Großbritannien:Klassenkampf

London Underground 48-hour Tube Strike Affects Rush Hour

Überfüllter Waggon in London während eines Streiks des U-Bahn-Personals: Zu solchen Ausständen aufzurufen, soll schwieriger werden.

(Foto: Oli Scarff/Getty Images)

Die britische Regierung will Streiks deutlich erschweren. Dabei sind die Gewerkschaften gar nicht mehr so rebellisch. Das kann sich nun allerdings ändern.

Von Björn Finke, London

Es sei der größte Angriff auf britische Gewerkschaften seit 30 Jahren, sagt Frances O'Grady, Chefin des Gewerkschafts-Dachverbands. Ein anderer Funktionär verspricht, jenes Gesetz "mit Händen und Füßen" zu bekämpfen. Ein dritter Gewerkschafter sagt, für diesen Kampf würde er sogar ins Gefängnis gehen. Kein Zweifel - der "Trade Union Bill" ist eines der umstrittensten Gesetzesvorhaben der konservativen Regierung. Am Montag diskutierten die Abgeordneten im britischen Parlament erstmals darüber. Ein heikler Zeitpunkt, denn zugleich hält der Gewerkschafts-Dachverband TUC seine Jahreskonferenz in Brighton ab. Die Redner im Seebad griffen die Pläne scharf an und drohten mit Streiks.

Um Streiks dreht sich auch das Gesetz: Zu diesen aufzurufen soll deutlich schwieriger werden. Zugleich könnte der Rechtsakt die Gewerkschaften Einnahmen kosten. Die Opposition von der Labour-Partei wiederum müsste sich auf weniger Spenden einstellen. Der Zorn der Arbeiter-Funktionäre überrascht daher nicht - Großbritannien steht vor einem heißen Herbst.

Das Gesetz stellte der neue Wirtschaftsminister Sajid Javid vor. Der Ex-Investmentbanker, ein Sohn armer Einwanderer aus Pakistan, ist glühender Verehrer der Eisernen Lady Margaret Thatcher. Der früheren Premierministerin hätte das Vorhaben sicher gefallen: Sie ging keinem Streit mit Gewerkschaften aus dem Weg.

Auch andere Pläne der Regierung sind ganz im Geiste Thatchers verfasst. Nachdem die Konservativen im Mai überraschend die absolute Mehrheit der Mandate gewonnen haben, regieren sie nun ohne Koalitionspartner - und setzen auf Tory-Politik in Reinform. So will der Schatzkanzler die Sozialausgaben um 17 Milliarden Euro kürzen. Die übrigen Ministerien müssen ebenso sparen, damit sich die notorischen Haushaltsdefizite bis 2019 in einen Überschuss verwandeln. Subventionen für Öko-Strom streichen die Konservativen gleichfalls zusammen. Nur die geplante Erhöhung des Mindestlohns passt so gar nicht zu Thatchers geistigem Erbe.

Dafür garantiert das neue Gewerkschafts-Gesetz umso mehr Ärger. Demzufolge muss die Urabstimmung vor einem Streik eine Wahlbeteiligung von 50 Prozent erreichen. Diese Schwelle wird bei Arbeitsniederlegungen bislang oft unterschritten. Eine zweite, noch härtere Bedingung soll in Branchen gelten, auf deren Dienste die Öffentlichkeit angewiesen ist, etwa bei Bahnen, in Schulen oder in Krankenhäusern. Hier muss nicht bloß die Mehrheit der Abstimmenden für den Streik sein, sondern diese Mehrheit muss zugleich mindestens 40 Prozent aller Wahlberechtigten ausmachen. Kritiker klagen, diese Schwelle sei bei der bisher üblichen Wahlbeteiligung kaum zu überwinden.

Außerdem soll der Rechtsakt Unternehmen erlauben, Streikende durch Zeitarbeiter zu ersetzen. Gewerkschafts-Chefin O'Grady sagt, das Vorhaben bedrohe die "Grundprinzipien des Streikrechts" und schüre Unfrieden, denn wenn legale Streiks nahezu unmöglich seien, "werden die Menschen andere Wege finden, ihre Unzufriedenheit auszudrücken". Zorn erregt auch, dass im öffentlichen Dienst Mitgliedsbeiträge nicht mehr automatisch vom Arbeitgeber an die Gewerkschaft überwiesen werden sollen. Die Beschäftigten müssten dann selbst einen Dauerauftrag einrichten - manche könnten das vergessen oder zum Anlass nehmen auszutreten. Zudem sollen Mitglieder demnächst zustimmen müssen, wenn die Gewerkschaft Teile ihres Beitrags nicht für ihre eigentliche Arbeit, sondern für Parteispenden und politische Kampagnen nutzt.

In den Siebziger- und Achtzigerjahren legten britische Gewerkschaften mit ihren Streiks oft das Land lahm. Doch inzwischen sind die Briten im internationalen Vergleich nicht mehr sehr streikfreudig. In Statistiken der Hans-Böckler-Stiftung rangiert das Königreich hier nur einen Platz vor Deutschland. Ausgerechnet das Anti-Streik-Gesetz könnte nun eine Welle neuer Proteste provozieren.

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