Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten:Warum Gewerkschafter die Rekord-Managergehälter abnicken

Ob bei VW, Siemens oder Thyssen-Krupp - die Vorstandschefs vieler Dax-Konzerne steigern ihre Bezüge rasant. Gewerkschafter segnen die exorbitanten Gehälter in den Aufsichtsräten ab. Diese Nähe zwischen den Vertretern der Mitarbeiter und deren Chefs ist politisch gewollt, aber auch gefährlich. Haben die Genossen versagt?

Karl-Heinz Büschemann

Die Reaktionen waren heftig. Das Gehalt von VW-Vorstandschef Martin Winterkorn sprengte alle Grenzen. Der Manager hatte laut Angaben von VW im vergangenen Jahr 17,4 Millionen Euro verdient. Das galt als deutscher Rekord, und sofort hagelte es Kritik von allen Seiten. In Wahrheit hat Winterkorn sogar mehr verdient als bisher bekannt war: Der 64-jährige VW-Chef sitzt schließlich auch noch als Vorstandschef in der Porsche SE, einer reinen Holding-Gesellschaft, die formal knapp 51 Prozent der VW-Aktien hält. Der Geschäftsbericht dieser Holding weist bei Winterkorn für beide Gesellschaften zusammen ein Gehalt von 18,3 Millionen Euro aus. Das hat es in der deutschen Wirtschaft noch nie gegeben.

Volkswagen AG's Chief executive officer Winterkorn poses during the annual shareholder meeting of Volkswagen AG in Hamburg

Millionengehalt: Volkswagen-Chef Martin Winterkorn, Archivbild von der Hauptversammlung 2009.

(Foto: REUTERS)

Die Aufsichtsräte, die für die Festlegung der Gehälter in Aktiengesellschaften zuständig sind, werden umdenken müssen. Für den Frankfurter Rechtsprofessor Theodor Baums ist die Gehaltsentwicklung ein klarer Fall von "Kontrollversagen". Sein Wort hat besonderes Gewicht: Er ist Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex. Sie gibt Regeln für gute Unternehmensführung vor.

Angesichts der rasanten Entwicklung der Chef-Gehälter geraten jetzt die Gewerkschaften unter Druck. Ihre Vertreter haben in den zuständigen Aufsichtsräten mitgestimmt, sie sind zu Mittätern geworden. Sie müssen sich fragen lassen, ob diese Millionengehälter für einzelne Personen noch zu rechtfertigen sind. Seit 2006 sind die Vorstandsgehälter im Schnitt um ein Viertel gestiegen - trotz der großen Krise. Angesichts solcher Einkommenszuwächse, von denen Arbeitnehmer nur träumen können, kommt sogar der Verdacht der Kumpanei der Gewerkschafter mit dem Management auf. Geht die Mitwirkung zu weit? Wurden Arbeitnehmervertreter durch die paritätische Mitbestimmung in den Aufsichtsräten zu Genossen der Bosse?

Gefährliches Geben und Nehmen

Die Stimmen der Mahner mehren sich. Für den Münchner Rechtsprofessor Volker Rieble birgt die Nähe von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den Aufsichtsräten die Gefahr eines Interessenkonflikts. Arbeitnehmervertreter könnten vergessen, dass sie im Aufsichtsrat das Wohl der ganzen Firma im Auge haben müssen und nicht allein die Interessen der Belegschaft: "Da ist die Möglichkeit zur Korruption angelegt."

Eine ähnliche Meinung vertritt Peter von Blomberg, einst Personalvorstand der Allianz Versicherungs AG und heute Vize-Chef der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International. Der Ex-Manager sieht in den Aufsichtsräten die Gefahr zum gefährlichen Geben und Nehmen. Diese Konstellation sei "zweifellos geeignet, die Bereitschaft zum angreifbaren Tauschgeschäft zu fördern", findet der Experte.

Bei VW haben auch die Mitarbeiter vom guten Geschäft des vergangenen Jahres profitiert. Jeder Tarifmitarbeiter bekam eine Sonderzahlung von 7500 Euro. Angesichts der großzügigen Ausschüttung kann es kaum wundern, dass der Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh das Gehalt des Vorstandschefs Winterkorn gutheißt. Das Vergütungssystem von VW sei "vorbildlich". Allerdings zeigt sich IG-Metall-Chef Berthold Huber, der bei VW stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender ist, in dieser heiklen Frage einsichtiger. Der Frankfurter Rundschau sagte der Gewerkschafter: "Wir sollten Grenzen für die Vorstandsvergütung setzen."

Ein ehemaliger Konzernchef, der in vielen großen Unternehmen in Aufsichtsräten saß, hält den Auftrieb der Gehälter auch für eine Folge der schwindenden Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter in den Kontrollorganen. Ein Grund dafür sei die hohe Bezahlung, mit der mancher Aufsichtsratsjob vergütet werde. "Die Bezüge sind inzwischen unerhört hoch", kritisiert er. Früher seien die Gewerkschaften kritischer gewesen, da habe "die IG Metall stärker gebremst".

Gewerkschaftsstiftung finanziert sich aus Aufsichtsratsbezügen

IG-Metall-Chef Huber erhielt für seine Tätigkeit als VW-Kontrolleur 2011 eine Summe von 589.000 Euro. Ober-Betriebsrat Osterloh, der auch im Aufsichtsrat sitzt, bezog 371.000 Euro. Die Arbeitnehmervertreter führen mehr als 80 Prozent ihrer Aufsichtsratsbezüge an die Hans-Böckler-Stiftung ab, die sozialwissenschaftliche Einrichtung des DGB, die sich der Idee der Mitbestimmung verpflichtet fühlt, sozialwissenschaftliche Forschung betreibt und Stipendien für Studenten finanziert. Die Böckler-Stiftung bezieht aus den Aufsichtsratsmandaten jedes Jahr mehr als 30 Millionen Euro. Ohne diese Zuwendungen könnte der DGB die Stiftung nicht finanzieren.

Für viele Manager ist diese Finanzierung der DGB-Stiftung ein Ärgernis. Sie äußern diese Kritik aber nicht öffentlich. Wer sich mit den Arbeitnehmern im Aufsichtsrat anlegt, hat kaum Chancen, in einer deutschen Aktiengesellschaft einen Vorstandsvertrag zu bekommen. Manager-Karrieren hängen entscheidend vom Wohlwollen der Arbeitnehmer ab. Umgekehrt profitiert die Belegschaft, wenn ihre Vertreter in den Entscheidungsgremien bei den Chefs gut angesehen sind.

Die Linie zwischen den Interessen von Arbeitnehmern und der Kapitalseite ist leicht zu verwischen. Wie sollen Arbeitnehmer-Vertreter dem Management gegenüber kritisch bleiben, wenn es sich lohnen kann, der Konzernführung gegenüber verständnisvoll zu sein? Für Gewerkschaftsvertreter fallen immer wieder lukrative Führungsjobs an. So machte der große VW-Patron Ferdinand Piëch, der Aufsichtsratschef, im Jahr 2005 mit den Stimmen der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat den langjährigen IG-Metall-Funktionär Horst Neumann zum Personalvorstand des Autobauers - gegen den Willen der Kapitalseite im Kontrollgremium. Auch der damalige Vorstandschef Bernd Pischetsrieder war gegen die Berufung Neumanns. Dem geschickten Strategen Piëch war offenbar ein gutes Verhältnis zur mächtigen IG Metall wichtig, ohne die bei VW praktisch nichts läuft - wichtiger jedenfalls als die Einigkeit mit Vorstandschef und Kapitalvertretern im Aufsichtsrat.

Politisch gewollte Nähe

Freundlichkeiten gibt es auch bei Thyssen-Krupp. Der in Schwierigkeiten steckende Essener Stahl- und Maschinenkonzern plant, den Gesambetriebsrats-Chef Thomas Schlenz im Mai zum Arbeitsdirektor der Tochtergesellschaft Thyssen-Steel zu machen. Solche Seitenwechsel von Arbeitnehmer-Vertretern sind in der Stahlindustrie Usus. Fraglich ist aber, ob damit die kritische Distanz zwischen Arbeitnehmern und Kapitalseite erhalten bleibt.

Bei Siemens wertete Aufsichtsratschef Gerhard Cromme die IG Metall im Jahr 2009 auf, als er das Aufsichtsratspräsidium um deren Chef Huber erweiterte und erstmals paritätisch besetzte. Huber wurde stellvertretender Aufsichtsratschef. Früher hatte der Chef des Gesamtbetriebsrats diesen Posten.

Die Nähe von Arbeitnehmern und Kapitalvertretern in den Aufsichtsräten ist politisch gewollt. Die Idee des partnerschaftlichen Umgangs von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ist im Mitbestimmungsgesetz von 1976 festgelegt. Diese Regelung gilt gemeinhin als Grund für den sozialen Frieden in der Republik. Allerdings ist unklar, ob den Vätern der Mitbestimmung bewusst war, dass mit dieser Regelung die Kontrolle in den Aufsichtsräten geschwächt werden könnte.

Es kann Zufall sein - aber bei VW wie bei Siemens und Daimler, den Industrieunternehmen mit den höchsten Chef-Gehältern, haben auch die Aufsichtsräte die höchsten Tantiemen. IG Metall-Chef Huber wollte trotz mehrfacher Nachfrage der Süddeutschen Zeitung zu diesen Fragen keine Stellung nehmen.

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