Gewinnprognosen:Flüchtiger Euro-Effekt

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Deutsche Konzerne haben im ersten Halbjahr auffallend häufig ihre Gewinn- und Umsatzprognosen korrigiert, weit überwiegend nach oben. Dafür sorgten vor allem der schwache Euro - und vorsichtige Manager.

Von Jan Willmroth, München

In manchen Fällen genügen Begriffe, um zu verdeutlichen, wer das Sagen hat. Autozulieferer ist ein solcher Begriff, sagt er doch an sich aus, dass die einen Autos herstellen und verkaufen, während die anderen nur die dazu benötigten Teile liefern. Insofern sind die Zulieferer auf die guten Verkäufe der Autohersteller angewiesen - so verhält es sich in der Regel. Jetzt aber stehen die Hersteller vor der Frage, wer eigentlich noch ihre Fahrzeuge kaufen soll, wenn Russland ausfällt und sich die Nachfrage in China abschwächt.

Nun hat Continental, einer dieser Autozulieferer und Dax-Unternehmen, im laufenden Jahr bereits zweimal die Gewinnprognose angehoben. Und Volkswagen musste seine nach unten korrigieren.

Zwei Konzerne, zwei gegensätzliche Beispiele, ein Trend: In den vergangenen Jahren haben die im Prime Standard der Frankfurter Börse gelisteten Unternehmen immer häufiger ihre Gewinn- und Umsatzprognosen korrigiert. Mit Blick auf das erste Halbjahr 2015 fällt einer Erhebung der Prüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) zufolge vor allem die hohe Zahl der gestiegenen Gewinn- oder Umsatzerwartungen auf. 59 der 304 untersuchten Unternehmen haben ihre Jahresprognosen angehoben, 24 mussten ihre Aktionäre vor sinkenden Profiten warnen.

Die Gründe dafür sind höchst unterschiedlich: Mal waren es Umwälzungen einer ganzen Branche wie bei den Energieversorgern, mal individuelle Probleme wie bei dem Baudienstleister Bilfinger, die Gewinne und Umsätze einbrechen lassen. Als eine der wichtigsten Ursachen für die so häufig übertroffenen Vorhersagen haben die Kapitalmarktexperten von EY vor allem Währungseffekte ausgemacht: Der schwache Euro, besser gesagt die im Vergleich zum Euro starken US-Dollar und Yuan erleichtern vor allem exportorientierten Unternehmen das Geschäft. "Über die tatsächliche operative Entwicklung der Unternehmen sagt die aktuelle Flut von Gewinn- und Umsatzerwartungen relativ wenig aus", sagt Martin Steinbach, bei EY für Börsengänge und -notierungen zuständig.

Selbst Erfolgsmeldungen, die in der Regel für steigende Aktienkurse sorgen, sollten derzeit also nicht über schwierige Aussichten hinwegtäuschen: Die wirtschaftliche Schwäche der Schwellenländer, der Wegfall Russlands als Exportmarkt und das verlangsamte Wachstum der chinesischen Wirtschaft dürften deutsche Unternehmen künftig stärker belasten. Recht viele Konzerne könnten überhaupt nur wegen der bislang positiven Währungseffekte steigende Umsätze und Gewinne ausweisen, meint Steinbach. So manche vermeintliche Stärke kann sich bald erledigt haben, wenn diese Sondereffekte ausbleiben.

So sieht das auch Christian von Engelbrechten, auf Deutschland spezialisierter Fondsmanager bei Fidelity. Er plädiert aber für eine differenzierte Betrachtung einzelner Unternehmen - die meisten könnten auch ohne den Rückenwind der Währungen wachsen und hätten gute Bilanzen, sagt er. Wenn im kommenden Jahr der Währungseffekt wegfalle, werde sich das Gewinnwachstum allerdings verlangsamen. In den Aktienkursen ist das bereits zu sehen. Ein weiterer Grund für die vielen nach oben korrigierten Erwartungen dürften niedrig angesetzte Schätzungen sein. Es ist angenehmer, die Prognose anheben zu können. Die Aktie von Unternehmen mit einer Gewinnwarnung notierte eine Woche nach der Meldung um durchschnittlich neun Prozent niedriger. "Solche Vertrauensverluste in das Management eines Unternehmens hängen oft lange nach. Ich denke, die Managements haben in den vergangenen Jahren dazugelernt", sagt Engelbrechten. Dazugelernt, das heißt: Lieber nicht zu früh zu viel versprechen. Das ist im Lichte der Unsicherheitsfaktoren inner- und außerhalb Europas auch recht vernünftig.

© SZ vom 20.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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