Großbritannien:Großbritannien spart sich kaputt

Torn Union Jack flag flying

Das Land braucht dringend Investitionen, auch wenn manche davon unpopulär wären.

(Foto: Ian Nolan/Getty Images/Cultura RF)

Das Gesundheitssystem ist marode, die Kluft zwischen Arm und Reich eklatant: Theresa Mays Regierung muss endlich investieren. Sonst gefährdet sie den sozialen Frieden.

Kommentar von Björn Finke

An der Macht zu bleiben, ist Theresa May eine Milliarde Pfund wert. Die britische Premierministerin verspricht, so viel Staatsgeld zusätzlich in Nordirland zu investieren: in Schulen, Krankenhäuser, Straßen. Als Gegenleistung verschaffen die zehn Parlamentarier der nordirischen Protestantenpartei DUP Mays Konservativen bei wichtigen Abstimmungen eine Mehrheit. Den Anfang machten die Abstimmungen über das Regierungsprogramm in dieser Woche.

Die Minderheitsregierung hat also den ersten Test bestanden. Eine ganz andere Frage ist, wie sehr May und ihre Minister wirklich regieren können: gestalten, reformieren, Probleme angehen. All das, wofür Regierungen eben gewählt werden.

Die kommenden zwei Jahre werden schicksalhaft nicht nur für das Königreich, sondern für ganz Europa. Schließlich müssen sich London und Brüssel bis März 2019 auf die Bedingungen des EU-Austritts und zumindest die Grundzüge der künftigen Beziehungen einigen. Die Brexit-Verhandlungen sind mit Abstand die komplizierteste und bedeutendste Aufgabe für May und ihr Team. Doch gibt es neben dem Austritt noch andere Themen, derer sich die Politik dringend annehmen müsste. Leider ist es äußerst zweifelhaft, ob die Minderheitsregierung dafür die Kraft aufbringen wird.

So hat die Katastrophe im Grenfell Tower den Briten vor Augen geführt, dass ihr Land, einer der reichsten Staaten der Erde, ärmere Bürger in Feuerfallen unterbringt. Seit der Tragödie in dem Sozialwohnungs-Bau untersucht die Regierung die anderen Hochhäuser im Königreich. Bisheriger Stand: 100 weitere Wohntürme sind brandgefährlich. Ein Grund ist der harte Sparkurs seit der Finanzkrise. London strich den Kommunen, die für Sozialwohnungen zuständig sind, die Zuschüsse zusammen. Offenbar sparten einige Gemeinden dann an der Sicherheit.

Die Sparwut der Regierung belastet auch den staatlichen Gesundheitsdienst; die Wartelisten für Operationen werden länger. Schulen brauchen ebenfalls mehr Unterstützung: Britische Schüler schneiden bei Vergleichstests bescheiden ab, und Kinder aus einfachen Verhältnissen schaffen es selten an Top-Universitäten, während Firmen über Fachkräftemangel klagen. Zudem sind immer mehr Arme auf Essenspakete von Lebensmitteltafeln angewiesen, seitdem Mays Vorgänger David Cameron die Kriterien für den Bezug von Sozialleistungen verschärft hat.

Die Regierung ist also auf bestem Wege, das Königreich kaputt zu sparen. Der soziale Frieden ist ernsthaft gefährdet.

Viele Bürger sehen das so, sie haben genug von den Sparpaketen. Das zeigt etwa das überraschend starke Abschneiden der Labour-Partei bei den Wahlen. Deren Versprechen, mehr Geld für Soziales, Gesundheit und Bildung auszugeben, kam derartig gut an, dass May ihre absolute Mehrheit der Mandate verlor.

Der Brexit wird die Steuereinnahmen belasten

Sie sollte sich diese Botschaft nun zu Herzen nehmen und deutlich mehr Geld in diese wichtigen Bereiche investieren. Allerdings wird das nicht einfach: Das Haushaltsdefizit beträgt 2,6 Prozent der Wirtschaftsleistung, und die Regierung verfolgt zu Recht das Ziel, es weiter zu senken. Die Unsicherheit wegen des Brexit wird jedoch die Konjunktur und somit die Steuereinnahmen belasten. Will May mehr Geld ausgeben, muss sie die Steuern erhöhen - oder an anderer Stelle sparen.

Etwa bei den Renten. Rentner sind heute im Durchschnitt wohlhabender als werktätige Briten, es gibt daher keinen Grund, diese Gruppe zu hätscheln. Tatsächlich wollten die Konservativen die Garantie kassieren, dass Renten jedes Jahr um mindestens 2,5 Prozent steigen. So stand es im Wahlprogramm. Außerdem sollten Senioren mehr zu den Pflegekosten beisteuern. Beide Vorhaben sind sinnvoll, doch beide überlebten nicht die Verhandlungen mit dem Partner DUP. Einschnitte bei Rentnern oder Steuererhöhungen sind eben unpopulär - und Mays Minderheitsregierung wird es schwerfallen, dafür im Parlament Mehrheiten zu finden. Gleiches gilt für umstrittene, aber wichtige Entscheidungen zur Infrastruktur. So muss das Unterhaus über eine dritte Piste für den überfüllten Flughafen Heathrow abstimmen.

May und ihre Minister werden mehr als genug damit zu tun haben, im Parlament Mehrheiten für ihre diversen Brexit-Gesetze zu organisieren. Die Gefahr ist darum groß, dass sie vor anderen schwierigen Vorhaben zurückschrecken. Probleme werden nicht angegangen, das Land wird nicht geführt, sondern bloß verwaltet. Für das Königreich wären das verschenkte Jahre. Der Preis dieser Minderheitsregierung wäre dann deutlich höher als nur diese eine Milliarde Pfund für Nordirland.

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