Großbritannien:Insel der Unsicherheit

Vor der Wahl am Donnerstag ziehen Investoren viele Milliarden Dollar aus Großbritannien ab. Sie fürchten sich vor zähen Koalitionsverhandlungen oder vor eventuell nötigen Neuwahlen. Der Kurs des Pfundes leidet.

Von Björn Finke, London

Die Spannung steigt, doch viele Investoren haben keine Lust auf diesen Krimi: Am Donnerstag wählen die Briten ein neues Parlament, und Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Konservativen unter Premier David Cameron und der Opposition von der Labour-Partei voraus. Sehr wahrscheinlich wird keine Partei die absolute Mehrheit erringen, was schwierige Koalitionsverhandlungen nötig macht. Oder am Ende gar Neuwahlen. Diese vertrackte Lage könnte den Kurs des Pfundes und von britischen Staatsanleihen belasten, befürchten manche Finanzmarkt-Profis - und verringern deswegen vorsorglich ihr Engagement auf dieser Insel der Unsicherheit. In den ersten drei Monaten des Jahres zogen Investoren Anlagen im Wert von 68 Milliarden Dollar aus Großbritannien ab, wie aus Daten von Crossborder Capital hervorgeht.

Michael Howell, Chef dieser Londoner Beratungsgesellschaft, sagte, die Zahl sei Ergebnis davon, dass Briten Geld jenseits der Grenze investierten und Ausländer Investments im Königreich zurückfuhren. "Ausländisches Kapital ist eben ziemlich flüchtig", sagte er der Zeitung The Times. "Ich denke, die Zahlen spiegeln Unsicherheit wegen der Wahlen wider."

Auch im vergangenen Jahr floss im Ergebnis mehr Geld ab aus dem Vereinigten Königreich als hinein. Das ist ungewöhnlich, denn üblicherweise ist Großbritannien ein Magnet für Kapital aus der Fremde: London ist wichtigster Finanzplatz des Kontinents, zugleich machen viele Reiche aus aller Welt die Hauptstadt zu ihrem Zweit- oder Viertwohnsitz und parken dort Teile ihres Vermögens - ein sicherer Hafen in einer unsicheren Welt, so hoffen sie.

Der Kurs des Pfundes leidet - Anleger sichern sich gegen weitere Schwankungen ab

Doch ganz so stabil ist die politische Lage eben nicht mehr im Königreich. Im vorigen September stimmten die Schotten über die Unabhängigkeit ab, und Umfragen sahen die Separatisten kurzzeitig sogar vorne. Jetzt könnte aus der Parlamentswahl eine schwache Regierung hervorgehen. Bleiben die Konservativen an der Macht, wollen sie zudem in spätestens zwei Jahren das Volk über einen Austritt aus der EU entscheiden lassen, dem wichtigsten Exportmarkt. Und russische Oligarchen, die ihr hart erarbeitetes Geld gerne in London bunkern, sehen mit Sorge die Sanktionen, die der Westen gegen ihr Heimatland verhängte. Eine Verschärfung könnte am Ende auch ihr in Europa geparktes Vermögen treffen.

An der Londoner Börse spiegelt sich die Unsicherheit der Investoren allerdings nicht wider, der Leitindex FTSE 100 ist seit Jahresanfang deutlich gestiegen. Zu diesem Index der 100 wichtigsten Konzerne gehören aber viele Unternehmen, die ihre Geschäfte vor allem außerhalb Großbritanniens machen. Querelen auf der Insel schaden ihnen daher kaum. Dafür litt zuletzt der Kurs des britischen Pfundes gegenüber dem Dollar. Investoren erwarten weitere starke Schwankungen bei der Devise und sichern sich gegen einen Wertverlust ab - der Preis für diesen Schutz hat entsprechend stark zugelegt.

Die Ungewissheit vor dem Urnengang hat auch Folgen in den Firmen. Die Wirtschaftsprüfer von Deloitte fragen regelmäßig die Finanzvorstände der wichtigsten Unternehmen im Vereinigten Königreich, welches die größten Risiken für deren Geschäft sind. In der jüngsten Erhebung toppen Sorgen über den Wahlausgang und ein mögliches EU-Referendum andere Themen deutlich. Zugleich ist die Zahl der Manager gesunken, die neue Produkte auf den Markt bringen oder Investitionen wagen wollen: Sicherheit geht vor. Besonders in unsicheren Zeiten.

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