Griechenland:Klug durch Krise

Malerei auf einer Häuserwand in Athen

Ende der Krise? Düstere Wandbilder sind ein wiederkehrendes Motiv in Athen. Dieses jedoch von dem Straßenkünstler INO könnte zumindest auch positiv gedeutet werden.

(Foto: AFP)

Europa hat die entscheidende Lehre aus dem griechischen Debakel gezogen: Sparen allein bringt kein Land wieder auf die Beine. Es braucht Reformen und Geld.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Eine wichtige Nachricht droht im Lärm des Asylstreits unterzugehen: An diesem Donnerstag soll Griechenland in die wirtschaftliche Freiheit entlassen werden. Nach acht langen Jahren nächtlicher Rettungsversuche, böser Worte, gebrochener Versprechen, deutschen Spardiktats und griechischen Leids wird ein wenig erbauliches Kapitel in der jungen Geschichte der Eurozone zugeschlagen. Alle 19 Euro-Staaten werden wieder unabhängig sein. Und, was mit Blick auf die Zukunft besonders wichtig ist, die entscheidende Lehre daraus ist gezogen.

Man hatte versucht, die griechische Krise durch Versuch und Irrtum zu lösen, weil es keine bessere Lösung gab. Vieles wurde versucht, das meiste verworfen. Es ist kaum Zufall, dass Deutschland und Frankreich just in dem Moment, da sie Athen wieder die Souveränität zugestehen, eine Reformagenda für die Währungsunion vorlegen, die der Austerität abschwört. Sparen allein bringt kein kriselndes Land auf die Beine, es braucht künftig vielmehr Reformen und finanzielle Unterstützung, so lässt sich die Botschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zusammenfassen. Sie lässt sich wie ein Schuldeingeständnis lesen. Alle Vorschläge laufen darauf hinaus, dass sich eine Leidensgeschichte wie die griechische nicht wiederholen soll, die mit Massenarbeitslosigkeit, Rentenkürzungen, wirtschaftlichem Niedergang und ständigen Neuwahlen einherging.

Europa hat dazugelernt: Sparen allein bringt kein kriselndes Land auf die Beine

Es gilt die alte Erkenntnis: Wer einen anderen Kurs fahren will, muss das Steuer neu ausrichten. Deshalb ist es richtig, dass Merkel und Macron die Euro-Zone so umbauen wollen, dass sie künftig schnell und unbürokratisch reagieren kann. Sie wollen einen Haushalt für die Euro-Zone schaffen, der Regierungen in schlechten Zeiten hilft, in Aus- und Weiterbildung oder joberhaltende Maßnahmen zu investieren. Gerät ein Staat unerwartet in Schwierigkeiten so wie damals in der Finanzkrise Irland und Spanien, sollen künftig kurzfristige Kredite mit leichten Reformauflagen helfen, die Folgen zu mildern. Außerdem ist ein weiteres Sicherheitsnetz für Spareinlagen vorgesehen.

Man kann jetzt wie die CSU monieren, dass es sich im Grunde genommen nur um weitere europäische Geldtöpfe handelt. Und dass damit jeglicher Anreiz für Reformen genommen wird. Wer aber so argumentiert, muss sich bitte auch die Gegenfrage stellen: Wäre die griechische Krise so dramatisch für die Bürger und so teuer für die Kreditgeber geworden, hätte man damals schon die Möglichkeit zum Gegensteuern gehabt, welche die neuen Geldtöpfe bieten? Sicher nicht.

Wenn es überhaupt etwas Grundsätzliches zu kritisieren gibt, dann die Tatsache, dass es so lange gedauert hat, bis die Euro-Retter aufgewacht sind; vor allem die in Deutschland. Angela Merkel, die einzige noch amtierende Politikerin, die von Anfang an maßgeblich dabei war, hat einen langen Weg zurückgelegt von den Anfängen im Jahr 2010, als sie in Brüssel forderte, Staaten, die über ihre Verhältnisse lebten, das Stimmrecht zu entziehen. Oder die Kreditzusagen für Athen verschob, weil sie erst die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gewinnen wollte - was schiefging. Sie war es auch, die einen Schuldenschnitt für Banken und Versicherer durchsetzte, der in der Konsequenz andere Euro-Staaten wie Italien in die Bredouille brachte, weil die sicher geglaubten Staatsanleihen nicht mehr sicher waren.

Griechenland hat einen Vertrauensvorschuss verdient

Es entbehrt nicht der Ironie, dass auch in der griechischen Krise die Zusammenarbeit mit Paris sehr eng war, wenn auch auf andere Weise. Frankreich sprang Athen stets zur Seite, wenn es galt, das Schlimmste zu verhindern. Erinnert sei an den Sommer 2015, als es zum Showdown zwischen Berlin und Paris kam. Deutschland forderte den Ausschluss Griechenlands aus dem Euro. Frankreich legte sein Veto ein. Merkel kam gesichtswahrend aus der Angelegenheit, weil sie in einer dramatischen letzten Nacht bei der griechischen Regierung angeblich harte Bedingungen durchsetzte. Etwa einen Privatisierungsfonds, der mit 50 Milliarden Euro gefüllt werden sollte. Und die finanzielle Beteiligung des Internationalen Währungsfonds.

Beide Positionen hat Merkel lautlos geräumt. Trotzdem ist Griechenland weiter im Euro, wird das Land das dritten Kreditprogramm beenden. Ist damit alles gut? Nein, diese Schlussfolgerung wäre fahrlässig. Griechenland hat die Hälfte seines Lebens mit dem Euro unter der Fuchtel von Geldgebern verbracht. Die ersten Schritte in die Freiheit werden mühsam sein, man weiß nicht, ob die Anleger dem Land zutrauen, allein solide zu wirtschaften. Das ist auch den Kreditgebern klar, weshalb sie Athen mit einem finanziellen Polster ausstatten. Es wird reichen, alle finanziellen Verbindlichkeiten bis 2022 zu zahlen, also bis über die nächste Bundestagswahl hinaus. Man kann das jetzt wieder kritisieren. Oder aber als Vertrauensvorschuss interpretieren. Athen kann seinerseits beweisen, dass es ihn verdient hat.

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