Gesundheitspolitik: Krankenkassen:"Das ist eine echte Blamage"

Der Umgang mit den Mitgliedern der City BKK empört die Politik, der neue Gesundheitsminister droht mit Konsequenzen. Die Kassen gestehen erstmals das Ausmaß des Desasters.

Was sollen die Mitglieder der Pleite-Kasse City BKK nur machen? Weil deren Noch-Mitglieder Probleme haben, bei anderen Kassen unterzukommen, verschärfen die Politiker aller Parteien die Tonlage. "Ich erwarte, dass das jetzt zügig zu konkreten Lösungen kommt", sagte der neue Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) am Rande eines Krankenkassen-Krisentreffens in Berlin. "Wenn aber die Kassen nicht in dieser Woche in der Lage sind, dann muss die Politik nächste Woche in der Koalition darüber beraten, ob wir und wenn ja, welche Konsequenzen wir daraus ziehen."

AOK Nordost verlaengert für Kunden der City BKK ihre Oeffnungszeiten

Lange Schlange von Kunden der City BKK vor einer Berliner Filiale der AOK.

(Foto: dapd)

Kassenchefs, die Interessierte in Telefonschleifen abwimmelten oder die ihre Geschäftsstellen plötzlich bis auf weiteres schlössen, müssten "persönlich haften", sagte Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) der Financial Times Deutschland. Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Karl Lauterbach, unterstützte den Vorstoß. Singhammer kündigte an, kommende Woche würden die Unionsexperten über eine Gesetzesänderung beraten.

Gesundheitsminister Bahr sagte, mit Anzeigen und im Internet habe das Ministerium die Versicherten auf ihre Rechte aufmerksam gemacht, eine neue Kasse frei zu wählen. "Sie können sich bei der Aufsicht beschweren, dann geht die Aufsicht dem Fehlverhalten einzelner Krankenkassen nach."

Unter Leitung des Verbandes der Betriebskrankenkassen trafen sich Kassenvertreter in Berlin in einer eigens zusammengerufenen "Task Force". Ziel der etwa 30 Teilnehmer von 20 Kassen vorwiegend aus Berlin und Hamburg war es, Betroffenen den Weg zu einer anderen Kasse zu ebnen. Seit Tagen finden viele der gut 170.000 City-BKK-Versicherten keine neue Kasse. Die City BKK wird zum 1. Juli geschlossen, lediglich rund 30.000 Mitglieder sollen eine neue Versicherung gefunden haben.

Mit dem Chef der Techniker Krankenkasse, Norbert Klusen, räumte erstmals ein führender Vertreter erhebliche Ausmaße des Desasters ein. "Das ist eine echte Blamage - vor allem für Kassen, die sonst gern von Solidarität reden." Die Ärzteorganisation Marburger Bund sprach von einem Skandal. Wenn Kassen "ältere Versicherte abwimmeln, weil sie ihnen zu teuer sind, verspielen sie jede Glaubwürdigkeit", sagte der Vorsitzende Rudolf Henke. Die Hospiz Stiftung forderte einen Sanktionskatalog gegen Kassen, Ärzte und Apotheker, die Patienten abweisen.

Bahrs Vorgänger als Gesundheitsminister, Philipp Rösler (FDP), wies bei der Amtsübergabe an seinen Nachfolger darauf hin, dass die Möglichkeit von Kassenschließungen politisch immer gewollt gewesen sei. Derzeit gibt es noch 155 Kassen - die Zahl dürfte weiter kontinuierlich sinken. Bereits vergangene Woche war bekanntgeworden, dass vor allem einige Ersatzkrankenkassen sich unter fadenscheinigen Begründungen vor der Aufnahme der vornehmlich älteren Versicherten der City BKK drückten. Besonders Hamburg und Berlin sind betroffen.

Ausgerechnet im Wahljahr 2013 müssen sich die Versicherten nach Prognosen der SPD auf eine Welle von Kasseninsolvenzen einstellen. "Genau in zwei Jahren werden wir die maximale Bewegung im Sinne der meisten Insolvenzen haben", sagte Lauterbach. Bahr hingegen sprach bei der City BKK von einem Einzelfall.

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