Griechenland und die Euro-Zone:Hilflos am Abgrund

Griechenland taumelt, der Staat ist handlungsunfähig, der Reformprozess kommt nicht voran. Viele in Europa stellen sich bereits auf einen Austritt des Landes aus der Euro-Zone ein, finden sogar Gefallen daran. Athen aufzugeben, ist jedoch voreilig - und gefährlich.

Marc Beise

Griechenland solle aus dem Euro austreten, und zwar schleunigst: Das hat Hans-Werner Sinn, der Präsident des Ifo-Instituts, schon vor mehr als zwei Jahren gesagt, in diesem großen Drama ist es fast eine Ewigkeit her. Andere wie Bosch-Chef Franz Fehrenbach forderten gar einen erzwungenen Austritt des Landes aus Euro und EU. Die europäischen Regierungen haben anders gehandelt, sie haben insgesamt 240 Milliarden Euro leihweise Hilfe aus aller Welt organisiert und im Gegenzug einen brutalen Spar- und Reformkurs erzwungen.

Dark clouds over the Acropolis

Düstere Zukunftsaussichten: Griechenland sucht einen Weg aus der Krise - bisher mit wenig Erfolg.

(Foto: dpa)

Das war damals und bisher richtig, weil es hier nicht um den Austritt aus Sportverein oder ADAC ging, sondern um viel mehr. Zu Disposition stand und steht die Mitgliedschaft in einer Währungsunion, wie es nie eine gegeben hat, eine, die als Krönung der europäischen Integration gedacht war. Auch aus einer solchen Gemeinschaft kann man austreten, aber doch nur als ultima ratio.

Politik heißt, alle Möglichkeiten auszuschöpfen

Dieser letzte Moment allerdings, an dem alle anderen vernünftigen Möglichkeiten erschöpft sind, könnte erreicht sein. Die Szenarien sind alle geschrieben, und einige Geldhäuser haben den Austritt Griechenlands schon offiziell auf der Agenda. Europa stellt sich auf einen Austritt Griechenlands ein, gewinnt sogar Gefallen daran. Ökonom Sinn mag sagen: Das hättet Ihr schneller und preiswerter haben können. Politik aber heißt, alle Möglichkeiten auszuschöpfen.

Und tatsächlich ist die Weltgemeinschaft beim Versuch, das griechische Staatswesen vom Kopf auf die Füße zu stellen, den Nepotismus einzudämmen, ein Steuersystem zu installieren, Wachstumsfesseln zu lösen, ein gutes Stück vorangekommen. Es hätte noch besser werden können, wenn nicht inmitten des größten Sturms, sondern erst später gewählt worden wäre. So aber haben die Griechen, obwohl sie mehrheitlich den Euro behalten wollen, die verhassten Altparteien abgewählt und bevorzugen die Protestpartei Syriza, die mit dem Rettungskurs brechen will.

Zwei Möglichkeiten: eine schlechte und eine ganz schlechte

Zugleich taumelt das Land am Abgrund. Der Staat ist handlungsunfähig. Immer mehr Bürger verweigern die Steuerzahlung. Bankkunden ziehen ihr Geld ab. Die Finanzinstitute stehen am Rande der Pleite und werden von der Europäischen Zentralbank am Leben gehalten. Die von EU, EZB und IWF geschickten Reformhelfer sind verhasst. Der Reformprozess ist zum Stillstand gekommen.

Nun gibt es noch zwei Möglichkeiten, eine schlechte und eine ganz schlechte.

Variante I: Die Griechen ziehen ihren Verweigerungskurs durch. Dann müssen die Partner den Stecker ziehen, wenn sie nicht vor der Welt ihr Gesicht verlieren, wenn sie nicht für alle und immer erpressbar sein wollen. Dann wird der Strom, hier: der Euro, abgestellt. Dieses Ende hätte für Griechenland einige Vorteile, weshalb manche Ökonomen es propagieren. Das Land würde das Spardiktat los. Es könnte seine neue alte Währung abwerten.

Das würde man sich freilich mit einer brutalen Rosskur erkaufen. Die Schulden könnten sie nicht mehr bedienen, neues Geld wäre nicht in Sicht. Importe wären kaum noch möglich, zu exportieren aber hat das Land wenig; eine nennenswerte griechische Industrie existiert nicht. Das Land verlöre den Anschluss an den Rettungsverbund und damit einen politischen Stabilitätsanker. Das könnte bis zum Bürgerkrieg und der Rückkehr der Armee gehen. Noch 1974 wurde das Land von einer Junta regiert, und die Europäische Gemeinschaft öffnete den Griechen auch deshalb die Türen, um die Demokratie zu stabilisieren.

Im Vergleich dazu wäre die Situation für die Euro-Union anders als vor zwei Jahren vermutlich beherrschbar, die Konsequenzen sind eingepreist. Die Finanzmarktteilnehmer sind gewappnet, die Risiken eingedämmt. Für den Euro-Raum und Deutschland sind die Herausforderungen erheblich, aber bei vorsichtigem Krisenmanagement beherrschbar, sagt die Deutsche Bundesbank, eine der klugen Stimmen in dieser wilden Zeit.

Ein Mitglied zu opfern, wäre unmoralisch und dumm

Der Schaden für die Euro-Union ist eher subkutan, aber deshalb umso gefährlicher. Die Union würde ihre Seele verraten. Sie opferte ein Mitglied, als ob die Antilopenherde auf der Flucht Junge und Kranke zurücklässt. Eine ökonomische Gemeinschaft kann das tun, einer Wertegemeinschaft ist das unwürdig. Ein solches Vorgehen wäre nicht nur unmoralisch, sondern auch dumm. Denn die Jäger sind hungrig, sie wollen mehr. Und picken sich das nächste Opfer heraus. Die Märkte, also Millionen großen und kleinen Anleger weltweit, würden gegen Portugal spekulieren, womöglich gegen Spanien und Italien. Und um weitere Milliardenhilfen an Griechenland käme man ohnehin nicht herum, will man dem Elend nicht tatenlos zusehen.

Variante II geht so: Die neue starke Partei der Griechen lenkt ein und macht eine Politik, die sie bisher abgelehnt hat. Damit verrät sie ihre Versprechen, rettet aber das Land. Dann geht der zähe Prozess "Geld gegen Reformen" weiter - und am Ende bekommt Griechenland doch noch die Möglichkeit, sich zu sanieren. Das wird ein langer, mühsamer, krummer Weg - aber einer, auf den Europa stolz sein könnte.

Die Entscheidung darüber, wie es mit Griechenland weitergeht, fällen aber weder Angela Merkel noch François Hollande. Am 17. Juni wird gewählt. Wenn der Krisenmodus dem Land und der Union noch so viel Zeit lässt, dann entscheiden die Griechen selbst in dieser Wahl und danach die Zukunft des Landes im Euro; und das ist die einzige gute Nachricht in dem ganzen Schlamassel. Wichtig ist dann nicht, ob sie frei nach Reinhard Mey Dank sagen für den Tag, für die Nacht unterm (Euro)-Dach. Wichtig ist, ob sie tatsächlich die Zeit gekommen sehen zu gehn. Besser, sie bleiben.

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