Griechenland:Aufruhr und Erleichterung

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Gerade hat das griechische Parlament wieder mal abstimmen müssen, wo das Land als nächstes spart - die Proteste dagegen waren groß. (Foto: Louisa Gouliamaki/AFP)

Die Euro-Finanzminister diskutieren erstmals offiziell darüber, Griechenlands Schuldenlast zu verringern. Die Frage ist nur: Reicht ihr Vorschlag dem IWF?

Von Alexander Mühlauer, Straßburg

Es ist noch nicht lange her, da galt es als Tabu, überhaupt darüber zu sprechen. Vor allem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte sich bis zuletzt dagegen gesträubt. Doch am Montagabend haben die Euro-Finanzminister ihr Schweigen gebrochen und offiziell diskutiert, wie das funktionieren könnte: Schuldenerleichterungen für Griechenland. Der Euro-Rettungsfonds ESM hatte für die Sondersitzung in Brüssel ein Papier vorbereitet, das er den Ministern präsentierte. Überschrift des Dokuments: "Griechenland: Vorschlag für Entschuldungsmaßnahmen."

Darin wird deutlich, dass der ESM die Kernforderung des Internationalen Währungsfonds (IWF) teilt: die Schuldenlast Griechenlands muss gesenkt werden. Das Verhältnis der Wirtschaftsentwicklung zur Verschuldung gebe langfristig Anlass zu "ernsten Sorgen", heißt es in dem Papier. Die ESM-Analyse kann nun als Grundlage für Gespräche über Schuldenerleichterungen dienen, über die Europas Finanzminister bei ihrem nächsten Treffen am 24. Mai beraten werden. Dann soll auch der Weg für die Auszahlung weiterer Hilfen aus dem 86-Milliarden-Euro-Programm frei gemacht werden.

Damit das Geld nach Athen fließen kann, ist es aber laut Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem nicht nötig, dass die Gespräche über Schuldenerleichterungen abgeschlossen sind. Es genügen das vereinbarte Reformpaket sowie die insbesondere vom IWF geforderten Notfallmaßnahmen auf Vorrat. Die Regierung in Athen könnte so im Juni mehr als 5,7 Milliarden Euro von den Kreditgebern erhalten.

In Sachen Schuldenerlass skizzierte Dijsselbloem zwei rote Linien. Einen nominalen Schuldenschnitt (Haircut) schloss er kategorisch aus. Außerdem dürfe das laufende Programm nicht verändert werden. Das heißt nichts anderes als die Aussicht auf Schuldenerleichterungen für die Zeit nach 2018 - falls diese dann nötig sein sollten. Schäuble hatte diese angebliche Notwendigkeit immer wieder bezweifelt. Der IWF jedenfalls dringt schon lange auf Erleichterungen der Schulden, weil diese nach langfristig nicht tragbar seien. Der Währungsfonds machte seine weitere Beteiligung am laufenden Hilfsprogramm deshalb von Schuldenerleichterungen für Athen abhängig. Die Bundesregierung und andere Euro-Staaten wollen wiederum unbedingt, dass der IWF dabei bleibt. Für Schäuble ist dies eine conditio sine qua non, also eine notwendige Bedingung. Die Frage ist nur: Reicht dem Fonds aus Washington das, was den Finanzministern in der Frage der Schuldenerleichterungen vorschwebt?

In dem ESM-Papier werden verschiedene Möglichkeiten durchgespielt. Ziel der Überlegungen ist, unter welchen Voraussetzungen Griechenland die milliardenschweren Kredite an die Geldgeber zurückzahlen kann und trotzdem handlungsfähig bleibt. Der wichtigste Faktor ist die Wirtschaftsentwicklung des Landes, weil sich darin die Einnahmen des Staatshaushaltes spiegeln. In dem Szenario, das der ESM als wahrscheinlichste Möglichkeit darstellt, wächst die griechische Wirtschaft im Jahr 2018 um 3,1 Prozent (zwei Jahre später dann um 2,5 Prozent und im Jahr 2025 um 1,5 Prozent). Demnach würde in diesem Zeitraum der Primärüberschuss - also der Staatshaushalt ohne Zinszahlungen - wie mit den Kreditgebern vereinbart pro Jahr bei 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Danach wächst das Bruttoinlandsprodukt den Annahmen zufolge jährlich aber nur um 1,3 Prozent, wodurch auch der Primärüberschuss auf 1,5 Prozent sinken würde. Damit müsste Griechenland weitaus mehr Geld aus dem Staatshaushalt für anfallende Zinsen aufwenden.

Um die Schuldentragfähigkeit Griechenlands dennoch zu erreichen, hat der ESM drei konkrete Maßnahmen in der Schulden-Werkzeugkiste: Die Laufzeit für Kredite könnte um fünf Jahre auf 37,5 Jahre verlängert werden. Sollte das Wirtschaftswachstum des angeschlagenen Landes schwächer ausfallen und der Primärüberschuss schneller sinken, müssten die Euro-Partner laut ESM die Laufzeiten um zehn Jahre verlängern und dies mit weiteren Maßnahmen kombinieren. Dem Hauptszenario des ESM zufolge könnten die Rückzahlungen bis 2050 außerdem auf ein Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung festgesetzt und die Zinszahlungen für Darlehen auf zwei Prozent begrenzt werden. Damit soll der Staatshaushalt entlastet werden, falls die Wirtschaft eine Schwächephase durchlebt.

Zudem sind laut ESM weitere Maßnahmen denkbar, wie die Überweisung der Zinsgewinne bis 2026, die von der Europäischen Zentralbank (EZB) beim Handel mit griechischen Anleihen erzielt wurden. Das würde rund acht Milliarden Euro ausmachen. Außerdem könnte man Griechenland dabei helfen, die Schulden an den IWF früher zurückzuzahlen, weil die Zinsen für IWF-Darlehen vergleichsweise hoch ausfallen. Der ESM könnte für den Kauf der IWF-Kredite das Geld nutzen, das aus der Rekapitalisierung griechischer Banken übrig geblieben ist.

Athens Finanzminister jedenfalls lobte das Treffen der Eurogruppe als sehr gut für sein Land. Dass die Minister im Rahmen des dritten Hilfsprogramms erstmals über Schuldenerleichterungen sprachen, zeige, so Euklid Tsakalotos, den Willen der Euro-Staaten, eine Lösung zu finden. Für die griechische Regierung ist vor allem die Aussicht auf einen Schuldenerlass innenpolitisch ungemein wichtig.

Genauso wichtig ist es für Deutschland und andere Euro-Staaten, dass die nationalen Parlamente nicht bereits ein Jahr nach der Vereinbarung des dritten Hilfsprogramms mit der Frage von Schuldenerleichterung befasst werden müssen. Und dann gibt es noch die gesamteuropäische Krisenlage. Die Finanzminister wollen auf jeden Fall eine Grexit-Debatte vor dem Brexit-Referendum Ende Juni vermeiden.

© SZ vom 11.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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