Griechenland:Tsipras will die Machtprobe - und wird sie verlieren

Alexis Tsipras

Ministerpräsident Alexis Tsipras bei einer Rede vor Parteigenossen in Athen: Es vergeht kaum ein Tag, an dem die griechische Regierung ihre Sterblichkeit nicht aufs Neue testet.

(Foto: AP)

Die Grundregel der Finanzmarkt-Kommunikation in Krisenzeiten lautet: Klappe halten. Doch Athen tut alles, um seine hilfsbereiten Euro-Partner zu verprellen. Der Austritt Griechenlands aus der Währungsunion steht bevor.

Kommentar von Stefan Kornelius

Ein neues Wort macht die Runde, das Wort vom Unfall. Griechenland verlässt den Euro - aber der Auszug findet nicht mehr oder weniger geordnet statt, sondern nach einer Verkettung unglücklicher Umstände, weil die Regierung Tsipras ihre politische Kraft überschätzt. Das Albtraumwort heißt Graccident, zusammengefügt aus Griechenland und accident. Gestern war Grexit, morgen könnte es zum Crash kommen.

Zwar hat die neue griechische Regierung vor einer Woche ihr Bittschreiben an die Euro-Gruppe geschickt, aber naiv wäre es zu glauben, dass damit die Probleme Athens bis zum Sommer verschoben und genug Zeit für eine vernünftige Debatte gewonnen wären. Das Gegenteil ist der Fall. Offenbar hat dieser Kraftakt in der Regierung Tsipras das Gefühl der Unverwundbarkeit geweckt. Es vergeht kaum ein Tag, an dem diese Regierung ihre Sterblichkeit nicht aufs Neue testet und sich dabei in eine politische Zwangslage manövriert, aus der es kein Entkommen mehr gibt.

Grundregel der Krisen-Finanzmarkt-Kommunikation: Klappe halten

Die Liste der verwirrenden, widersprüchlichen und geradezu selbstmörderischen Wortmeldungen ist lang. Alle stehen sie im Widerspruch zur Grundregel der Finanzmarkt-Kommunikation in Krisenzeiten: Klappe halten. So lässt Ministerpräsident Tsipras jeden Tag wissen, dass er ein neues Hilfsprogramm für unnötig hält. Sein Finanzminister kündigt an, die Restsumme aus dem zweiten Hilfspaket nicht akzeptieren zu wollen, wenn die Konditionen nicht geändert würden. Zu den Konditionen hat er sich aber gerade erst verpflichtet. Das Reizwort vom Schuldenschnitt fällt alle 48 Stunden.

Und während die Regierungspartei aus Furcht vor der Selbstzerstörung die Rettungsbedingungen nicht im Parlament debattieren mag, stimmen die Abgeordneten über Gesetze ab, die allesamt die Reformdynamik umkehren: Der staatliche Rundfunk wird wieder installiert, Zwangsversteigerungen bei Erstimmobilien werden ausgesetzt, Steuerschulden dürfen abgestottert werden.

Ökonomische Katastrophendaten und politische Verhärtung

Überhaupt Steuern: Wenn Berichte zutreffen, dass die Steuereinnahmen in den vergangenen acht Wochen um 50 Prozent gesunken sind (während die Zinsen für kurzfristige Anleihen in die Höhe schnellen), dann steht der griechische Staat vor einem dramatischen Liquiditätsproblem. Das Land trocknet finanziell aus. Gerade hat die EU-Kommission die Wachstumsprognose gesenkt, der Finanzminister gibt sich nun mit einem ausgeglichenen Haushalt zufrieden, obwohl jüngst noch ein Primärüberschuss einkalkuliert war.

Zu den ökonomischen Katastrophendaten gesellt sich eine politische Verhärtung, die endgültig an der Weisheit der Regierung in Athen zweifeln lässt. Nachdem wochenlang Deutschland im Mittelpunkt der griechischen Schuldzuweisungen stand, hat sich Tsipras auf der Suche nach dem äußeren Feind nun Spanien und Portugal zugewandt und deren Regierungen beschuldigt, seinen Sturz anzustreben. Das ist ein geradezu unerhörter Vorwurf unter EU-Mitgliedern, der allerdings eine klare Wirkung erzielt: Die Euro-Gruppe steht so geschlossen wie nie zuvor gegen die neue griechische Regierung, die ihre Selbstisolation nicht wahrnimmt.

Tsipras' Macht endet dort, wo sie die Macht der anderen Regierungen gefährdet

Der Ausbruch gegen die Südländer hat gezeigt, dass Griechenlands Euro-Ende inzwischen keinem ökonomischen Kalkül mehr unterliegt - die Ansteckungsgefahr ist gering, die Kollateralschäden sind vermutlich beherrschbar. Griechenlands Zukunft wird politisch entschieden. Es gilt eine simple Gleichung: Athen kann keine Hilfe mehr erwarten, wenn der dafür zu zahlende politische Preis für die anderen Euro-Staaten untragbar hoch wird. Will heißen: Wenn Griechenland das Wohlwollen der EU-Partnerregierungen derart strapaziert, dass dabei lediglich ein Front National oder eine Alternative für Deutschland oder eine Podemos-Bewegung gestärkt würden, dann ist die Freundschaft beendet.

Kein Präsident Hollande, keine Kanzlerin Merkel, keine Ministerpräsidenten Rajoy oder Renzi werden zulassen, dass die radikalen Gruppierungen in ihren eigenen Ländern aufblühen, weil sie die fortwährenden Zumutungen von Tsipras und dessen Regierung zum Zweck des schieren Erhalts der Euro-Zone ertragen müssen. Die Macht der griechischen Regierung endet dort, wo sie die Macht der anderen Regierungen gefährdet.

Die Regierung Tsipras hat in der Woche eins nach dem mühsam errungenen Brief-Kompromiss gezeigt, dass sie es offenbar auf diesen Machtkampf ankommen lassen will und ein anderes Europa anstrebt. Das prinzipielle Wohlwollen der Euro-Staaten scheint sie nicht zu erkennen. Wenn diese Erkenntnis nicht noch wächst, dann ist der Graccident unvermeidlich.

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