Gesundheitspolitik:Politiker stoppen Lobby

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Herzoperation: Lobbyisten sollen nicht mehr über die Ausstattung der deutschen Krankenhäuser mitentscheiden. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Abgeordnete haben verhindert, dass zwei wirtschaftsnahe Funktionäre über medizinische Regeln entscheiden. Damit wollen sie die Lobbyisten in die Schranken weisen.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Gesundheitspolitiker aus allen Bundestagsfraktionen haben am Mittwoch verhindert, dass zwei Lobbyisten künftig über die Zulassung von neuen Medikamenten, die Ausstattung der deutschen Krankenhäuser oder Regeln für Schwangerschaftsabbrüche entscheiden.

Man habe ein "politisches Signal" senden wollen, sagte der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Edgar Franke (SPD). Dass dieses Signal überhaupt nötig geworden ist, liegt daran, dass die Bundesregierung in den vergangenen Jahren immer weniger gesundheitspolitische Entscheidungen selbst getroffen hat. Stattdessen hat sie neue Regeln einem Gremium überlassen, das von Interessenvertretern der Krankenkassen, Kliniken, Ärzte und Zahnärzte gesteuert wird, dem Gemeinsamen Bundesausschuss.

Als dieses Gremium vor 13 Jahren gegründet wurde, steckte dahinter ein guter Gedanke. Die Fachleute sollten selbst aushandeln, was die Patienten brauchen, und nicht die Politiker. Die Ärzte und die Kassen berieten also über den Nutzen von Arzneimitteln oder darüber, welche Impfungen nötig sind. Sie legten fest, wie pflegebedürftige Menschen zu Hause versorgt werden sollen oder welche Geräte in einem Krankenhaus stehen müssen, damit es Notfallpatienten aufnehmen darf. Je länger dieser Bundesausschuss existiert, desto mehr Aufgaben bekommt er. Doch nun verhält es sich mit dieser Expertenrunde ein bisschen so wie in Goethes Reim vom Zauberlehrling: Die Helfer, die sich die Politik geschaffen hat, machen sich jetzt selbständig.

Eigentlich hat der Bundesausschuss klar verteilte Rollen. Fünf Vertretern der Krankenkassen sitzen fünf Medizinvertreter gegenüber, und jeder hat eine Stimme. Dazu kommen drei "unparteiische Mitglieder", wie es im Gesetz heißt. Sie haben das letzte Wort. Doch statt nach unabhängigen Gesundheitsexperten zu suchen, die diese wichtigen Posten bekleiden, haben sowohl die Krankenkassen als auch die Kliniken nun Männer vorgeschlagen, die bislang Lobbyisten waren.

Lars Lindemann, der Kandidat der Klinikbetreiber, saß bis 2013 für die FDP im Bundestag und vertrat dort streitbare Positionen. Einmal montierte er mit Photoshop das Parteilogo der Grünen auf ein Originalplakat der Nationalsozialisten. "Eßt Vollkornbrot", stand darauf. Lindemann wollte so ihren Vorschlag zum Veggie-Day kritisieren.

Während sich Lars Lindemann als Abgeordneter um Gesundheitspolitik kümmerte, leitete er gleichzeitig den Spitzenverband der Fachärzte Deutschlands. Das mahnte der Verein Lobbycontrol schon damals an. Bis heute ist Lindemann Geschäftsführer des Verbands und der angeschlossenen Beratungsagentur Sanakey, die Fachärzten helfen soll, Sonderverträge mit Krankenkassen auszuhandeln. Lindemann setzt sich dafür ein, dass zum Beispiel Urologen oder Dermatologen im deutschen Gesundheitssystem eine ebenso wichtige Rolle spielen wie Hausärzte - und somit noch besser verdienen.

Die 36 Abgeordneten im Gesundheitsausschuss des Bundestags befanden nun einstimmig, dass Lindemann nicht unparteiisch sei. Genauso wenig wie die zweite Person, die Krankenkassenvertreter für das Gremium vorgeschlagen hatten. Sie hatten für den ehemaligen Vorstand des AOK-Bundesverbands, Uwe Deh, plädiert, der dort vor zwei Jahren im Streit gegangen war. Auch er galt im Bundestag als alles andere als unabhängig.

Die Politiker wollen das mächtige Gremium erstmals in die Schranken weisen

Der Staatssekretär des Bundesgesundheitsministeriums, Lutz Stroppe, hatte dennoch weder gegen die Aufstellung von Deh noch von Lindemann etwas einzuwenden, jedenfalls nicht offiziell. Denn laut Gesetz darf das Ministerium nur Personen ablehnen, die "im vorangegangenen Jahr" bei einer Krankenkasse oder als Vertragsarzt beschäftigt waren. Der Gesundheitsausschuss kann dagegen ein Gremiumsmitglied verhindern, "sofern er die Unabhängigkeit oder die Unparteilichkeit der vorgeschlagenen Person als nicht gewährleistet ansieht". Weil es auch diese Möglichkeit erst wenige Jahre gibt, schreibe man nun "Rechtsgeschichte", sagt der Ausschussvorsitzende Franke. So wollen die Politiker das immer mächtiger werdende Gremium erstmals in die Schranken weisen, auch wenn derzeit keiner von ihnen fordert, dem Bundesausschuss tatsächlich wieder Verantwortung wegzunehmen.

Der Kassenverband erklärte, er könne die Entscheidung der Politiker "nicht nachvollziehen" und halte sie "für falsch". Der Präsident der Krankenhausgesellschaft sagte, man werde sich auf "einen neuen Personalvorschlag verständigen". Beide Verbände haben dafür sechs Wochen Zeit. Wenn ihre neuen Personal-Ideen wieder abgelehnt werden, kann Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bestimmen, welche unparteiischen Mitglieder künftig im Gemeinsamen Bundesausschuss über Medizin und Pflege entscheiden.

Bislang hatten Harald Deisler, der auch ein Ex-Kassenfunktionär ist, und die Gynäkologin Regina Klakow-Franck die Aufgabe übernommen. Ohne sie säßen in dem Gremium - bis auf eine Ausnahme - bald nur noch Männer, bemängelte das Ministerium.

© SZ vom 29.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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