Großbritannien:Der Preis der Freiheit

Protests As The British Prime Minister Triggers Article 50

Könnte bald wieder Realität werden: Zwei Männer in Zöllner-Verkleidung protestieren gegen den Brexit. Viele Fragen der künftigen Handelsbeziehungen sind immer noch offen. Foto:

(Foto: Charles McQuillan/Getty images)

Die britische Regierung streitet darüber, ob das Land nach dem Austritt eine Zollunion mit der EU eingehen soll. Exportfirmen wollen das, Brexit-Enthusiasten sind entsetzt. In Nordirland kann dieser Zwist Leben kosten.

Von Björn Finke

Außenminister Boris Johnson machte den Anfang. Er hielt nun die erste von fünf Reden, in denen Mitglieder des britischen Kabinetts in den kommenden Wochen ihre Vision für die Zukunft außerhalb der EU darlegen. Der Brexit-Vorkämpfer gab sich verständnisvoll, ging auf die Sorgen jener Briten ein, die den Austritt ablehnen. Aber beim Thema Binnenmarkt und Zollunion war er wieder voll auf hartem Brexit-Kurs. "Nur wenn wir die Kontrolle über unser Regelwerk und unsere Zölle erlangen", könne Großbritannien ernst zu nehmende Freihandelsverträge abschließen und von Veränderungen in der Weltwirtschaft profitieren, sagte der Konservative.

Das heißt: raus aus dem Binnenmarkt und keine Zollunion. Allerdings ist insbesondere das Thema Zollunion umstritten innerhalb der Regierung und der Konservativen Partei. Wirtschaftsfreundliche Minister betonen die Vorteile so eines Arrangements. Premierministerin Theresa May traf sich vorige Woche zweimal mit den zehn Ministern ihres Brexit-Kabinetts, ohne den Zwist beilegen zu können. Kommende Woche will die Premierministerin dies erneut versuchen, auf einer Klausurtagung in Chequers, ihrem Landsitz. Doch worum geht es bei dem Streit überhaupt? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Was ist eine Zollunion?

Eine Zollunion geht weiter als ein Freihandelsvertrag. Ein Freihandelsvertrag schafft Zölle ab und verbilligt so Exporte. Bei einer Zollunion einigen sich die Staaten zusätzlich auf gemeinsame Zollsätze, die sie auf Importe aus Staaten erheben, die nicht zur Union gehören. Es gibt also keinen deutschen oder französischen Zoll für Rindfleisch-Einfuhren aus Brasilien, sondern nur den einheitlichen EU-Zoll. Das vereinfacht den Handel ungemein, denn auf diese Weise müssen Lieferungen aus Brasilien in der EU nur einmal kontrolliert und verzollt werden. Großhändler können die Ware dann ungehindert von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat transportieren.

Sind nur EU-Mitgliedstaaten in so einer Union?

Die Türkei ist nicht Mitglied der EU und damit nicht der EU-Zollunion, ist aber mit Brüssel eine eigene Zollunion eingegangen. Diese Zollunion zwischen der EU und der Türkei deckt nur Industriegüter ab, nicht Agrarerzeugnisse. Die britische Regierung will nach dem Brexit in einer zweijährigen Übergangsphase die Regeln der EU-Zollunion übernehmen, damit sich für Firmen zunächst nichts ändert. London hofft, sich bis März mit Brüssel auf ein Übergangsabkommen zu einigen. Die Frage ist, was nach der Übergangsphase, von 2021 an, gelten soll. Großbritannien könnte dann genau wie die Türkei eine individuelle Zollunion mit Brüssel aushandeln.

Wo liegen die Nachteile?

Mitglieder einer Zollunion können keine Handelsverträge mit anderen Wirtschaftsmächten wie den USA abschließen, denn wegen des einheitlichen Zolls darf nur Brüssel solche Abkommen aushandeln. Brexit-Enthusiasten wie Johnson schwärmen jedoch davon, dass Großbritannien nach dem Austritt schnell viele solcher Verträge unterschreiben und so die Exporte ankurbeln könne. May hat mit Liam Fox extra einen Handelsminister berufen, um die Abkommen vorzubereiten. Bliebe das Königreich in einer umfassenden Zollunion, wäre Fox zur Untätigkeit verdammt.

Was will die Wirtschaft?

Exportbranchen wie die Auto-, die Luft- und Raumfahrt- und die Pharmaindustrie weisen auf die Nachteile eines Brexit ohne Zollunion hin. So müssten in den Häfen von Calais und Dover Grenzer wieder Lastwagen kontrollieren. Konzerne müssten Zollformulare ausfüllen. Das wäre selbst dann nötig, wenn dank eines Freihandelsvertrags zwischen London und Brüssel keine Zölle auf britische Waren anfallen. Denn ohne die Einschränkungen einer Zollunion könnte Großbritannien Freihandelsverträge mit den USA oder China abschließen und Waren von dort zollfrei auf die Insel lassen. Die Grenzbeamten in Calais müssten zumindest stichprobenartig prüfen, ob Laster aus dem Königreich nicht auch US-Produkte dabei haben. Ansonsten könnten via Großbritannien die EU-Zölle auf US-Importe ausgehebelt werden.

Außerdem wollen die Briten den EU-Binnenmarkt verlassen, möchten sich also nicht mehr an Brüsseler Standards halten. London könnte daher im Rahmen eines Freihandelsvertrags mit den USA etwa die Einfuhr von hormonbehandeltem Rindfleisch erlauben. In dem Fall müssten die Grenzer noch schärfer kontrollieren, damit solche Produkte, die in der EU verboten sind, nicht aufs Festland gelangen und die Gesundheit der Bürger gefährden.

Sind Kontrollen denn schlimm?

Die Lieferketten zwischen Großbritannien und dem Festland sind eng verzahnt. Allein die Autofabriken auf der Insel beziehen jeden Tag mehr als 1100 Lastwagen-Ladungen an Zulieferteilen aus der übrigen EU. Die Werke halten nur Teile für wenige Produktionsstunden auf Lager. Kontrollen könnten zu Verzögerungen führen und diesen steten Nachschub gefährden. Kontrollen könnten zudem den Frieden in Nordirland gefährden, der einstigen Unruheprovinz. Die Grenze zur Republik Irland ist bisher unsichtbar. Wenn Kontrollen nötig sind, könnte sich das ändern. Für radikale irische Nationalisten wäre der Aufbau von britischen Zöllnerhäuschen eine Provokation, Grenzer würden zu Anschlagszielen.

Was möchte Theresa May?

Wie Johnson schließt sie eine Zollunion aus, will aber eine "innovative Zollpartnerschaft" eingehen, die viele Vorteile der Zollunion bietet. Um Kontrollen in Dover und Calais zu vermeiden, könnten etwa britische Grenzer jene Waren verzollen, die im Königreich angelandet werden, doch für die EU bestimmt sind. Die Zölle würden dann nach Brüssel überwiesen. Ob so ein bisher nie erprobtes System funktioniert, ist fraglich. Und die EU hält ohnehin nichts davon. Es sieht so aus, als müsste May sich entscheiden: Die Freiheit, Handelsverträge abschließen zu können, gibt es nur für den Preis neuer Hürden bei Geschäften mit dem übrigen Europa. Und das ist der wichtigste Exportmarkt.

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