Smarte Kleidung:So funktioniert die Jeansjacke aus Googles Geheimlabor

Lesezeit: 4 min

Sieht aus wie eine gewöhnliche Jeansjacke, ist aber ein smartes Kleidungsstück. (Foto: Levi's; Bearbeitung SZ)
  • Der Google-Konzern arbeitet seit Jahren daran, alltägliche Produkte mit smarter Technik zu verbinden.
  • Mittlerweile hat das firmeneigene Geheimlabor eine Jeansjacke mit eingebauter Smartphone-Steuerung entwickelt.
  • Labor-Chef Dan Kaufman gewährt nun einen seltenen Einblick in die Entwicklung der smarten Kleidung.

Von Kathrin Werner, Austin

Neulich hat Dan Kaufman in San Francisco einen Mann auf der Straße gesehen, der seine Jacke trug. "Coole Jacke", sagte Kaufman zu dem Fremden. Der Fremde fing an zu erzählen, führte die Jacke vor und ließ sich gar nicht bremsen. "Es ist eine schlaue Jacke. Wenn ich hier tippe, kann ich Musik hören. Wenn ich hier streiche, mache ich einen Anruf." Kaufman grinste und unterbrach den Mann nicht. Am Ende sagte der Fremde: "Die Jacke ist übrigens von Google." Es ist ein neues Erlebnis für Kaufman.

Er leitet Googles Geheimlabor Advanced Technologies and Products (Atap) und ist damit der Cheferfinder hinter der schlauen Jeansjacke, die man in den USA inzwischen kaufen kann, eine Co-Produktion mit der Denim-Firma Levi's. Bevor die Jacke auf den Markt kam, hat Kaufman an komplizierter Technik getüftelt, die er nie auf der Straße sah. Jetzt kann er beobachten, wie seine Entwicklungen bei ganz normalen Menschen ankommen. "Das fühlt sich ziemlich gut an", sagt er. "Technik kann so eine Begeisterung auslösen, das kann man leicht vergessen, wenn man nur im Labor steht."

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Google hat schlaues, unauffälliges Kupfergarn erfunden, das Signale ausliest und über ein kleines Bluetooth-Gerät an das Smartphone weiterleitet. Bei der Jeansjacke ist das Garn in den linken Ärmel eingewebt. Streicht der Träger über den Stoff oder tippt ein oder zwei Mal, empfängt das Smartphone Befehle. Wenn Kaufman auf eine bestimmte Art auf seinen linken Jackenärmel tippt, schickt sein Handy eine SMS: "Ich bin spät dran." Wenn er über den Ärmel Richtung Hals streicht, sagt das Handy die Uhrzeit an. In der anderen Richtung gibt es an, von wem das Lied ist, das Kaufman gerade hört. "Ich trage die Jacke dauernd", sagt er. "Und ständig kommen Leute an und wollen mir über den Arm streicheln." Vor kurzem hat die Jacke etwas Neues gelernt: Wenn man ein Taxi über eine Taxivermittler-App wie Uber gerufen hat, vibriert und blinkt das kleine Bluetooth-Gerät am Ärmel, sobald der Wagen da ist.

Die Jacke ist eines der schlauesten Kleidungsstücke, vielleicht sogar das schlaueste Kleidungsstück, das man heute schon kaufen kann - zu einem zwar stolzen, aber immerhin nicht völlig absurden Preis von 350 Dollar. Kaufman sagt, er habe vor allem Menschen im Sinn, die viel Fahrrad fahren. In der Zukunft solle es auch andere Produkte mit dem schlauen Garn geben, etwa Snowboard-Jacken. "Man kann es mit ganz normale Maschinen überall einweben", sagt Kaufman. Er glaubt, dass das Garn Technik, die man am Körper tragen kann, zum Durchbruch verhelfen wird.

Sechs bis acht Projekte laufen im Google-Labor

Bislang haben sich unter den so genannten Wearables nur Uhren und Fitnesstracker durchgesetzt. Die Nachfrage nach der Jacke sei aber groß, sagt Kaufman. "Die Leute wollen sie schneller haben, als wir sie produzieren können." Der Vorteil des Garns, das Google Jacquard getauft hat: Es verschwindet völlig im normalen Jeansstoff, die Jacke sieht ganz normal aus. "Technik ist am mächtigsten, wenn man sie nicht sehen kann", sagt Kaufman.

Der ATAP-Chef arbeitete vorher in der Hightech-Entwicklung des US-Verteidigungsministeriums, sie heißt Darpa. Er war dort so lange und so erfolgreich, dass man ihn "Darpa Dan" nannte. Zu Google hat ihn gelockt, dass er dort tun kann, was er will. "Wir können uns die Projekte danach aussuchen, was uns am meisten umhaut", sagt er. "Wir haben eine Menge Freiheit." Bei ATAP hat er ein Team aus Bastlern, aus Leuten, die gern Dinge herstellen. Es sind rund 100 Programmierer und Ingenieure, Designer und Elektrotechniker.

Sie haben ihr eigenes Gebäude auf dem Google-Gelände im Silicon Valley, samt Labor für 3D-Prototypen. Besucher sind nicht erlaubt, Kaufman tritt nur sehr selten öffentlich auf und gibt kaum Interviews. Auch woran ATAP gerade arbeitet neben dem Kupfergarn, verrät er nicht. "Wir haben immer sechs bis acht Projekte gleichzeitig, die verschieden weit vorangeschritten sind", sagt er. "Wir versuchen, möglichst still zu sein über die Projekte bis wir fertig sind." Anders als andere Sparten des Internetkonzerns, die an noch viel esoterischen Projekten arbeiten, soll bei ATAP am Ende ein Produkt stehen. Es geht eher um Hardware, als um Software. "Wir denken bei ATAP zwei bis drei Jahre in die Zukunft und überlegen, was sich dann verkaufen könnte", sagt Kaufman.

"Mischung aus Geduld und Konsequenz"

Zwei Beispiele aus den vergangenen Jahren: Die Google-Abteilung brachte Virtual-Reality-Kurzfilme heraus, bei dem der Zuschauer auch der Regisseur ist. Man bewegt sich durch eine 360-Grad-Filmkulisse und steuert selbst, wohin die Figuren sich bewegen. Der ATAP-Kurzfilm Pearl war dieses Jahr für einen Oscar nominiert. Davor entwickelte ATAP einen Sensor, der per Radar die Bewegungen der menschlichen Hand verfolgt. Der Chip namens Soli könnte Gestensteuerung etwa in Autos oder Smartphones ermöglichen. "Wir können machen, was wir wollen", sagt Kaufman. "Es gibt kaum Vorgaben von Google." Das ATAP-Team soll die Projekte binnen weniger Jahre abschließen - anders als die so genannten Moon Shots, bei denen unklar ist, ob sie je Erfolg haben.

Seit einigen Jahren gibt es über Google und den Schwesterunternehmen die Holdingfirma Alphabet. Zu Alphabet gehört zum Beispiel Calico. Die Firma soll das Altern aufhalten - und die Menschheit vom Tod heilen. Im Vergleich etwa zu Calico arbeitet ATAP an geradezu bodenständigen Ideen. Und schnell. Wenn sich zeigt, dass eine Idee nicht funktioniert oder sich keine Kunden finden würden, stellt ATAP das Projekt sofort ein. "Wir haben eine spezielle Mischung aus Geduld und Konsequenz", sagt Kaufman. Genauer will er das aber nicht erklären. "Ist alles geheim."

© SZ vom 23.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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