Großbritannien:Störung im Betrieb

Das Land ist Vorreiter bei der Bahn-Privatisierung. Um das Gleisnetz kümmert sich aber eine staatliche Firma - noch.

Von Björn Finke

Sie heißen Virgin Trains oder Arriva, Abellio oder c2c. Manchmal lassen die Namen Schlüsse auf die Region zu, um die es geht. Bei der Great Western Railway ist das so, oder bei den East Midlands Trains. In Großbritannien fahren insgesamt 22 Zugbetreiber Passagiere hin und her. Sie haben in Ausschreibungen das Recht gewonnen, zwischen bestimmten Städten ihre Dienste anzubieten. Ein krasser Unterschied zu Deutschland. Da beherrscht der Staatskonzern Deutsche Bahn den Fernverkehr unangefochten, und auch beim Nahverkehr liegt das Unternehmen trotz manch verlorener Ausschreibung vorne.

Das Königreich war Vorreiter bei der Privatisierung, schon Mitte der Neunzigerjahre wurde der Staatsbetrieb British Rail zerlegt und verkauft. Doch wird ein wichtiger Teil des Geschäfts selbst im Privatisierungs-Paradies Großbritannien inzwischen wieder von der Regierung kontrolliert: das Schienennetz. Darum kümmert sich Network Rail, ein vom Staat finanziertes und geführtes Unternehmen.

Aber Network Rail erledigt seine Aufgaben derart haarsträubend schlecht, dass nun eine erneute Privatisierung diskutiert wird: vorwärts in die Vergangenheit.

Am Freitag veröffentlichte ein Ausschuss des britischen Parlaments einen sehr unschmeichelhaften Bericht über den Netzbetreiber: Kostensteigerungen seien "atemberaubend", das Projektmanagement sei armselig, es fehle die nötige Erfahrung. Die Labour-Abgeordnete Meg Hillier sagte, Network Rail habe die "Kontrolle verloren". Das Unternehmen steht schon länger in der Kritik: Im vergangenen Jahr wurden Ausbesserungsarbeiten über Weihnachten nicht rechtzeitig fertig, was zu Chaos an Bahnhöfen in London führte. In diesem Sommer musste die Regierung die versprochene Modernisierung von zwei wichtigen Strecken zwischenzeitlich absagen, weil Network Rail Budgets überschritten hatte. Der Aufsichtsrats-Chef der Firma wurde daraufhin gefeuert. Da die Herren des Gleisnetzes eine Strecke von London in den Westen der Insel nicht rechtzeitig elektrifizieren, werden zudem neu angeschaffte Elektroloks unnütz herumstehen.

Eurostar International Ltd. Trains As U.K. Government Prepare Stake Sale

Alles einsteigen, bitte: Frankreich, am Londoner Bahnhof St. Pancras. Die Regierung hat ihre Anteile an Eurostar verkauft.

(Foto: Simon Dawson/Bloomberg)

Die konservative Regierung gab eine Untersuchung zur Zukunft des unglückseligen Staatsbetriebs in Auftrag. Jüngst wurde der Zwischenbericht veröffentlicht, und der schlug die Privatisierung als eine Option vor. Es wäre schon das zweite Mal, dass sich der Staat vom Schienennetz trennt. In den Neunzigerjahren landete das Netz nach der Zerschlagung von British Rail bei einem Unternehmen namens Railtrack. Doch der Konzern ließ das Netz verkommen. Im Jahr 2000 starben bei einem Zugunglück vier Passagiere, und Railtracks Schlampigkeit wurde dafür mitverantwortlich gemacht.

In der Folge meldete die Firma Insolvenz an. Neuer Betreiber des Netzes wurde Network Rail, ein Unternehmen, das vom Staat finanziert und kontrolliert wird - und das einen Schuldenberg von heute umgerechnet 53 Milliarden Euro mit sich herumträgt. Neben Zuschüssen der Regierung erhält Network Rail Nutzungsgebühren von den 22 Zuggesellschaften, die auf die Gleise angewiesen sind.

Eine Trennung von Netz und Betrieb - das wünschen sich viele auch für Deutschland

Großbritannien setzt damit ein Modell um, das sich viele Kritiker der Deutschen Bahn für die Bundesrepublik wünschen: Netz und Betrieb sind getrennt, es gibt keine Verbindung zwischen dem Besitzer der Schienen und einem großen Betreiber der Züge. Die Führung der Deutschen Bahn hingegen hält gar nichts von der Idee, das Schienennetz abzuspalten.

In Großbritannien machen sich heute viele Zuggesellschaften Konkurrenz - eine Trennung von Netz und Betrieb könnte also tatsächlich hilfreich sein, um funktionierenden Wettbewerb herzustellen. Andererseits ist das Vereinigte Königreich auch ein Beispiel dafür, dass eigenständige Netzbetreiber ihre Aufgaben nicht immer ordentlich erledigen.

37,76 Milliarden Pfund

... Schulden hat Network Rail, der vom Staat kontrollierte Betreiber des britischen Schienennetzes. Das sind 53 Milliarden Euro. Das Königreich ist Vorreiter bei der Privatisierung der Bahn. Um das Netz kümmerte sich einst die private Firma Railtrack, die aber nach ihrer Insolvenz von Network Rail aufgefangen wurde. Jetzt könnte das Netz wieder verkauft werden.

Die Opposition der Labour-Partei jedenfalls glaubt nicht, dass die Privatisierung der Bahn unter Margaret Thatchers Nachfolger John Major viel Gutes brachte. Die Sozialdemokraten fordern in ihrem Programm eine Verstaatlichung der Branche. Klar ist: Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern zahlen britische Passagiere viel für ihre Tickets. Zugleich sind Züge häufig verspätet, und Schnellverbindungen gibt es wenige. Das sind die unerfreulichen Ergebnisse einer Studie der Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group.

Die Regierung plant allerdings, eine neue Schnellstrecke zwischen London und Nordwest-England zu bauen. HS2 soll sie heißen, High Speed 2. Die Gesellschaft, die für dieses Prestige-Projekt zuständig ist, hat eine ganze Reihe wichtiger Manager vom Krisenunternehmen Network Rail abgeworben. Das habe zu den Schwierigkeiten bei den Herren des Gleisnetzes beigetragen, sagen Kritiker.

Für eine Privatisierung sind das keine guten Vorzeichen. Aber wenn der Verkauf an Investoren die Probleme nicht löst, kann die Regierung das Gleisnetz ja wieder verstaatlichen. Erfahrungen damit gibt es schließlich genug.

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