Großbritannien:Katerstimmung auf der Insel

Lesezeit: 3 min

Die Rezession trifft Großbritannien härter als viele andere Staaten. Sogar die Lieblings-Porzellanmanufaktur der Queen befindet sich in der Insolvenz.

Andreas Oldag, London

Das reichdekorierte Porzellan von Royal Worcester holt die Queen immer dann aus den Vitrinen von Schloss Windsor, wenn sie zum Staatsbankett lädt. Doch nun hat es ausgerechnet die traditionsreiche Porzellanmanufaktur erwischt: Die 1751 gegründete Firma erhielt in diesen Tagen einen Zwangsverwalter. Sie ist ein Opfer der Wirtschaftskrise. Ironie der Geschichte: Das Unternehmen in Mittelengland brachte vor kurzem noch eine von Starkoch Jamie Oliver inspirierte Designer-Tasse heraus. Diese trägt die Aufschrift: "Bad Hangover", was übersetzt so viel heißt wie "schwerer Kater". Nun stehen 400 Arbeitsplätze bei Worcester auf dem Spiel. Die Firma sucht einen Käufer.

Buckingham Palace in London: Die Queen bangt um ihren Lieblings-Porzellanhersteller. (Foto: Foto: dpa)

Worcester ist kein Einzelfall: Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen könnte Experten zufolge bis Ende nächsten Jahres um mehr als 40 Prozent steigen. Die gesamte britische Wirtschaft ist in Katerstimmung. Die Finanzkrise hat Industrie und Handel ergriffen. Immer mehr Unternehmen bekommen kein Geld mehr von ihren Banken, warnt der britische Unternehmerverband CBI. Großbritannien stehe vor der schlimmsten Rezession seit 1991. Im nächsten Jahr werde die Wirtschaftsleistung um 1,7 Prozent fallen, nachdem sie schon im dritten und vierten Quartal 2008 sank. "Es ist klar, dass eine kurze und schwache Rezession, wie wir zunächst gehofft haben, nicht mehr aktuell ist", unkt CBI-Direktor John Cridland: "Es wird viel schlimmer."

Reihenhausbesitzer als Millionäre

Zwei Faktoren tragen zu der dramatischen Entwicklung bei: Erstens ist die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas stärker als andere von der Finanzbranche abhängig. Jahrelang war die Londoner City ein Symbol des erfolgreichen wirtschaftlichen Strukturwandels. Doch nun sucht die Branche verzweifelt Schutz beim Staat und streicht kräftig Stellen. Experten schätzen, dass bis Ende 2010 bis zu 60.000 Jobs in der Londoner Finanzindustrie verloren gehen.

Das wiederum hat unmittelbare Auswirkungen auf die Beschäftigung in Restaurants und im Einzelhandel, weil die gutbetuchte Banker-Kundschaft ausbleibt. Zweitens hatten die Briten ähnlich wie ihre ausgabefreudigen Vettern in den USA in den vergangenen Jahren auf einen boomenden Immobilienmarkt vertraut. Die Spekulation machte sogar kleine Reihenhausbesitzer zu Millionären. Gewinne aus Immobilienverkäufen steckten die Briten in den Kauf von Autos, Fernsehern und Reisen.

Das funktionierte, solange die exorbitanten Wertzuwächse der Häuser anhielten. Doch nun ist die Blase geplatzt. Der Baufinanzierer Nationwide schätzt, dass die Immobilienpreise 2008 im Schnitt um 25 Prozent sinken. Die Folge: Immer mehr Briten geraten in die Schuldenfalle. Private Verbindlichkeiten sind im Schnitt doppelt so hoch wie auf dem europäischen Kontinent.

Schwaches Pfund

Nun geht es mit der Wirtschaft bergab. In den drei Monaten bis September stieg die Arbeitslosenquote von 5,4 Prozent auf 5,8 Prozent - die höchste Quote seit Anfang 2000. Der Unternehmerverband erwartet sogar einen Anstieg auf neun Prozent bis Mitte 2010. Das würde bedeuten, dass 2,9 Millionen Briten ohne Arbeit sind. In vielen Branchen sieht es düster aus: Wegen des Absatzeinbruchs musste der Luxuswagenhersteller Land Rover jetzt seine Nachtschicht im Werk Solihull streichen. Er gehört ebenso wie Jaguar dem indischen Tata-Konzern.

Um der Rezession gegenzusteuern, kappte die britische Notenbank Bank of England Anfang des Monats die Leitzinsen um eineinhalb Prozentpunkte auf drei Prozent und damit so massiv wie seit der Wirtschaftskrise Anfang der 90er Jahre nicht mehr. Die Zinssenkung macht allerdings Anlagen in Pfund Sterling unattraktiver. Die britische Währung brach prompt gegenüber Euro und Dollar ein. Dennoch hat King angedeutet, die Zinsen weiter zu senken, zumal er befürchtet, dass die derzeit relativ hohe Teuerung durch eine Deflation in den nächsten Monaten abgelöst werden könnte. Ein allgemeiner Preisrückgang würde Konsum und Investitionen lähmen, warnte der oberste Währungshüter.

Zu hektischen Aktivitäten hat die Konjunkturkrise auch die britische Regierung veranlasst. Labour-Premierminister Gordon Brown will ein Programm für Steuersenkungen durchs Unterhaus bringen, um vor allem privaten Haushalten mit niedrigem Einkommen zu helfen. Von einer soliden Budgetpolitik - einst das Markenzeichen Labours - hat sich Brown mittlerweile verabschiedet. Eine höhere Neuverschuldung nimmt er in Kauf, um mit allen Mitteln die Wirtschaft anzukurbeln. Da stört es in der Downing Street Nummer 10 auch niemanden, dass die EU-Kommission wegen des zu hohen Budgetdefizits ein Verfahren einleiten will. Der Fehlbetrag beläuft sich für das am 30. März 2009 endende Haushaltsjahr auf 3,2 Prozent der Wirtschaftsleistung. Nur: Einen solchen laxen Umgang mit dem EU-Stabilitätspakt hat es ja schließlich in Paris und Berlin auch schon gegeben.

© SZ vom 19.11.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: