Gipfelstürmer-Preis:"Wir retten Leben"

Ein Wundkleber, wie es ihn bisher noch nicht gab: Damit wollen Alexander Schüller und Heike Heckroth, die Gründer von Adhesys, einen Milliardenmarkt erobern. Sie gewinnen den Gipfelstürmer-Preis.

Von Elisabeth Dostert

So sehen also Revolutionäre aus. Alexander Schüller, 31, trägt Anzug, weißes Hemd, offener Kragen, die Haare im Nacken ein wenig länger. Er ist Geschäftsführer von Adhesys Medical. Das Start-up mit Sitz in Aachen und Houston entwickelt einen auf Polyurethan basierten Klebstoff, um Wunden auf der Haut und im Körper zu schließen, etwa nach einer Operation. "Wir wollen", sagt Schüller, "die Wundbehandlung revolutionieren."

Der Gründer will damit einen Milliardenmarkt erobern. Am Freitag steht er auf der Bühne des Hotel Adlon und hat drei Minuten Zeit, um sein Start-up beim "Gipfelstürmer"-Wettbewerb zu präsentieren. Für gewöhnlich müssen junge Gründer bei solchen Pitches Investoren von ihrer Idee überzeugen, um Geld einzusammeln, diesmal aber stehen sie vor erfahrenen Unternehmern. In der ersten Reihe sitzt Roland Berger, fast 80 Jahre alt: "Ich bin ein ergrautes Start-up", hat Berger mal über sich gesagt. Kaum einer im Saal hat in seinem Leben so viele Unternehmen gedeihen und verderben gesehen wie der Unternehmensberater aus München.

Acht Unternehmen hatten es in das Finale des Gründerwettbewerbs geschafft: Neben Adhesys Medical noch Africa Green Tec mit seinen Solarcontainern für eine autarke Stromversorgung; eigthy Leo, das über 80 eigene Satelliten-Unternehmen mit einem schnellen Datennetz versorgen will; Evopark mit dem bargeldlosen Parken; Invenox mit seinen Lithium-Ionen-Energiespeichern; Kiwi.ki mit dem Transponder, der ohne Schlüssel Türen öffnet; Leaf Republic mit Tellern aus Laub und Toposens mit superschlauen Sensoren.

BERLIN: WIRTSCHAFTSGIPFEL Hotel Adlon, Tag02

Gewinnen kann nur einer. In diesem Jahr ist Adhesys Medical der Gipfelstürmer. Geschäftsführer Alexander Schüller reckt die Trophäe in die Luft.

(Foto: Johannes Simon)

Fast 100 Gründer hatten sich beworben. Revolutionäre sind sie fast alle, manche leiser, manche lauter. Sie wollen etablierte Technologien, Märkte, Denkweisen, Prozesse, vielleicht sogar ganze Kulturen verändern. Für vieles, was die jungen Unternehmer vorhaben, ist "verändern" ein viel zu sanftes Wort. Sie wollen disruptieren. Das Wort wurde aus den USA importiert und eingedeutscht. Disruption heißt Zerstörung, Unterbrechung, Riss oder Spaltung. Die USA gelten heute als das Heimatland der größten Disrupteure.

Aber auch in Deutschland gibt und gab es jede Menge gute Ideen, Joe Kaeser, der Siemens-Chef, formuliert es während des SZ-Wirtschaftsgipfels so: "In Deutschland gab es schon eine Gründerzeit, da gab es im Silicon Valley noch keine Garagen." Kaeser meint damit Männer wie Robert Bosch, Werner von Siemens oder Emil von Rathenau (AEG). Ein Land ohne Gründer ist ein Land ohne Zukunft. Deshalb versuchen viele Konzerne den Geist des Neuen in firmeneigenen Labs zu kultivieren oder suchen die Nähe der jungen Unternehmen. Fast alle Finalisten haben schon Kontakte zu Konzernen. Erst im Mai hat Adhesys ein Lizenzabkommen mit dem Pharmaunternehmen Grünenthal abgeschlossen.

Exakt 180 Sekunden hat jeder Gründer auf der Bühne Zeit für seinen Pitch, eine Uhr auf dem großen Bildschirm über der Bühne zählt die Sekunden herunter. Das Alphabet bestimmt die Reihenfolge der Firmen. Deshalb macht Schüller mit Adhesys Medical den Anfang. Es ist nicht sein erster Pitch. Er kennt die Dramaturgie. "Ist Ihnen bewusst, dass mehr als 90 Prozent der überlebbaren Kriegsverletzungen dann doch tödlich enden, weil Blutungen nicht kontrolliert werden können?" Schüller läuft auf der Bühne hin und her, das Mikro mal in der rechten, mal in der linken Hand. Mit der freien Hand gestikuliert er mal wie ein Dirigent, der den Takt vorgibt, mal steckt er sie in die Hosentasche. "Wissen Sie, dass bis zu 20 Prozent, sprich eine von fünf Darmresektionen, zu Leckagen führt und davon viel zu viele tödlich enden?" Er setzt gezielt Pausen. "Man könnte meinen, das seien Zahlen aus den 50er- oder 60er-Jahren. Sind es nicht." Langen Sätzen folgen kurze. "Die Tatsache allein, dass noch heute Menschen auf dem OP-Tisch verbluten, zeigt, dass das, was den Ärzten zur Verfügung steht, nicht ausreichend ist." Es gibt Gerinnungshemmer, andere Klebstoffe. "Unser Produkt ist einzigartig", sagt er.

Erfunden hat den Wundkleber die promovierte Chemikerin Heike Heckroth, 44. Aber den Bühnenauftritt überlässt die Wissenschaftlerin Schüller, dem ehemaligen Berater, der auch mal das Gründerzentrum der RWTH Aachen geleitet hat; in der Zeit entstand der Kontakt zu Heckroth. Schüller ist der Verkäufer, er sammelt das Geld ein. In zwei Finanzierungsrunden hat Adhesys schon fünf Millionen Euro geholt.

Der Erfolg eines Start-ups ist ein Gemeinschaftswerk

Die Geschichte des Wundklebers gewährt auch Einblicke in das Innovationsverhalten von Konzernen. Vor gut zehn Jahren schaute sich Heckroths Arbeitgeber nach neuen Geschäftsfeldern für seine Kunststoffsparte um. Heckroth machte sich damals auf die Suche nach chirurgischen Klebstoffen. "Ich weiß nicht, wie viele Kilo Steak ich ins Labor getragen habe, um den Kleber auszuprobieren", erzählt sie. Im Jahr 2012 stellte Bayer aus strategischen Gründen die Entwicklung des Klebstoffes ein, die Kunststoffsparte wurde 2015 als Covestro AG verselbständigt und an die Börse gebracht. Schon 2013 kauften Heckroth und ihre Mitgründer die Patente für den Klebstoff. Im Konzern hatte diese Idee keine Chance.

Schüller greift auf der Adlon-Bühne zu drastischen Bildern, um den Wundkleber zu präsentieren. "Schauen Sie jetzt weg, wenn Sie kein Blut sehen können", sagt er und zeigt in einem Video, wie mit dem Kleber der Lungenschnitt bei einem Schwein verschlossen wird. "Es gibt kein Produkt, das diese Wunde hätte verschließen können. Wir ersetzen Nähte, wir retten Leben", sagt Schüller.

Das Votum in der ersten Abstimmungsrunde fällt eindeutig aus: 37 Prozent der Stimmen im Saal bekommt Adhesys. Auf den Plätzen folgen Toposens mit 14 und Africa Green Tec mit 13 Prozent. Sie müssen sich danach den Fragen der Moderatoren stellen. Es geht auch darum, was aus Adhesys einmal wird. Wollen die Gründer ihr Unternehmen behalten? Oder sich irgendwann einen Konzern als Partner suchen? "In der Medizintechnik ist es gang und gäbe, dass das Produkt am Ende an einen großen Spieler verkauft wird", sagt Schüller. Große Spieler - das sind in seinem Segment Firmen wie Johnson & Johnson, Baxter oder Bard. "Die haben einen Koffer voll mit komplementären Produkten, die können das Potenzial viel besser heben als Adhesys", sagt Schüller. "Sobald wir gezeigt haben, dass unser Produkt am Menschen anwendbar und effektiv ist, ist der Punkt gekommen, Gespräche zu führen." So weit ist Adhesys noch nicht. Ende 2017, Anfang 2018 ist es vielleicht so weit.

An diesem Abend im Adlon hat Adhesys schon gewonnen. Auch das letzte Votum entscheidet das Start-up klar für sich. Und dann reckt Schüller die Trophäe in die Luft, einen Eispickel, wie es sich für einen Gipfelstürmer gehört.

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