GM-Chef Rick Wagoner:Der Zahlenmensch

Krämerseele statt technischer Tüftler: Mit GM-Chef Richard Wagoner gerät ein Manager unter Druck, der typisch ist für die amerikanische Autoindustrie.

Karl-Heinz Büschemann

Jetzt wird es doch noch eng für Richard Wagoner. Seit neun Jahren hält sich der 55-Jährige auf dem Chefposten des US-Autokonzerns General Motors (GM).

GM-Chef Rick Wagoner: Trotz seiner 1,95 Meter völlig uncharismatisch: GM-Chef Rick Wagoner.

Trotz seiner 1,95 Meter völlig uncharismatisch: GM-Chef Rick Wagoner.

(Foto: Foto: AP)

Oft wurde über seinen Rücktritt spekuliert. Wagoners Zeit an der Spitze des lange größten Autokonzerns der Welt war von zu vielen Fehlschlägen gezeichnet, um ihn als erfolgreich gelten zu lassen.

Angesichts der drohenden Pleite im hundertsten Jahr des Bestehens und der Forderung nach Geld vom Staat kommt nun massiver Druck aus Washington.

Senator Chris Dodd, ein Demokrat und Freund der Autoindustrie, fordert Wagoners Rücktritt: "Wenn es um die Sanierung geht, sollte ein neues Führungsteam übernehmen". Auch der designierte Präsident Barack Obama, der sein Amt am 20. Januar antritt, wünscht eine Erneuerung in Detroit.

Für Wagoner wird es schwer sein, seinen Posten zu halten. Vermutlich geht es nur noch um die Frage, wer ihn ersetzen könnte.

Blecherne Langeweile

Sein potentieller Nachfolger, Fritz Henderson, unterscheidet sich von Wagoner nur dadurch, dass er fünf Jahre jünger ist. Henderson ist wie Wagoner Ausdruck der Detroiter Krankheit: In den großen drei US-Autokonzernen herrschen die Juristen und Finanzexperten. Sie verstehen viel von Geld, Steuern und Cash-Flow, aber wenig von Autos. Jetzt sind alle drei Konzerne so gut wie pleite.

Keiner verkörpert die Misere der amerikanischen Autoindustrie so wie Wagoner, der seit 2000 an der GM-Spitze steht. Er studierte Wirtschaftswissenschaften und kam mit 24 Jahren zu GM. Er startete in der Finanzabteilung und war später auch im Ausland - stets zuständig für die Zahlen.

Einer, der wie Wagoner trotz seiner 1,95 Meter völlig uncharismatisch auftritt und wenig Mitreißendes hat, zählt in dem Autokonzern viel.

Anders als in Europa, wo fast ausnahmslos Ingenieure die Autokonzerne leiten, zählen bei GM nur die Zahlen. Mit dem Ergebnis, dass viele zum Konzern gehörende Marken an Attraktivität verloren haben, weil die Technik für alle Autos gleich ist. GM bietet weltweit oft blecherne Langeweile.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, zu welche fataler Entscheidung Wagoner sich nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 durchrang.

Der Zahlenmensch

Für GM war es stets wichtig, größter Autokonzern der Welt zu sein. Als Ford den Nachbarn einmal überholt hatte, reagierte Wagoner typisch. Er verordnete dem Konzern keine neue Produktstrategie, um die Rivalen mit besseren Autos wieder abzuhängen.

Er stieg bei Fiat ein mit dem Ziel, den italienischen Konzern zu übernehmen. Die alte Hackordnung sollte wieder hergestellt werden. Die Sache misslang, weil Fiat damals so marode war, dass die Neuerwerbung GM in die Tiefe zu reißen drohte. GM musste sich mit Milliarden aus dem Geschäft wieder herauskaufen. Wagoner überlebte das Desaster - es war aber nicht das einzige.

Fatal war Wagoners Entscheidung vom 12. September 2001. Einen Tag, nachdem Terroristen die Türme des World Trade Centers in New York zum Einsturz gebracht hatten und zu befürchten war, dass die schockierten Amerikaner nun andere Sorgen hatten, als Autos zu kaufen, reagierte Wagoner wie ein Krämer auf dem Wochenmarkt: Er begann seine Autos zu verschleudern.

"Keep America Rolling" (Halte Amerika in Bewegung) nannte er patriotisch den Beginn einer beispiellosen Rabattschlacht. Ford und Chrysler mussten notgedrungen mitziehen. Es gab viel Kritik, doch Wagoner blieb stur: "Für uns ist die Strategie richtig." Er irrte. Von dieser Rabattschlacht hat sich die Industrie nie mehr erholt.

An den Autos gespart

Wagoner könnte nun Opfer der eigenen Billigheimer-Strategie werden. Der kreativste Rabatt ( "Null Prozent Zinsen") wurde bei GM immer höher geschätzt als pfiffige neue Technik in den Autos.

Um an den eigenen Niedrig-Preisen nicht zugrunde zu gehen, sorgten die Buchhalter von GM dafür, dass sogar moderne Sicherheitstechnik aus den Autos herausgenommen wurde. Die Konkurrenten aus Japan und Europa machten es anders. Sie machten ihre Autos technisch besser und sparsamer. Die Kunden kauften sie trotzdem.

Jetzt geht Richard Wagoner vor dem amerikanischen Steuerzahler auf die Knie. Er will dessen Geld. GM sei "wackelig und der Pleite beängstigend nahe", schreibt er in einer Zeitungsanzeige in erstaunlicher Offenheit. Kritischer als jedes Wirtschaftsmagazin es könnte, gibt er Fehler zu. "Wir haben manchmal Ihr Vertrauen missbraucht, indem wir unsere Qualität unter den Standard unsere Industrie haben fallen lassen", schreibt er. Die Designs seien gelegentlich langweilig gewesen. GM habe Marken und Händlernetze wuchern lassen und den US-Markt vernachlässigt.

Solche Töne sind neu. Aber gleichzeitig heißt es in der Selbstanklage, die Qualität sei wieder besser geworden, die Produktivität gestiegen und man sei bereit, das Auto neu zu erfinden. Solche Sätze gab es bei GM schon vor neun Jahren, als Richard Wagoner seinen Posten übernahm.

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