Großbritannien:Ein bisschen großzügiger

Die britische Regierung muss den Haushalt sanieren, doch die Bürger haben das ewige Sparen satt. Nun sollen zumindest Staatsangestellte mehr Geld erhalten. Die Freigiebigkeit der Regierung ist ein Ergebnis des Wahldebakels vom Juni.

Von Björn Finke, London

Nicola Sturgeon schreitet voran, Theresa May will ihr folgen. Seit sieben Jahren dürfen die Gehälter im öffentlichen Dienst Großbritanniens nur um ein Prozent im Jahr steigen. Das hatte der frühere Premierminister David Cameron direkt nach seinem Amtsantritt festgelegt. Doch Sturgeon, die Chefin der schottischen Regionalregierung, verkündete am Dienstag, diese Beschränkung in Schottland aufzuheben. Zugleich berichten britische Medien, dass Premierministerin May Ähnliches für das gesamte Königreich plant.

Ihr Vorgänger Cameron führte die Deckelung ein, um den maroden Staatshaushalt zu entlasten. Wegen der Finanzkrise und der Rezession hatte der Konservative von der Labour-Regierung ein Haushaltsdefizit von 9,9 Prozent der Wirtschaftsleistung geerbt - griechische Verhältnisse an der Themse. In diesem Jahr soll das Minus nur noch bei 2,9 Prozent liegen. Aber auch dieser Wert bedeutet, dass Schatzkanzler Philip Hammond weiter sparen muss.

Dass May die Begrenzung aufheben will, hat also nichts mit einem plötzlichen Ausbruch von Wohlstand im Finanzministerium zu tun. Die Pläne sind schlicht ein Ergebnis des Wahldebakels vom Juni. Mit den vorgezogenen Neuwahlen wollte May die absolute Mehrheit ihrer Konservativen Partei im Parlament vor den wichtigen Brexit-Verhandlungen ausbauen. Da jedoch die Oppositionspartei Labour überraschend stark abschnitt, verlor May ihre Mehrheit und ist nun auf die Unterstützung der Kleinpartei DUP aus Nordirland angewiesen. Labours Wahlprogramm versprach ein Ende des Sparens - das erwies sich als enorm populär. Darum forderten Minister nach den enttäuschenden Wahlen, die Regierung solle sich ebenfalls großzügiger zeigen: indem sie etwa die Deckelung der Gehälter beendet.

Insgesamt betrifft die Ein-Prozent-Grenze fünf Millionen Angestellte. Die Beschränkung für sie alle aufzuheben, würde Schatzkanzler Hammond vier Milliarden Pfund, umgerechnet 4,4 Milliarden Euro, im Jahr kosten, schätzen Fachleute. Das ist viel Geld für ein Land, das ohnehin ein Haushaltsdefizit ausweist. Zumal Hammond davon ausgeht, dass die Unsicherheit wegen des anstehenden Brexit die Konjunktur und damit die Steuereinnahmen belasten wird. Um zu sparen, will die Regierung die Ein-Prozent-Grenze daher offenbar nur für bestimmte Berufe abschaffen.

Wichtig für die Auswahl soll sein, ob der öffentliche Dienst Probleme hat, für diese Berufe Bewerber zu finden. Fast ein Drittel der Staatsangestellten arbeiten beim Gesundheitsdienst NHS, ähnlich viele im Bildungssektor. Krankenhäuser berichten bereits über Schwierigkeiten, Stellen für Pfleger und Schwestern zu besetzen. Dass seit der Brexit-Volksabstimmung deutlich weniger EU-Ausländer für solche Jobs ins Königreich kommen, verschärft die Lage. Zudem klagen Schulen über Lehrermangel. Folglich dürften diese Berufe von der Aufhebung der Grenze profitieren.

Für die Angestellten heißt der Deckel, dass sie sich seit 2010 fast jedes Jahr weniger leisten können als im Vorjahr. Denn die Inflationsrate lag meistens über einem Prozent; die Preise stiegen schneller als die Gehälter im öffentlichen Dienst.

Der Brexit verschlimmert das Problem: Seit dem Referendum hat das Pfund kräftig an Wert verloren, weil Finanzmarkt-Profis erwarten, dass die britische Wirtschaft unter dem Austritt leiden wird. Der niedrigere Pfundkurs verteuert Einfuhren, etwa von Lebensmitteln oder Öl, und das schlägt sich auf den Preisschildern an den Supermarktregalen nieder. Zwischenzeitlich legte die Inflationsrate auf 2,9 Prozent zu. Der Brexit kommt die Briten schon teuer zu stehen.

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