Globale Schuldenkrise:Schicksalstage im Dezember

Dauernd Krise, dauernd Rettungsgipfel, dauernd Gerede über die große Katastrophe. Doch diesmal haben die Politiker recht, wenn sie von den "zehn entscheidenden Tagen" sprechen, die nun anstehen. Denn Europa steht bedrohlich vor dem Lehman-Moment - und es gilt, einen epochalen Absturz der Weltwirtschaft zu verhindern.

Nikolaus Piper

Es war eine richtige Entscheidung und sie hat gewirkt: Die amerikanische Federal Reserve, die Europäische Zentralbank und vier weitere Notenbanken fluteten am Mittwoch das Bankensystem mit billigen Dollar in schier unbegrenzter Menge. Die Angst vor dem Zusammenbruch der Euro-Zone und des Bankensystems ließ erst einmal nach, die Börsenkurse schossen in die Höhe.

Man mag das Wort Krise nicht mehr hören und kommt doch nicht umhin, in Krisenkategorien zu denken. Finanzwelt und Politik zählen die Tage bis zum EU-Gipfel am 8./9. Dezember in Brüssel. Wirtschaftskommissar Olli Rehn spricht von den "zehn kritischen Tagen, in denen eine umfassende Krisenantwort" gefunden werden müsse. Die Notenbanken brachten Entspannung, aber keine Lösung. Es ist wie bei einem Schmerzmittel: Es kann bestenfalls die richtige Therapie erleichtern.

Wer die Mittwochsaktion von Fed, EZB & Co richtig einschätzen will, der muss in Rechnung stellen, warum sie notwendig war: weil sich internationale Banken untereinander kaum noch Dollar-Kredite gewähren. Das Vertrauen im Finanzsektor ist praktisch zusammengebrochen, der Handel und die Wirtschaft insgesamt haben schon jetzt Schaden genommen. Hier sind die Notenbanken mit extrem billigen Dollar-Krediten eingesprungen, sie übernehmen die Rolle des normalen Marktes.

Das alles gab es schon einmal - im September 2008, kurz ehe die Investmentbank Lehman Brothers zusammenbrach. Der "Lehman-Moment", also die Wiederholung der damaligen Ereignisse, ist in diesen Tagen bedrohlich nahe gerückt.

Die Zeit vor der Lehman-Pleite und die jetzige Krise in Europa haben viele Dinge gemeinsam, vor allem die Gefahr, dass jederzeit ein mörderischer Run auf die Banken einsetzen kann. Es gibt aber einen großen Unterschied: Die Institutionen der Vereinigten Staaten standen auch in den schlimmsten Augenblicken des Jahres 2008 nicht in Frage. Niemand zweifelte am Fortbestand des Dollars, der Federal Reserve oder des amerikanischen Finanzministeriums. All dies ist diesmal anders.

Die Krise hat offenbart, dass der institutionelle Rahmen des Euro nicht stimmt. Seit knapp zwei Jahren versucht nun die europäische Politik zwei Dinge gleichzeitig: den Rahmen in Ordnung zu bringen und eine Wiederholung der Finanzkrise zu verhindern. Bis heute ist dies nicht geglückt, und nun muss sich das Schicksal der Gemeinschaftswährung sehr schnell entscheiden.

Der Zorn über Europa

Hier ist es wichtig, einmal die Innen- und die Außensicht auf das Problem getrennt zu betrachten. Aus deutscher Perspektive haben Angela Merkel und Wolfgang Schäuble in den vergangenen Monaten gerettet, was zu retten war, ohne dadurch das unsolide Finanzgebaren der Südländer weiter zu ermutigen. Nach Meinung weiter Teile der deutschen Öffentlichkeit haben sie dabei längst des Guten zu viel getan.

Aus amerikanischer und zunehmend auch chinesischer und lateinamerikanischer Perspektive sieht das ganz anders aus: Da haben die Europäer immer nur genau so viel getan, wie nötig war, um den Absturz gerade noch zu verhindern. Jetzt sind ihnen fast nur noch schlechte Optionen geblieben. Die Welt, und nicht nur Europa, stehen am Rande einer neuen, unnötigen Rezession. Es war ein großer Fehler, diese Außensicht lange nicht ernst zu nehmen, denn auf diese Weise wurde ein wichtiger Teil der Realität ausgeblendet. Noch diese Woche reiste der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier nach New York, um sich Kritik von Präsident Barack Obama an der deutschen Europa-Politik zu verbitten, schließlich hätten die USA genügend eigene Schuldenprobleme. Haben die Deutschen immer noch nicht kapiert, worum es geht?

Im Moment sind es die europäischen Schulden, die eine globale Depression auszulösen drohen, nicht die amerikanischen. Diese Depression würde die Lösung der Schuldenprobleme überall in der Welt unendlich erschweren. Und sie wäre wohl das Ende des Euro. Insofern sind Ungeduld und Zorn über Europa in Washington, New York und anderswo durchaus verständlich.

Die Gefahr einer großen, von Europa ausgehenden globalen Rezession steht jetzt absolut im Vordergrund. Man redet an deutschen Stammtischen immer noch gerne darüber, dass man Griechen, Spaniern und Italienern ihr lockeres Leben nicht mehr finanzieren will. Tatsächlich jedoch geht es jetzt vor allem anderen darum, einen epochalen Absturz der Wirtschaft zu verhindern. Misslingt dies, dürften alle Überlegungen über den Lebensstil der Griechen und eine neue Architektur für den Euro hinfällig sein.

Notwendig ist vor allem ein pragmatischer Umgang mit den Finanzmärkten. Bisher hat die Politik viel Zeit damit verschwendet, die Märkte zu "zähmen", sie "in ihre Schranken zu weisen" oder schlicht zu "bekämpfen". Nun muss man wirklich nicht allzu viel Mitleid mit den Akteuren an der Wall Street haben. Aber Politiker sollten ein Gespür dafür haben, wie abhängig sie von den Märkten sind. "Die Märkte", also Anleger, müssen den europäischen Regierungen Monat für Monat Abermilliarden von Euro leihen, da sollte man ihnen nicht unnötig die Arbeit erschweren.

Sogar die Bundesregierung hatte bei der letzten Auktion Schwierigkeiten, Abnehmer für ihre Anleihen zu finden. Man muss das Ergebnis dieser Auktion nicht dramatisieren, aber es war ein Warnsignal: Die Zeit rennt davon, auch für die Deutschen.

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