Griechenland:Drei Seiten, die es in sich haben

Griechenland: Demonstration vor dem Athener Parlament im Juni: Macht der IWF nicht mit, wird es für Deutschland viel teurer.

Demonstration vor dem Athener Parlament im Juni: Macht der IWF nicht mit, wird es für Deutschland viel teurer.

(Foto: Daniel Ochoa de Olza/AP)
  • Der Internationale Währungsfonds sagt: Ohne einen radikalen Schuldenerlass schafft es Griechenland nicht aus der Krise.
  • Der IWF will selbst allerdings keinen Zahlungsausfall tolerieren.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Gerade einmal drei Seiten ist der jüngste Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Lage in Griechenland lang, doch es sind drei Seiten, die es in sich haben - und sich noch einmal auf drei Sätze reduzieren lassen. Erstens: Ohne einen radikalen Schuldenerlass kommt das Land nicht wieder auf die Beine. Zweitens: Ein solcher Erlass ist allein Sache der Euro-Staaten - der IWF selbst wird nicht auf Geld verzichten. Und drittens: Kommen die Euro-Partner Athen nicht entgegen, macht der Währungsfonds beim geplanten dritten Hilfsprogramm nicht mit.

So kurz der Bericht ist (hier als PDF), so sehr setzt er Angela Merkel unter Druck, denn alle drei Aussagen laufen ihrem bisherigen politischen Kalkül zuwider. Doch die Kräfte, die an Fonds-Chefin Christine Lagarde zerren, sind nicht weniger gewaltig: Rein rechtlich gesehen muss sie jede Beteiligung an einer Rettungsaktion ablehnen, bei der der IWF Geld verlieren könnte. Und politisch betrachtet steht die Französin in Teilen Südamerikas und Asiens schon lange im Verdacht, ausgerechnet mit den wohlhabenden Europäern allzu milde umzugehen.

"Völlig untragbares" Niveau

In seiner Analyse kommt der Fonds zu dem Ergebnis, dass die Schuldenlast Griechenlands aufgrund der Reformverweigerung der neuen griechischen Regierung in den kommenden Jahren auf ein "völlig untragbares" Niveau steigen wird, die Rückzahlung möglicher weiterer IWF-Kredite mithin ungewiss wäre. Statt mit einem weiteren Rückgang der Schuldenquote bis zum Jahr 2020 auf einen erträglichen Wert von gut 100 Prozent rechnen die Experten nun mit einem zeitweisen Anstieg auf sagenhafte 200 Prozent - und selbst diese Projektion beruht noch auf sehr optimistischen Annahmen. So müsste Athen, wenn man die Ausgaben für Zins und Tilgung einmal außen vor lässt, über Jahrzehnte hohe Haushaltsüberschüsse erwirtschaften und beim Produktivitätswachstum wie bei der Beschäftigungsquote vom letzten Platz in Europa in die Spitzengruppe vorspurten.

Und auch die Frage, ob die erneute geplante Finanzspritze für die Banken wirklich die letzte sein wird, lässt sich laut Bericht noch nicht abschließend beantworten. Angesichts der düsteren Ausgangslage geht es für den IWF nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie eines Schuldenschnitts. Aus Sicht der Experten müssen die Euro-Partner entweder einen großen Teil ihrer bisherigen Kreditforderungen an Griechenland sofort abschreiben; hier ginge es um bis zu 140 Milliarden Euro. Oder aber sie verzichten auf neue Darlehen und schenken Athen stattdessen jene gut 8o Milliarden Euro, die das Land bis 2018 zusätzlich benötigt. Sei beides nicht gewollt, bleibe nur eine weitere drastische Verlängerung aller alten und neuen Rückzahlungsfristen mit einer tilgungsfreien Anlaufphase von 30 Jahren. Der IWF selbst hingegen verlangt sein Geld vollständig zurück, weil sein Statut das so vorschreibt und er fürchtet, dass das Beispiel Griechenlands sonst Schule machen könnte.

Für Merkel könnte es brandgefährlich werden

Sollte die Euro-Staaten den Forderungen des Fonds nicht nachkommen, müsste dieser seine Beteiligung am dritten Hellas-Paket wohl verweigern. In Athen sähe man das durchaus gerne, denn der IWF verlangt deutlich höhere Zinsen als die Euro-Partner. Rein technisch gesehen wäre ein Ausstieg des Fonds kein großes Problem, denn er würde ja nicht plötzlich von der Bildfläche verschwinden, sondern als Berater und Zahlen-Dienstleister an Bord bleiben. Lediglich die Kreditsumme müssten die Euro-Länder diesmal allein stemmen.

Das eigentliche Problem wäre ein politisches - und es würde direkt in Angela Merkels Büro im siebten Stock des Kanzleramts aufschlagen. Schon jetzt nämlich tragen weite Teil der Unionsfraktion die Griechenlandpolitik der Regierung nur noch aus Loyalität zu ihr mit. Sollte es nun entweder zu einem Schuldenerlass oder zu einem Ausstieg des IWF kommen - beide Optionen sind für Merkel gleich schlecht -, könnte die Stimmung endgültig kippen.

Der IWF ist nicht mehr wie früher nur rabiat, er hat sich gewandelt

Dabei war es ausgerechnet Merkel gewesen, die den IWF im Kampf gegen die griechische Malaise einst an Bord geholt hatte. Sie setzte auf die jahrzehntelange Erfahrung des Fonds im Umgang mit finanziell angeschlagenen Ländern sowie auf seine Bereitschaft, eigene Hilfsmilliarden beizusteuern. Entscheidend aber war etwas anderes: Der IWF genoss damals in den Reihen der Union den Ruf eines knallharten Sanierers, der sich auch von demonstrierenden Rentnern und streikenden Müllfahrern nicht vom Weg abbringen lässt. Einen solchen Sanierer glaubte die Kanzlerin schon damals an Bord haben zu müssen, um die Griechenland-Rettung in den eigenen Reihen durchsetzen zu können.

Merkel hatte dabei wohl vor allem das rabiate Vorgehen des IWF während der vorangegangenen Finanzkrisen in Asien und Lateinamerika im Kopf. Dass dieser Kurs der Institution die harsche Kritik vieler Experten und Globalisierungsgegner eingetragen hatte, übersah oder ignorierte sie allerdings - genau wie die Tatsache, dass IWF-intern schon Jahre zuvor, ausgerechnet unter dem deutschen Fonds-Chef Horst Köhler, ein grundsätzliches Nachdenken über das richtige Krisenmanagement eingesetzt hatte. Unter Köhlers Nach-Nachfolger Dominique Strauss-Kahn verstärkte sich dieser interne Reformprozess noch, sodass der heutige, sehr viel differenziertere Ansatz des IWF in Griechenland Experten kaum überraschen kann.

Im schlechtesten Fall werden die Abgeordneten des Bundestags demnächst über ein weiteres Griechenland-Paket abstimmen müssen, ohne zu wissen, ob der IWF an Bord bleibt. Für Merkel wäre das eine brandgefährliche Situation - sie wird deshalb alles tun, um sie zu verhindern.

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