Glyphosat:Bundesregierung will Glyphosat weiter erlauben

Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft

Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft: Ein Traktor spritzt am Pflanzenschutzmittel auf ein Feld mit Winterraps.

(Foto: dpa)
  • Die Bundesregierung gibt für eine Neuzulassung des umstrittenen Pflanzengifts grünes Licht. Allerdings sind damit einige wichtige Einschränkungen verbunden.
  • Die WHO stuft das Mittel als "wahrscheinlich krebserregend" ein, andere Behörden widersprechen.
  • 64 Prozent der Menschen in den fünf größten EU-Mitgliedsländern fordern ein Verbot von Glyphosat.

Von Markus Balser, Michael Bauchmüller und Silvia Liebrich, Berlin/München

Es geht um einen Kampf, bei dem viel auf dem Spiel steht. Das weltweit meistverkaufte Pflanzengift Glyphosat steht kurz vor der Neuzulassung in der Europäischen Union. Für Hersteller und die Agrarindustrie bedeutet das ein Milliardengeschäft. Für Umweltschützer und Verbraucher bedeutet es Angst.

Denn Rückstände des Gifts lassen sich in Tierfutter, Brot, Bier und sogar im Urin von Menschen nachweisen. Für Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO ist die Verbreitung des Pestizids ein ernstes Problem, sie stuften das Mittel als "wahrscheinlich krebserregend für den Menschen" ein. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa hingegen fällte ein ganz anderes Urteil: "wahrscheinlich nicht krebserregend". Auch das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) geht davon aus, dass für Menschen wahrscheinlich keine Gefahr besteht.

Seit Monaten versuchen Kritiker angesichts solcher Unsicherheit die Neuzulassung in Europa zu verhindern. Die Chance bietet sich, weil im Sommer die derzeitige Genehmigung für Glyphosat ausläuft. Es wird auf Äckern versprüht und soll dafür sorgen, dass dort Getreide oder Gemüse wächst - und kein Unkraut. Das Pflanzengift hat sich zu einem der wichtigsten Treibstoffe der konventionellen Agrarindustrie entwickelt. Die Entscheidung Brüssels über die Zukunft von Glyphosat wird deshalb auch zu einer Entscheidung über künftige Methoden der Landwirtschaft.

Deutschland wird Neuzulassung wohl zustimmen

Erlauben oder nicht? Umstritten war bislang, welche Position Deutschland bei der für Juni erwarteten Entscheidung in Brüssel einnimmt. Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) prüft derzeit noch im Auftrag der Bundesregierung, ob das Pestizid Krebs erregt. Obwohl die Ergebnisse noch gar nicht vorliegen, ist die Entscheidung nach Informationen der Süddeutschen Zeitung bereits gefallen: Berlin gibt für eine Neuzulassung grünes Licht. So geht es aus einem Schreiben des Agrarministeriums im Namen Deutschlands an die EU-Kommission von Ende März hervor.

Wochenlang hatten Agrar- und Umweltministerium zuvor über eine gemeinsame Position gestritten. Agrarminister Christian Schmidt (CSU) lehnte ein Verbot ab. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sprach sich dafür aus. "Mit seiner Zustimmung möchte Deutschland dazu beitragen, das Verfahren zur Wiedergenehmigung des Wirkstoffs Glyphosat . . . erfolgreich abzuschließen", heißt es nun in dem Papier, das der Leiter des Referats Pflanzenschutz aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft an die Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Europäischen Kommission in Brüssel richtet. "Deutschland unterstützt daher die Risikobewertung der Efsa auf welcher der Verordnungsvorschlag im Wesentlichen beruht."

Für Umweltschützer gilt das als herbe Enttäuschung. Eine Neuzulassung wird damit immer wahrscheinlicher. Allerdings sieht die deutsche Position auf Druck der Umweltministerin wichtige Einschränkungen vor. So sollen die Mitgliedstaaten den Risiken für die Artenvielfalt und das Tierreich "besondere Aufmerksamkeit" widmen, heißt es nun in einem Textvorschlag, den das Landwirtschaftsministerium gesondert übermittelte - in einem vierseitigen Anhang zum eigentlichen Brief. Dem ganzen sei ein "intensiver interner Abstimmungsprozess" in der Regierung vorausgegangen. Auch sei Deutschland "sehr offen für das Anliegen einiger Mitgliedsstaaten", Glyphosat zur "Steuerung des Erntetermins" auszuschließen. Konkret bedeutet dies, dass Glyphosat nicht mehr kurz vor der Ernte eingesetzt werden darf, um Getreide schneller reifen zu lassen.

70 Prozent der Deutschen fordern laut Umfrage ein Verbot des Pestizids

Auf europäischer Ebene wächst dagegen der Widerstand. Das Europäische Parlament könnte in dieser Woche noch eine gemeinsame Position zur Ablehnung der Neuzulassung veröffentlichen. Und in der europäischen Bevölkerung ist der Widerstand gegen das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel ohnehin ungebrochen. 64 Prozent der Menschen in den fünf größten EU-Mitgliedsländern fordern ein Verbot von Glyphosat, wie eine repräsentative Umfrage des britischen Meinungsforschungsinstituts YouGov zeigt.

Die Untersuchung wurde von den Bürgerbewegungen Campact und WeMove.EU in Auftrag gegeben und soll am Dienstag veröffentlicht werden. Am stärksten sind die Bedenken in Italien, wo sich den Daten zufolge 76 Prozent gegen eine neuerliche Zulassung aussprechen. Deutschland liegt mit einer Ablehnungsquote von 70 Prozent an zweiter Stelle, nur elf Prozent der Bundesbürger sind dafür, Glyphosat wieder zuzulassen. Auf den Plätzen folgen Frankreich (60 Prozent), Großbritannien und Spanien (beide 56 Prozent).

Mitte Mai wollen die EU-Länder im zweiten Anlauf über die Neuzulassung entscheiden. Ein erster Versuch war im März dieses Jahres gescheitert, weil sich die Länder uneinig waren. EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis hatte zuletzt versuchte, die Wogen zu glätten. Er rief die Hersteller, insbesondere den US-Agrarkonzern Monsanto, auf, ihre bisher unter Verschluss gehaltenen Studien freiwillig zu veröffentlichen - das wäre eine wichtige Voraussetzung, um den Expertenstreit zu schlichten. Monsanto und der Industrieverband Glyphosate Task Force lehnten das ab, schlugen jedoch eine Leseraum-Lösung wie beim Freihandelsabkommen TTIP vor. Ausgelegt werden sollen dort aber nicht alle Studien, sondern nur ein kleiner Teil.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: