Globalisierung: Strategien:Wenn Italien in Amerika liegt

Gerade in der Globalisierung gilt: Große Weltkonzerne brauchen regionale Wurzeln, sonst gehen sie unter. Strategien von Unternehmen wie Fiat und Ikea sind fatal.

Thomas Fromm

Wenn deutsche Konzernchefs im Ausland unterwegs sind, sprechen sie gerne von ihrer zweiten Heimat. BMW-Chef Norbert Reithofer zum Beispiel. Als er im vergangenen Herbst zur Erweiterung einer Autofabrik nach South Carolina in die amerikanischen Südstaaten reiste, sprach er bei der Feier auffällig oft davon. Von der zweiten Heimat.

Ikea

Bei Ikea gehenMarketing und Realität komplett auseinander: Nach außen hin gibt sich das Unternehmen ur-schwedisch, nach Recherchen des schwedischen Fernsehens schlägt das wahre Herz von Ikea weiter südlich.

(Foto: dpa)

Die lokale Prominenz hörte das gerne, der Bürgermeister applaudierte. Dabei hatte Reithofer hier nicht nur für die Anwesenden den Südstaatler gegeben. Seine Adressaten saßen auch in der ersten Heimat - in der Münchner Zentrale. Für die waren die Worte ihres Chefs vor allem eines: ein Versprechen. Autos kann und muss man inzwischen zwar überall bauen - in den USA, Südafrika, China. Das Herz des Konzerns aber schlägt in München.

Eine Konzernzentrale ist mehr als eine Halle mit Maschinen und Bändern. Hier wird über die Produkte und die strategische Zukunft entschieden, hier wird geforscht, hier feilen Marketing-Experten am Image. Es laufen alle finanziellen Ströme zusammen. Die Hauptverwaltung eines Unternehmens ist zugleich Taktgeber und kulturelles Zentrum.

Gerade in einer Zeit, in der große Konzerne immer globaler und die Verflechtungen mit anderen Firmen von Tag zu Tag unübersichtlicher werden, wird sie zum Herzstück. Die Frage nach der Herkunft eines Unternehmens ist heute oft die einzige Frage, die sich überhaupt noch klar beantworten lässt. BMW wirbt weltweit mit Bildern seines Vierzylinder-Gebäudes am Münchner Olympiapark. Es ist nur ein Stück Architektur, aber es stiftet Identität. Und es ist ein Markenzeichen, das Verwurzelung symbolisiert.

Es geht um einfache Grundregeln - und doch werden sie von vielen ignoriert. Am Beispiel von Fiat-Chef Sergio Marchionne lässt sich schön studieren, wie man es nicht machen sollte. Vor einigen Wochen ätzte er, sein Konzern stünde ohne Italien und seine Fabriken besser da.

Eigentlich wollte er den traditionell starken italienischen Gewerkschaften damit nur Zugeständnisse abringen. Tatsächlich aber brachte der italo-kanadische Manager ein ganzes Land auf die Barrikaden. Vor ein paar Tagen dann überspannte er den Bogen endgültig - und schloss einen Umzug der Fiat-Zentrale von Turin in die USA nicht mehr aus.

Marchionne folgt dabei einer simplen Logik: Er hatte vor zwei Jahren beschlossen, den angeschlagenen US-Hersteller Chrysler zu übernehmen. So entsteht gerade ein transatlantisches Gebilde, ein neuer italo-amerikanischer Autokoloss, der seine Fabriken überall hat. In Auburn Hills bei Detroit, in Turin, in Süditalien, in der Türkei und in Brasilien.

Daher scheint Marchionne zu glauben, dass es egal sei, wo das Herz des fusionierten Konzerns schlägt - im norditalienischen Piemont, in Michigan oder sonstwo. Ein verheerender Irrtum: Die gemeinsame Geschichte von Chrysler und Fiat und Italien ist jung. Die von Fiat und Italien gibt es seit 1899. Marchionnes Rhetorik ist unsensibel - und höchst riskant.

Die Autos des Herstellers waren immer dann am erfolgreichsten, wenn sie ein Stück jener Kultur transportierten, aus der sie kamen. Der Cinquecento etwa ist so ein italienisches Auto. Und Alfa Romeo ist eine Marke, deren Mythos vor allem auf jenen Bildern beruht, die Menschen im Kopf haben, wenn sie an Italien denken. Fiat von Detroit aus zu lenken wäre das Ende. Weil Detroit andere Assoziationen auslöst als Turin.

Besonders peinlich wird es, wenn Marketing und Realität komplett auseinanderdriften wie bei Ikea. Nach außen hin stellt sich das Möbelhaus gerne als ur-schwedisch dar. Skandinavisch, bodenständig, die Auflage des blau-gelben Ikea-Katalogs liegt bei 200 Millionen im Jahr. Das Image wäre wohl anders, wenn die Ikea-Gemeinde wüste, von wo aus der multinationale Regalbauer in Wahrheit gesteuert wird: Nach Recherchen des schwedischen Fernsehens schlägt das wahre Herz von Ikea nämlich weiter südlich - der milliardenschwere Konzern soll demnach über eine Stiftung in Liechtenstein gesteuert werden.

Andere geben der Versuchung gar nicht erst nach. Als die Investmentbanking-Sparte bei der Deutschen Bank vor Jahren immer mächtiger wurde, befürchteten Mitarbeiter in Frankfurt eine Verlagerung der Zentrale nach London. Die Manager aber waren der Meinung, dass auch eine global operierende Bank einen starken Heimatmarkt braucht.

Kleine Unternehmen brauchen eine Heimat. Große Konzerne, deren Umsätze höher sind als das Bruttosozialprodukt mancher Länder, erst recht.

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