Gewerkschafter in Aufsichtsräten:Brüder, zur Sonne, zur Freiheit

IG-Metall-Chef Huber hat als stellvertretender Aufsichtsratschef bei Siemens und Volkswagen die höchsten deutschen Managergehälter mitgenehmigt. Nun fordert der Gewerkschafter einen härteren Kurs, denn er weiß, dass in den Aufsichtsräten manches schief läuft.

Von Karl-Heinz Büschemann, Detlef Esslinger und Thomas Fromm

Das Gespräch war kurz und schmerzvoll. Bertin Eichler, der seit 17 Jahren im Vorstand der IG Metall in Frankfurt sitzt, war in die Schlagzeilen geraten. Er war als Vize-Aufsichtsratschef von Thyssen-Krupp erster Klasse geflogen. Fünf Mal. Nichts Besonderes für Aufsichtsräte. Aber auch nichts Verbotenes. Doch IG-Metall-Chef Berthold Huber bürstete seinen Kollegen ab. Er müsse als Aufsichtsrat gehen und dem Unternehmen den Differenzbetrag zur Business Class aus eigener Tasche zurückerstatten; außerdem müsse er sich öffentlich entschuldigen. "Es geht nicht um dich", machte Huber dem Kollegen klar. "Es geht um die IG Metall und die Mitbestimmung!"

Die Krise um den Stahlhersteller und Anlagenbauer Thyssen-Krupp hat nicht nur dessen halben Vorstand den Job gekostet. Der Aufsichtsrat muss sich fragen lassen, wie er ein Versagen zulassen konnte, das zu Milliardenverlusten führte und die Existenz des Konzerns bedroht. Ein Thema nicht nur für das Management. Denn: Damit steht auch die IG Metall in der Kritik. Die hat bei Thyssen-Krupp eine starke Stellung.

Da steht mehr auf dem Spiel als ein Traditionskonzern mit 160 000 Mitarbeitern. Jetzt geht es auch um die größte Errungenschaft der deutschen Gewerkschaftsbewegung: die paritätische Mitbestimmung. Eichlers Reisen verstärken den Eindruck, dass man nicht aufgemuckt hat, weil man durch Luxusflüge und First-Class-Behandlung beeindruckt wurde.

Es werde sich etwas ändern müssen.

Huber ärgert sich über Kollegen wie Eichler. "Ich frage mich, wo die Sensibilität war, angesichts der Situation des Unternehmens." Er sagt aber auch: "Das System der Mitbestimmung ist dadurch nicht angreifbar." Es funktioniere in tausenden Unternehmen, zu deren Wohl. Aber dennoch: Es werde sich etwas ändern müssen.

Im vergangenen Jahr waren vor allem die IG Metall und ihr Chef in die Kritik geraten. Huber hatte als stellvertretender Aufsichtsratschef bei Siemens und Volkswagen die höchsten deutschen Managergehälter aller Zeiten mitgenehmigt. Und nun geht es wieder um die Frage, ob die Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten den Managern und der Kapitalseite zu nahe gekommen sind.

Huber scheint zu ahnen, dass unangenehme Debatten auf die Gewerkschaften zukommen. Es könne so nicht weitergehen, sagt er der Süddeutschen Zeitung. Die Arbeitnehmervertreter müssten sich wieder stärker auf ihre Rolle als Gewerkschafter konzentrieren. "Wir brauchen Leute, die die Werte der Arbeitnehmer in den Kontrollgremien vertreten." Es könne nicht angehen, dass die Gewerkschafter in den Aufsichtsräten im Zweifelsfall auf der Seite der Vorstände stehen. "Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten müssen den Mut finden, auch mal etwas nicht mitzutragen".

Mitten in der Debatte über die Kluft zwischen Arm und Reich musste sich Huber fragen lassen, ob es Aufgabe von Gewerkschaftern ist, Managergehälter in zweistellige Millionenhöhe zu treiben. Ob man noch die Interessen der Mitglieder vertritt oder schon Teil des Management-Establishments ist.

Kluge Manager umarmen die Arbeitnehmer geschickt

Kluge Manager nutzen die Mitbestimmung längst für ihre Zwecke und umarmen die Arbeitnehmer geschickt. Strategen wie die Aufsichtsratschefs von VW und Thyssen-Krupp, Ferdinand Piëch und Gerhard Cromme, verstehen sich besonders auf ein System von Geben und Nehmen, das angeblich beiden Seiten nützt und Entscheidungen beschleunigt. In beiden Firmen sind die Gehälter von Vorständen und Aufsichtsräten besonders hoch. Zufall oder ein Gegengeschäft? Huber reagiert sauer: "Wir machen keine Koppelgeschäfte." Weniger kluge Manager meinen, alles alleine machen zu können - Anton Schlecker war ein Beispiel dafür. Er steuerte seine Drogeriekette in den Exitus.

Weit weg von der Frankfurter IG-Metall-Zentrale - in Dresden - sitzt ein Mann, der sich unter anderem zu den Fällen Thyssen-Krupp und Schlecker eine Meinung gebildet hat. Kurt Biedenkopf war bis 2002 Ministerpräsident von Sachsen und ganz früher, Ende der sechziger Jahre, sozusagen der Vater der deutschen Mitbestimmung. Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 geht auf eine Kommission zurück, die der CDU-Politiker Biedenkopf geleitet hatte. Über Schlecker sagt Biedenkopf: "Ein Betriebsrat hätte wohl vor den Gefahren der Expansion gewarnt. Ein gutes Beispiel dafür, wie sich ein Unternehmer überschätzen kann."

Die starken Betriebsräte der Automobilbranche

Schlecker ist das eine Extrem. Auf der anderen Seite steht die Automobilbranche. Es dürfte kaum eine Industrie geben, in der Betriebsräte so viel mitbestimmen dürfen wie in der PS-Branche. Hier, wo es um Hunderttausende Jobs geht, hat auch die IG Metall mehr als nur ein Wörtchen mitzureden. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh etwa. Der Arbeitnehmervertreter sitzt nicht nur bei Großveranstaltungen und Automessen gleich hinter dem Vorstand - er spricht auch manchmal so, als wäre er einer. In diesen Tagen zum Beispiel erklärte Osterloh, das VW-Ziel von zehn Millionen Autos bis 2018 habe sich längst erledigt. Weil es eh übererfüllt wird. VW brauche eine neue Strategie, die bis 2020 oder 2022 reiche. Aussagen, wie sie sonst eher von einem Vorstandschef kommen.

Ein anderer mit Macht ist Manfred Schoch, Betriebsratschef bei BMW. Innerhalb des stillen BMW-Konzerns, der von der noch stilleren Quandt-Familie kontrolliert wird, ist Manfred Schoch wohl der Allerstillste. Es ist mitunter einfacher, mit Vorständen ins Gespräch zu kommen als mit dem Mann, der seit mehr als 25 Jahren den Betriebsrat führt. In seinem Reich will er in Ruhe gelassen werden - und lässt auch weitgehend in Ruhe. Sozialpartnerschaft, das bedeutet bei BMW vor allem: Keine offene Kritik am Management. Das Prinzip der unsichtbaren Macht - damit fährt Schoch seit Jahren ganz gut.

Dass BMW inzwischen so flexibel in seinen Fabriken arbeitet, dass man auch größere Einbrüche bei der Nachfrage ohne Entlassungen abfedern kann, sagen viele, sei auch Schochs Verdienst. Der Manager-Betriebsrat steht für Betriebsvereinbarungen, die flexiblere Pausen- und Schichtregelungen und den Abbau von Leiharbeit vorsehen. Zuletzt gab der Konzern bekannt, 3000 Leiharbeiter fest einzustellen.Bei BMW läuft es irgendwie. Geräuschlos. Doch nicht überall ist das so.

Muss die Gewerkschaft sich schuldig fühlen?

Berthold Huber wiegt den Kopf. Er weiß, dass in den Aufsichtsräten manches schief läuft. Die Arbeitnehmervertreter müssten noch besser für ihre Aufgaben weitergebildet werden. Deswegen habe die IG Metall inzwischen eine eigene Mitbestimmungsakademie gegründet. Doch am Ende komme es darauf an, dass die Kollegen sich ihrer Rolle bewusst sind, dass ihnen klar sei, keine Manager zu sein.

Mag sein, dass sein Vorstandskollege Eichler bedient ist, wenn er so etwas hört. Mag sein, dass dieser Metaller längst begriffen hat, was auch der Fachmann in Dresden über sein Verhalten in der Sache sagt: "Es war nicht klug." Zugleich aber hält Kurt Biedenkopf die Diskussion für übertrieben: "Die Aufregung in der Öffentlichkeit war nicht souverän", findet er. Ihm geht es ganz generell zu weit, wie derzeit immer sofort und ohne Rücksicht auf den Anlass ein Rücktritt gefordert wird. "Diese Aufgeregtheiten wollen wachrütteln", sagt Biedenkopf, "aber sie tun es ohne Ziel." Darin zeige sich etwas anderes: nämlich die Unfähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. "Weil solche Parolen permanent gerufen werden, wird letztlich alles unwichtig."

Die IG Metall ist nervös, sie sorgt sich, in Mithaftung für Katastrophen genommen zu werden. Es ist nur eine Annahme, aber wahrscheinlich wäre Huber mit seinem Kollegen nicht so rabiat umgesprungen, gäbe es bei Thyssen-Krupp derzeit Milliardengewinne statt Verluste. Nur, muss die Gewerkschaft sich schuldig fühlen? Biedenkopf findet: nein. Schuld am Desaster sind Fehlinvestitionen in Brasilien und in den USA.

"Aber", fragt Biedenkopf, ganz grundsätzlich: "Wenn die Eigentümervertreter dies für richtig halten, warum sollte die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat dann dagegenhalten?" Nach Angaben von Aufsichtsratschef Cromme sei alles gründlich beraten worden. Biedenkopf weist darauf hin, wer bei Thyssen-Krupp faktisch das Sagen hat: "Die Kruppstiftung unter der Führung des 99-jährigen Berthold Beitz." Und nun? Nun müssten die Betriebsräte beim Aufräumen helfen. Biedenkopf sagt: "Auch nicht gerade das, wofür sie sich in den Betriebsrat haben wählen lassen."

"Die Unbegrenztheit werde ich nicht mehr mitmachen"

"Brüder, zur Sonne, zur Freiheit", das alte Arbeiterlied, das bei Gewerkschaftstagen und sogar SPD-Treffen angestimmt wird, ist weit weg vom Nadelstreifen-Habitus der Gewerkschaftsfunktionäre in den Konzern-Aufsichtsräten. Längst kämpfen die Gewerkschafter mit den eigenen Ansprüchen, und so viel Nachsicht wie von Biedenkopf können sie bei Mitgliedern und Teilen der Öffentlichkeit kaum noch erwarten. Ihnen ist einiges aus dem Ruder gelaufen.

Der IG-Metall-Chef hatte schon 2010 geschrieben, man hätte sich "bereits vor Jahren noch viel entschiedener gegen zu hohe Managergehälter" stemmen müssen. Zwei Jahre später genehmigte er aber als VW-Aufsichtsratsvize dem VW-Vorstandschef Winterkorn ein Gehalt von 17 Millionen Euro. Jetzt will er bei VW eine Deckelung bewirken. "Die Unbegrenztheit werde ich nicht mehr mitmachen", sagt er. Warum bloß hat er sich dann so lange Zeit gelassen? Huber wiegt den Kopf: "Die Dinge zu ändern, ist nicht einfach, das erfordert Zeit, insbesondere bei gültigen Verträgen."

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