Griechenland:"Ein historischer Moment"

Griechenland bekommt zum Ende der Hilfsprogramme noch ein letztes Milliarden-Paket - und Schuldenerleichterungen. Dann muss das Land finanziell auf eigenen Beinen stehen.

Von Alexander Mühlauer, Luxemburg

Es ist schon weit nach Mitternacht, aber Euklid Tsakalotos ist hellwach. "Es hat ein bisschen länger gedauert als erwartet, aber es ist sehr gut ausgegangen", sagt der griechische Finanzminister sichtlich erleichtert. Und fügt lächelnd hinzu: "Ich denke, das ist das Ende der griechischen Krise." Dann macht er eine kurze Pause, als könne er es selbst kaum glauben: "Ein historischer Moment." Diesen Satz hört man in dieser Nacht öfters. Bruno Le Maire, der französische Finanzminister sagt ihn ebenso wie Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici. Nach acht Jahre Dauerkrise und drei Multi-Milliarden-Programmen sind sich die Euro-Finanzminister einig: Griechenland soll es wieder alleine schaffen. Wenn das nunmehr dritte Kreditprogramm am 20. August ausläuft, soll Athen wieder aus eigener Kraft überleben können.

Überleben? Ja, um nicht weniger ging es bei so manch dramatischen Gipfeln und Sondersitzungen, als nicht klar war, ob das Land überhaupt noch in der Währungsunion bleiben soll. Doch von dieser Aufregung sind die Finanzminister in der Nacht von Donnerstag auf Freitag weit entfernt. Klar, sagt einer von ihnen, hätte man sich auch schneller einigen können, aber warum sollte es im Falle Griechenlands am Ende einfach sein?

Nein, ganz so leicht ist es dann doch nicht. Schließlich geht es darum, dass Athen, wie Bundesfinanzminister Olaf Scholz sagt, wieder auf eigenen Füßen stehen kann. Es geht darum, ein Paket zu schnüren, das für alle irgendwie glaubwürdig ist - nicht nur für Griechenland und die anderen Euro-Staaten, sondern vor allem auch für die Finanzmärkte.

Zwei Optionen sind es, die auf dem Tisch der Finanzminister liegen. Zwei Wege, die Athens Schuldenlast senken und den Märkten genügend Vertrauen geben sollen. Am Ende geht es um zwei Zahlen: Werden die Laufzeiten bereits vergebener Kredite um 10 oder 15 Jahre verlängert? Davon hängt ab, wie viel Geld Athen noch ausgezahlt bekommt. Allen voran Scholz dringt darauf, die Schuldenerleichterungen so gering wie möglich zu halten. Ursprünglich wollte der deutsche Finanzminister die Laufzeiten nur um drei Jahre verlängern; doch auch er musste einsehen, dass dies weder nachhaltig noch glaubwürdig gewesen wäre.

Griechenland: Griechenland soll nach vielen Jahren finanziell wieder auf eigenen Beinen stehen.

Griechenland soll nach vielen Jahren finanziell wieder auf eigenen Beinen stehen.

(Foto: Louisa Gouliamaki/AFP)

Und so steht am Ende die Zahl 10, verbunden mit dem Hinweis, dass im Jahr 2023 überprüft werden soll, "ob zusätzliche Schuldenerleichterungen nötig sind". Das kann in dieser Nacht natürlich niemand beurteilen. Genau so wenig, ob Griechenland die Ziele erreicht, die es fortan einzuhalten hat. Es ist ein strikter Pfad, den die anderen überwachen und vierteljährlich beurteilen werden. Das Kreditkorsett ist streng geschnürt und auch der Primärüberschuss, also der Überschuss vor Abzug des Schuldendienstes, klar definiert. Bis 2022 soll dieser bei 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen, danach bei 2,2 Prozent - und zwar bis 2060.

Als letzte Auszahlung bekommt Griechenland 15 Milliarden Euro. Davon sollen 5,5 Milliarden für den Schuldendienst verwendet werden. Mit dem Rest soll Griechenland einen sogenannten Cash-Puffer aufbauen. Insgesamt wird Athen das Programm mit einem "ansehnlichen Cash-Puffer" von 24,1 Milliarden Euro verlassen, heißt es im Beschluss der Eurogruppe. Damit soll der Finanzbedarf nach dem Ende des Programms im August für etwa 21 Monate abgedeckt sein. Damit habe Athen eine "signifikante Absicherung gegenüber jeglichen Risiken".

Auch Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, ist nach Luxemburg gekommen. Der IWF war von Anfang an dabei, um Griechenland zu helfen. Doch in dieser Nacht wird klar, dass die Europäer den Fonds zumindest finanziell nicht mehr brauchen. Zur ursprünglichen Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF ist nicht nur der Euro-Rettungsfonds ESM dazu gekommen; er ist es auch, der in den Krisenjahren immer stärker in die Rolle eines Währungsfonds gewachsen ist. Ob aus dem ESM auch tatsächlich ein solcher werden soll, wollen die Staats- und Regierungschefs beim Euro-Gipfel in der kommenden Woche besprechen.

Soweit zufrieden

Die deutschen Parteien beurteilen die Beschlüsse zur Beendigung der Finanzhilfen für Griechenland unterschiedlich. Die Unionsfraktion des Bundestages zeigte sich zufrieden. Die Einigung stelle "einen Kompromiss dar, den wir mittragen können", sagte Vize-Chef Ralph Brinkhaus in Berlin. Er bezeichnete die vereinbarte Abschlusszahlung als "sinnvoll, um Vertrauen für die Rückkehr an den Kapitalmarkt zu schaffen". Haushaltsexperte Eckhardt Rehberg sagte, "für Deutschland ist entscheidend: Einen Schuldenerlass oder Schuldenschnitt wird es für Griechenland nicht geben". FDP-Fraktionsvize Christian Dürr sagte dagegen, der zusätzliche Finanzpuffer sei "ein falsches Signal". Die Bürger dürften "nicht für Risiken in Haftung genommen werden, die auch Finanzinvestoren nicht zu tragen bereit sind". Die Grünen waren zufrieden mit den zusätzlichen Milliarden. "Der Kaputtsparkurs von Wolfgang Schäuble hat viel zu lange und viel zu viel Schaden angerichtet", sagte Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler. Die Beschlüsse der Euro-Gruppe müssen im Plenum des Bundestags bestätigt werden. Cerstin Gammelin

Der IWF wiederum beteiligt sich nicht mehr finanziell am letzten Kreditprogramm. Lagarde hatte als Voraussetzung dafür weitaus umfassendere Schuldenerleichterungen gefordert. Und deshalb tut sie den Euro-Staaten in dieser Nacht auch nicht den Gefallen, die beschlossenen Maßnahmen für gut zu heißen. Im Entwurf der Abschlusserklärung war der Wunsch der Europäer noch zwischen eckigen Klammer formuliert: "Der IWF begrüßte (...) die weitere Spezifizierung der Schuldenmaßnahmen (...) und stimmt zu, dass diese die Schuldentragfähigkeit Griechenlands wiederherstellen können." Nur: Daraus wird nichts. Der Währungsfonds habe "langfristig" weiter "Bedenken" mit Blick auf Griechenlands Schuldentragfähigkeit, sagt IWF-Chefin Lagarde nach der Sitzung. Doch das will in dieser Nacht niemand hören.

Auch am Tag danach nicht. Olaf Scholz und seine Kollegen reden lieber über das, was geschafft wurde. "Wir haben einander unsere Kraft geliehen und einem Land geholfen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen", sagt Scholz. Von einem "historischen Moment" spricht er nicht. Nur so viel: "Ich bin ganz zufrieden."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: