Griechenland:Früchte des Zorns

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Gemüse ist noch die harmloseste Waffe der Demonstranten in Athen. Die Rentenreform der Regierung sehen sie als "Guillotine". (Foto: Alkis Konstantinidis/Reuters)

Mit lange nicht gesehener Brutalität entlädt sich der Protest gegen die Reformpläne von Alexis Tsipras. Dabei hatte ihn doch einst selbst die Wut der Straße ins Amt gebracht.

Von Mike Szymanski

Wenn es doch nur bei den Tomaten geblieben wäre, die die Bauern aus Protest warfen. Als sie mit dem Landwirtschaftsministerium in Athen fertig sind, liegen aber Scherben am Boden, und die Räume sind verwüstet. Die Straße zum Flughafen haben sie mit ihren Traktoren auch blockiert, nachdem sie wie die Geisterfahrer in die falsche Richtung gefahren waren. Den Pflug benutzten sie, um die Leitplanken einzureißen. Reisende, die zum Flughafen wollen, ziehen ihre Rollkoffer in Schlangenlinien an brummenden Traktoren vorbei, die griechische Fahnen wie eine Kriegsbemalung tragen. An anderer Stelle bearbeiten die Demonstranten ein Polizeiauto mit langen Hirtenstöcken: Sie schlagen solange auf die Frontscheibe ein, bis sie zerbirst.

So ungehemmt hat sich die Wut gegen die Sparpolitik in Griechenland schon lange nicht mehr entladen. Melonen-Bauer Theodoros Koutsounis, 60, sagt: "Wir verlangen keinen Reichtum. Wir wollen überleben." Auf den Protest-Plakaten auf dem Athener Syntagma-Platz steht: "Nehmt die Guillotine zurück." Dieser Freitag ist ein Tag zum Fürchten. Überhaupt geht eine Woche in Athen zu Ende, die schlimmste Erwartungen für die Zukunft weckt. Die Regierung des Linkspolitikers Alexis Tsipras - einst vom Protest ins Amt getragen - steckt inzwischen selbst in größter Not.

Landwirte, Gewerkschafter, Selbständige und Anwälte gehen in Athen zu Tausenden auf die Straße, um gegen die geplante Rentenreform und die Sparpolitik der Regierung zu demonstrieren. Gerade die Rentenreform gilt den europäischen Kreditgebern als Beleg dafür, ob Tsipras das Land wirklich sanieren will. Seine Vorgängerregierungen hatten die Bezüge in den vergangenen fünf Krisenjahren zwar elfmal gekürzt, den Umbau aber immer wieder aufgeschoben. Tsipras ist nun derjenige, der die Botschaft überbringen muss, dass das System trotzdem kollabiert.

Die internationalen Kreditgeber erwarten, dass Athen, 1,8 Milliarden Euro einspart. Niemand kann da mehr geschont werden. Die Reform bringt so alle Berufsgruppen gegen die Regierung auf. Und das Land fällt in die Rezession zurück.

Ein Bauer aus Kreta hat zwei Tonnen Mandarinen mit nach Athen gebracht. Er verschenkt sie lieber auf dem Syntagma, als sie zu verschleudern. Neben ihm sitzt Vicki Mitsopoulou, 55 Jahre alt und arbeitslos, vor einem Zelt. Sie glaubt, die Kreditgeber wollten jetzt auch die griechische Landwirtschaft kaputt machen.

Die Rentenreform sollte fair sein - nun treibt sie alle Gruppen zugleich auf die Straße

Von der Heftigkeit der Proteste ist der Architekt der Reform, Arbeits- und Sozialminister Giorgos Katrougalos, überrascht worden. Sein Plan sieht vor, die Bestandsrentner von Kürzungen auszunehmen. Künftig soll es eine nationale Grundrente von 384 Euro geben. Einen Teil der eingeforderten Sparziele will Athen über höhere Beiträge erbringen. Als "fair" verteidigt er das Konzept. Tsipras hatte zuvor bereits erklärt: "Wir sind bereit, mit allen zu reden." Ohne Dialog gebe es keine Lösungen.

Anfangs hatte die Regierung den Bauern noch verboten, mit ihren Traktoren nach Athen zu kommen. Das hatte am Freitag die Stimmung aber nur zusätzlich aufgeheizt. Der stellvertretende Innenminister Nikos Toskas rückte deshalb vom totalen Verbot ab. Verhindern, dass die Demonstrationen so außer Kontrolle gerieten, konnte er so aber auch nicht mehr.

"Wir befinden uns mitten in einem gewaltigen Sturm", sagt Nikos Chryssochoidis, Händler auf einem anderen Marktplatz. Als die Börse im vergangenen Sommer nach fünf Wochen Zwangsschließung wegen der Schuldenkrise wieder öffnete, sah er darin noch ein Zeichen des Aufbruchs für Griechenland. Die Monate, die folgten, waren aber ernüchternd, die endende Woche deprimierend. Der Leitindex Athex lag zwischenzeitlich bei 421 Punkten, der tiefste Stand seit mehr als 25 Jahren.

Die erste Überprüfung der Reformschritte zieht sich nun hin, das Ergebnis ist aber Voraussetzung für weitere Gelder. Die Banken, gerade erst rekapitalisiert, kommen womöglich wieder ins Straucheln, die Anleger haben Angst. "Sie glauben nicht mehr an ein gutes Ende", sagt Chryssochoidis. Hinzu kommt die Sorge um den Ölpreis, die den Banken zu schaffen macht. Und wenn die Regierung nun scheitert, womöglich von Bauern zu Fall gebracht, drohen auch noch Neuwahlen.

© SZ vom 13.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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