Griechenland:Die eigentliche Schuld der Regierung Tsipras

Greek Prime Minister Alexis Tsipras Meets Austrian Chancellor Werner Faymann

Der griechische Premier Tsipras bei einer Pressekonferenz am Mittwoch in Athen

(Foto: Bloomberg)

Griechenland hat im Streit mit den Geldgebern das Maß verloren. Da der Konflikt nicht lösbar ist, wird er eingefroren.

Kommentar von Stefan Kornelius

Während dieser vorletzten Sekunde des Griechen-Dramas zeigt sich ein logischer Widerspruch, der wegen aller politischen Aufladung und Empörung nicht aufzulösen ist. Jetzt, da der Volkszorn hochkocht, bleibt eine rätselhafte Frage: Muss das wirklich alles sein wegen läppischer zwei Milliarden Euro? Muss Europa seine Währung, Griechenland sein bisschen staatliche Glaubwürdigkeit, der Kontinent seine politische Vernunft opfern wegen einer vergleichsweise kleinen Summe?

Zwei Milliarden, vielleicht nur anderthalb - das ist der Betrag, den Griechenland noch einsparen muss, um die Bedingungen zur Auszahlung des zweiten Rettungspakets zu erfüllen. Dieses Geld könnte man Griechenland quasi schenken, angesichts der dreistelligen Milliardensumme, die das Land seinen Gläubigern allemal schuldet - und die es niemals zurückzahlen kann. Zwei Milliarden im Tausch gegen Ruhe und Frieden in der Euro-Zone. Fast schon ein Schnäppchen.

Mangel an Regierungsfähigkeit

Die Zahlen zeigen, dass hier etwas grundsätzlich schiefgelaufen ist. Zwei gegensätzliche Vorstellungen von Europa und seiner Währung haben sich in den vergangenen Monaten unauflösbar miteinander verstrickt. Die Euro-Zone hatte sich in den vergangenen Jahren auf einen Erste-Hilfe-Mechanismus zur Kontrolle der Schuldenkrise geeinigt, der sich auf die Formel Unterstützung gegen Reformen reduzieren lässt. Damit waren die Konstruktionsfehler der Euro-Zone nicht gelöst, aber zumindest kollabierte die Währung nicht.

Griechenland hat sich diese Formel jedoch nie wirklich zu eigen gemacht. Das hat mit dem Mangel an Regierungsfähigkeit in Athen zu tun, mit dem scheinbar unüberwindbaren politischen Clan-System, mit einer anarchisch funktionierenden Volkswirtschaft, die nicht mal ein Katasterwesen kennt. Mit der Regierung Tsipras wurde diese Verweigerung zusätzlich ideologisch aufgeladen. Plötzlich war es Griechenland, das Europas wirtschafts- und finanzpolitisches Modell revolutionieren wollte. Der Schuldner schrieb die Geschäftsbedingungen - eine provozierende Verdrehung der Realität.

Varoufakis' Sticheleien sind schwer zu ertragen

Es ist unendlich schwer, die rhetorischen Sticheleien eines Yanis Varoufakis zu ertragen. Der Finanzminister und am Ende auch Ministerpräsident Alexis Tsipras haben für eine Aufladung gesorgt, die inzwischen das fundamentale Prinzip aller europäischen Zusammenarbeit gefährdet: den Kompromiss. Die Europäische Union ist eine Gemeinschaft, die keine Verlierer kennen darf. Gäbe es stets Triumph und Demütigung - Europa würde nicht existieren können. Hier liegt die eigentliche politische Schuld der Regierung Tsipras. Sie hat das Maß verloren, sie kennt nur schwarz und weiß.

Diese Radikalität hat eine Gefahr wieder aufkommen lassen, die gebannt zu sein schien: Die Schuldenkrise kann erneut die ganze Euro-Zone erfassen, zum Beispiel Spanien oder Portugal. Würden die Gläubiger Griechenland nachgeben oder gar bereits jetzt über einen Schuldenschnitt verhandeln, hätten die anderen Krisenländer ein Anrecht auf Gleichbehandlung. Selbst wenn sich der spanische Premier Mariano Rajoy dieser Logik verweigert, die Bewegung Podemos nutzt sie aus und würde gewählt in der Hoffnung, dass nun andere Regeln in der Euro-Zone durchzusetzen seien. Mehr noch: Würden die Wähler die Griechenland-Regeln nicht auch für sich einfordern, dann würden die Märkte nicht mehr mitspielen.

Glaubwürdigkeit der Euro-Zone in Gefahr

Griechenland fordert also nicht nur Nachgiebigkeit zugunsten der eigenen Schatulle, sondern zerstört auch die Glaubwürdigkeit der Euro-Zone. Also geht es, wieder mal, um alles oder nichts: um die Überlebensfähigkeit des Euro.

All das lässt sich nun nicht mehr in einer Nachtsitzung in Brüssel entwirren. Und ist es mehr als verständlich, dass niemand die Verantwortung übernehmen will für einen radikalen Schnitt - weder der EU-Kommissions-Präsident noch der Chef der Europäischen Zentralbank noch die deutsche Kanzlerin. Ein Grexit ist nicht die Sache eines simplen Beschlusses. Dazu gehören zwei. Und Griechenland wird sich dem Rauswurf ebenso verweigern wie einer Reform. Also bleibt nur eine Lösung: Die Krise wird ungeachtet aller Zahlungsfristen weitergehen. Griechenland wird seine Schulden nicht begleichen, Europa wird kein weiteres Geld zuschießen. Eine Parallelwährung in Form von Schuldverschreibungen wird in Griechenland zirkulieren, für den Euro wird es Kapitalverkehrskontrollen geben.

All das wird enorme emotionale Spannungen provozieren. Griechenland wird ein ökonomischer failed state sein - ein gescheiterter Staat. Eine Tragödie, die für die Euro-Zone schwer erträglich ist. Alles andere wäre schlimmer.

SZ Espresso Newsletter

Auch per Mail bestens informiert: Diese und weitere relevante Nachrichten finden Sie - von SZ-Autoren kompakt zusammengefasst - morgens und abends im SZ Espresso-Newsletter. Hier bestellen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: