Projekt, gegen das die Kritiker mobilisieren wie seit den Zeiten der Antikernkraftbewegung nicht mehr, siegen oder untergehen.

Sofort begannen die politischen Beobachter eine angeregte Diskussion darüber, warum die Kanzlerin gegen ihre sonstige Gewohnheit bei diesem heiklen Thema Position bezogen habe und ob das klug gewesen sein. Es ist wahr, Politiker haben meist einen Hintergedanken, und vieles ist taktisch motiviert, aber soll man das Thema nicht lieber von der Sache her packen? Halten wir fest, dass sich die Kanzlerin Merkel, die so oft Zaudernde, in schwieriger Lage und gegen eine öffentliche Stimmung auf ein Großprojekt festgelegt hat. Das könnte tatsächlich der Anfang einer Standfestigkeit sein, die das Land seit der Agenda-2010-Politik des Bundeskanzlers Gerhard Schröder kaum je erlebt hat.

Merkels Festlegung ist bitter nötig. Wenn Deutschland die Zukunft noch gewinnen will - und es ist schon viel Zeit vergeudet worden - kommen gewaltige Projekte auf die Bürger zu. Das betrifft einerseits Umbaumaßnahmen im übertragenen Sinne wie die Neuausrichtung des Rentensystems in einer Gesellschaft, in der immer weniger Arbeitnehmer immer mehr Rentner finanzieren sollen. Und es betrifft andererseits sehr viel handgreiflicher Infrastrukturprojekte, die wortwörtlich viel Staub aufwirbeln.

Stuttgart 21 ist der Anfang

Der Bahnhof "Stuttgart 21", der das Schienennadelöhr im Südwesten auflösen soll, ist da nur ein Detail. Der Umbau der Energiegesellschaft weg von der Kernenergie wird in ganz anderen Dimensionen ins Leben der Deutschen eingreifen. Stromleitungen und -netze müssen quer durch Deutschland geführt, weitere Windanlagen aufgestellt, neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Die wachsende Mobilität der Gesellschaft und die unentwegt fortschreitende Globalisierung fordert die Erweiterung der großen deutschen Flughäfen. Autobahnen müssen verbreitert werden, wenn das Land nicht den Laster-Infarkt erleiden will.

Sobald aber ein solches Thema aufkommt, sind die Deutschen dagegen. Sie wehren sich gegen ein maßvolle Verlängerung der Lebensarbeitszeit, obwohl diese über Jahrzehnte gestreckt eingeführt wird, so als gebe es nicht den immer längeren aktiven Lebensabend. Sie sind gegen neue Kraftwerke; warum auch, der Strom kommt ja schon aus der Steckdose. Sie wollen keine breiteren Autobahnen, als ob man den Strom der Transitlastwagen aus Mittel- und Osteuropa einfach ausschalten kann wie den Trafo bei der Modelleisenbahn.

Gut und böse

In der Kritik stehen alle: die Projekte selbst, die Firmen, die sie umsetzen und damit - horribile dictu - Geld verdienen wollen, und die Politiker, die die rechtlichen Voraussetzungen für die Investitionen schaffen. Man kann sich fragen, in welchem Verhältnis diese Sphären zueinander stehen. Schadet das schlechte Image der Politik den von ihr vorangetriebenen Großprojekten? Oder verliert die Politik an Zustimmung gerade wegen der von ihr geförderten Großprojekte? Oder ist es das zentrale Problem, dass Wirtschaftsinteressen eine Rolle spielen? Alles böse: Infrastruktur, Wirtschaft, Politik.

Dabei könnte man froh sein, dass es die Innovationskraft in der Wirtschaft noch gibt. Heute schon werden die hochgerüsteten und von Teilen der Bevölkerung beargwöhnten Premiumautos zum großen Teil fürs Ausland gebaut, Konzerne bieten ihre Kraftwerkstechnologie weltweit an, der Transrapid fährt in China statt in Deutschland. Schon folgen die Arbeitsplätze in Produktion und Entwicklung den Exportströmen, und am Ende könnte Deutschland sehen, wo es bleibt. Dies zu verhindern, ist Aufgabe der Politik. Es ist ihre Verantwortung, sich notfalls auch dem Zeitgeist entgegenzustellen, statt sich ihm prinzipienlos zu ergeben.

Ausweislich ihrer Rede im Bundestag möchte Angela Merkel sich dieser Aufgabe stellen. Sie will "eine große Debatte über die Zukunftsfähigkeit Deutschlands führen". Das klingt gut, muss aber auf vielen Gebieten unterfüttert werden. Der Bau beginnt.

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