Gleichberechtigung für Behinderte:Schluss mit den getrennten Welten

Doku zeigt Schüler einer inkusiven Schule

Eine Schülerin im Rollstuhl sitzt im Klassenraum einer Integrierten Gesamtschule.

(Foto: dpa)

Behinderte Menschen werden in Deutschland immer noch benachteiligt. Dagegen hilft nach Ansicht von Experten Teilhabe am ganz normalen Leben. Doch gerade jene Altersgruppe, von der das künftig am meisten abhängt, hegt Zweifel.

Von Daniela Kuhr

Nein, schön sieht der Mann nicht aus. Da er als Kind einen Unfall gehabt hatte, ist sein Auge vernarbt. Aber kann man ihn deshalb nicht mehr als Servicekraft in einem Restaurant einsetzen? Ist er deshalb eine Zumutung für die Öffentlichkeit? Seine Chefin sah das so. Weil sich angeblich einige Gäste beschwert hätten, orderte sie den Mann in die Küche ab: damit er keinen Kundenkontakt mehr habe.

Oder dieser Fall: Mündlich hatte die ausgebildete Logopädin bereits die Zusage für die Stelle. Als sie jedoch den Arbeitsvertrag unterschreiben wollte, fand sich da plötzlich der Passus: "Die Arbeitnehmerin ist nicht schwerbehindert im Sinne des Gesetzes." Das konnte die Frau jedoch nicht unterschreiben, da sie sehr wohl ein körperliches Leiden hatte, das sie schwerbehindert machte. Im Vorstellungsgespräch war sie jedoch nicht danach gefragt worden. Und obwohl sie eine Bescheinigung vorlegen konnte, nach der ihre Behinderung die Arbeit als Logopädin in keiner Weise beeinträchtigt, wurde sie abgelehnt. Grund: Der Arbeitgeber war der Meinung, sie habe das Vertrauensverhältnis beschädigt, weil sie ihre Behinderung nicht offengelegt hatte.

Das sind nur zwei von insgesamt 2200 Fällen, in denen sich Menschen in den vergangenen Jahren an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewandt haben, weil sie sich wegen einer Behinderung benachteiligt fühlten. "Bei weitem die meisten Anfragen, die uns erreichen, kommen von behinderten Menschen", stellt Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung fest. An diesem Dienstag wird Lüders deshalb das Jahr gegen die Diskriminierung behinderter Menschen ausrufen. "Selbstbestimmt dabei. Immer", so heißt das Motto, das Lüders für 2013 ausgeben wird. 2012 war das Jahr gegen Altersdiskriminierung gewesen.

Behinderte Menschen sind keine Randgruppe

Die meisten Menschen denken beim Thema Behinderung spontan an Diskriminierung, Mitleid und Hilfsbedürftigkeit. Das ist das Ergebnis einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle, die an diesem Dienstag in Berlin vorgestellt wird. Demnach gaben 19 Prozent der Befragten an, dass sie mit dem Thema Behinderung in erster Linie Benachteiligung und Diskriminierung verbänden. 16 Prozent assoziierten spontan "Mitleid", zwölf Prozent "Hilfe und Hilfsbedürftigkeit" sowie weitere zwölf Prozent das Erfordernis einer besseren Unterstützung.

"Vor allem im Arbeitsleben und im Bereich Bildung werden behinderte Menschen benachteiligt", sagt Lüders. Ein Grund dafür sei, dass Menschen mit und ohne Behinderung in getrennten Lebenswelten aufwüchsen. "Das führt zu Berührungsängsten und zu Vorbehalten in Schule und Arbeitswelt." Dabei seien behinderte Menschen keine Randgruppe.

"Mehr als sieben Millionen Menschen leben mit einer anerkannten Schwerbehinderung in Deutschland." Doch häufig würden sie in "Sonderwelten" abgeschoben, beispielsweise in Werkstätten für Behinderte oder in Förderschulen anstatt in die Regelschule. Dabei bräuchten behinderte Menschen nicht Barmherzigkeit, sondern Teilhabe. "Sie brauchen keine Gnade. Sie haben Rechte."

Alarmierende Zweifel an Inklusion

Für alarmierend hält Lüders ein weiteres Ergebnis. Dabei ging es um die Frage, ob Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam in der Schule unterrichtet werden sollten. Am skeptischsten zeigte sich die Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen - und damit derjenigen, die in absehbarer Zeit Kinder im schulpflichtigen Alter haben werden. 56 Prozent dieser jungen Erwachsenen glauben nicht, dass die sogenannte Inklusion funktioniert. "Uns muss diese Zahl sehr nachdenklich machen", sagt Lüders. "Ganz offensichtlich ist sie die Konsequenz getrennter Lebenswelten."

Insgesamt aber hat sich viel getan. 61 Prozent der befragten Menschen mit einer Schwerbehinderung fühlen sich alles in allem von der Gesellschaft im Lebensalltag und im Beruf unterstützt. Doch vor allem im Umgang mit Ämtern, bei der Fortbewegung im Alltag sowie bei der Freizeitgestaltung würden sie sich ein bisschen mehr Unterstützung wünschen.

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