Gesundheitspolitik:Die Monster-Pauschale

Was für eine verheerende Debatte: Die Kopfpauschale ist das schwarze Loch der Gesundheitspolitik. Das Thema verschlingt nur Energie, doch die Probleme bleiben.

Guido Bohsem

Die Menschen in Deutschland zahlen für ihre Krankenversicherung. Der überwiegende Teil ist bei einer gesetzlichen Kasse versichert, der kleinere bei einer privaten. Viele sorgen sich darum, ob sie oder ihre Angehörigen im Krankheitsfall die optimale Behandlung erhalten.

Wer beim Arzt lange warten muss, ärgert sich. Alle, wirklich alle eint der Eindruck, dass sie zu viel zahlen. Wenig dürfte es die Leute hingegen kümmern, auf welche Art und Weise die Kassen jeden Monat an ihr Geld kommen. Die Wahrscheinlichkeit ist sogar ziemlich groß, dass dieses Thema in ihrem Leben keine Rolle spielt. Es ist wie beim Straßenverkehr: Um ein Auto zu fahren, muss einen nicht unbedingt interessieren, wie der Sprit in den Vergaser kommt.

Und dennoch: Seit beinahe einem Jahrzehnt diskutieren Politiker, Kassenvertreter, Ärzte, Wissenschaftler und Patientenvertreter immer und immer wieder von neuem genau diese eine Frage: Wie kommen die Kassen an ihr Geld?

Denn nichts anderes ist die Debatte über die Kopfpauschale, die nun in eine neue Regierungskommission hineinverlagert wird.

Wie die vergangenen Wochen und Monate werden auch die jetzt kommenden begleitet sein von heftigem Streit der Koalitionspartner, weil die FDP die Kopfpauschale will, die CSU sie ablehnt und die CDU hilflos dazwischen steht. Die Opposition instrumentalisiert das Thema, um im nordrhein-westfälischen Wahlkampf zu punkten und kann sich dabei seit langer Zeit mal wieder der vollen Unterstützung der Gewerkschaften sicher sein. Denn nichts ist für Wahlkampfzwecke besser geeignet als ein Vorhaben, das kaum jemand versteht und sich deshalb prima diffamieren lässt.

Man kann von der Kopfpauschale halten, was man will. Man kann sie für gerechter halten, und man kann sie unfair finden. Eins aber ist sicher: Auch wenn sie kommt, wird das Gesundheitssystem weiterhin große Probleme haben. Sie sind erkannt, sie sind beschrieben, und sie werden von der Debatte um die Pauschale verdrängt. Die Pauschale ist ein Monster-Thema, das schwarze Loch der Gesundheitspolitik. Sie bindet Energie und Zeit, und sie nimmt den Politikern die Kraft, sich um Wichtigeres zu kümmern.

Niemand sollte denken, dies ändere sich, wenn die Regierungskommission zu einem Ergebnis kommt, wenn ein erschöpfter Minister Rösler nächtens verkündet, ja, wir haben den Einstieg in die Kopfpauschale beschlossen. Nein, vieles spricht dafür, dass das Monster dann erst richtig loslegt. Das hat zwei Gründe: Geld und Bürokratie. Mit dem Beschluss, die Pauschale einzuführen, schlüge die Stunde der Lobbyisten. Sie würden das neue System auf Hintertürchen abklopfen und die ausgefeiltesten Tricks ersinnen, um auch künftig einen üppigen Anteil am 180-Milliarden-Euro-Kuchen der gesetzlichen Kassen zu ergattern.

Zweitens wären mit dem Beschluss die praktischen Schwierigkeiten noch lange nicht ausgeräumt, die die Pauschale mit sich bringt.

Wer soll den Sozialausgleich auszahlen?

Noch weiß keiner, wer den notwendigen Sozialausgleich überhaupt auszahlen soll.

Die Finanzverwaltung jedenfalls wäre damit völlig überfordert. Eine einheitliche Software gibt es nicht, und schon jetzt schaffen es die Mitarbeiter der Ämter nicht, alle Steuererklärungen gründlich zu bearbeiten. Sie sind einfach zu wenige.

Derweil liegen andere Aufgabenfelder brach. Ein paar Beispiele: Es fehlt an einem einheitlichen Klinik-Konzept. Im internationalen Vergleich gibt es zu viele Krankenhäuser in Deutschland. Die dafür verantwortlichen Länder verweigern den Kliniken zudem seit Jahren die notwendigen Investitionen. Beides führt dazu, dass das Geld knapp ist, die Häuser verfallen und das Personal weiter zurückgefahren wird.

Auch bei den niedergelassenen Ärzten gibt es ein gravierendes Problem. Seit Jahren steigt die Zahl der Mediziner, und trotzdem stehen viele Praxen in den ländlichen Regionen im Osten oder in Niedersachsen vor dem Aus, weil sich kein Nachfolger findet. Hier müssen neue Versorgungsformen her, die das Zusammenspiel von Kliniken und niedergelassenen Ärzten verbessern.

Die Bewertung von Nutzen und Kosten von Arzneimitteln steht trotz langer Aufbauarbeit immer noch am Anfang. Weil es an Forschern fehlt, die unabhängig von der Pharmaindustrie sind, sucht das dafür zuständige Institut mitunter händeringend nach den geeigneten Experten. Der Aufbau einer unabhängigen Forschung täte not.

Obwohl sie nicht kränker sind als Dänen, Schweden oder Franzosen, sitzen die Deutschen weitaus häufiger beim Arzt, im Schnitt 18-mal pro Jahr. Hier fehlt es an Instrumenten, die diese Zahl deutlich verringert. Die wichtigste Aufgabe aber ist es, das Gesundheitsbewusstsein der Deutschen zu stärken. Die Volksleiden Bluthochdruck, Diabetes und Rückenschmerzen könnten vermieden werden, wenn die Bürger mehr über die Gefahren wüssten, die falsche Ernährung und zu wenig Bewegung bergen. Hier mangelt es an Aufklärung und an Anreizen für ein vernünftigeres Leben.

Die Kopfpauschale ändert an all diesen und anderen Problemen nicht das Geringste. Im Gegenteil, sie verhindert, dass sie endlich angegangen werden.

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