Gesundheit:Zuschuss für die Fitness

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Gut für technikaffine Versicherte: Mehrere Kassen haben angekündigt, sich an den Kosten von Fitness-Armbändern oder der Apple Watch zu beteiligen.

(Foto: Sander Koning/AFP)

Das ist bizarr: Krankenkassen wollen gesundes Leben fördern, aber sie erreichen oft die Falschen.

Von Catrin Gesellensetter

Es ist nicht ohne Ironie. Seit Jahren bemühen sich Gesundheitsminister aller Couleur, die gesetzliche Krankenversicherung moderner, zukunftsfähiger, leistungsstärker zu machen - nicht zuletzt durch mehr Wettbewerb zwischen den Anbietern. Der große Wurf ist bislang niemandem gelungen. Im Gegenteil. "Ausgerechnet jene Gesetze, die den Wettbewerb zwischen den einzelnen Anbietern stärken sollten, hatten vielfach die entgegengesetzte Wirkung", kritisiert Jan Hacker, geschäftsführender Partner der auf das Gesundheitswesen spezialisierten Unternehmensberatung Oberender und Partner.

Während Firmen in anderen Branchen etwa durch besonders günstige Preise neue Kunden gewinnen können, ist das System der gesetzlichen Krankenversicherung immer strengeren Reglementierungen unterworfen: Konnten die Anbieter früher noch selbst bestimmen, welchen Beitrag sie von ihren Mitgliedern verlangten, muss heute jede der 123 Kassen denselben allgemeinen Beitragssatz erheben. Unterschiede gibt es nur bei den ungeliebten Zusatzbeiträgen. Sie fallen an, wenn eine Kasse mit den Einnahmen aus dem Einheitsbeitrag nicht über die Runden kommt.

Während sich die bundesweit tätige Bremer HKK hier mit 0,4 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens begnügt, verlangen manche regionale Anbieter von ihren Mitgliedern bis zu 1,3 Prozent als Zusatzbeitrag. Besserverdiener mit einem Monatsbrutto von mindestens 4125 Euro sparen durch einen Kassenwechsel im Extremfall zwar rund 446 Euro pro Jahr. Wer jedoch ein eher niedriges Einkommen bezieht, hat - rein finanziell - kaum einen Anreiz zum Kassenwechsel.

Auch in der Produktpolitik sind die Spielräume der Kassen begrenzt. 95 Prozent aller Leistungen gibt der gesetzlichen Leistungskatalog vor. Sie sind damit bei allen Anbietern identisch. Immerhin: Seit dem Jahr 2004 dürfen Kassen sogenannte Bonusprogramme auflegen, mit denen sie die "Prävention und Selbsthilfe" der Versicherten fördern und ein besonders gesundheitsbewusstes Verhalten belohnen können. Wie sie dabei vorgehen und was Versicherten für die Früherkennung und Vorbeugung von Krankheiten tun müssen, um sich eine Prämie zu verdienen, legen die Kassen selbstständig in ihren Satzungen fest.

Bei technikaffinen Versicherten gut ankommen dürfte zum Beispiel die Ankündigung verschiedener Anbieter, sich an den Anschaffungskosten von Fitness-Armbändern oder der Apple Watch zu beteiligen, wenn ihr Mitglieder regelmäßig etwas für die Gesundheit tun. Bei der Techniker Krankenkasse (TK) etwa müssen Mitglieder die Teilnahme an Gesundheitskursen, Früherkennungs- und Vorsorgeuntersuchungen nachweisen. Bei drei absolvierten Terminen gibt es 50 Euro Zuschuss, sechs Maßnahmen bringen 100 Euro, sieben Präventions- und Sporteinheiten sogar 250 Euro. Nach eigenem Bekunden ist der TK dabei die "starke präventive Ausrichtung" des Programmes besonders wichtig. Man wolle die "Versicherten dabei unterstützen, gesund zu bleiben und zu leben".

Ähnlich argumentieren die meisten anderen Anbieter, die ihre Mitglieder mit Bar- oder Sachprämien für die Teilnahme an Nichtraucherseminaren, regelmäßigen Yogastunden oder einer professionellen Zahnreinigung belohnen. Unabhängige Experten allerdings ziehen den präventiven Nutzen solcher Programme immer stärker in Zweifel.

Die Programme sprechen vor allem solche Kunden an, die ohnehin viel Sport machen

"Die Erfahrung der vergangenen elf Jahre lehrt, dass Bonusprogramme zur Gesundheitsförderung vor allem jene Versicherten ansprechen, die ohnehin Wert auf einen gesunden und aktiven Lebenswandel legen", sagt Viviane Scherenberg, Dekanin der Apollon Hochschule für Gesundheitswirtschaft. Sie forscht seit Jahren zum Thema Prävention. Ihre Erfahrung: "Aktive Mitglieder nehmen die angeboten Vergünstigungen oder Prämien zwar gerne mit." Nennenswerte Verbesserungen im Bereich der Prävention seien dadurch aber nicht zu beobachten, da diese Gruppe auch ohne Bonusprogramme auf ihren Lebenswandel achten würde.

"Der eigentliche Geburtsfehler der Programme liegt darin, dass sie die wirklich relevante Zielgruppe meist gar nicht erreichen", ist Scherenberg überzeugt. Überspitzt ausgedrückt: Eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, die keinen Schulabschluss, dafür aber starkes Übergewicht hat, müsste zwar dringend mehr für sich und ihre Gesundheit tun. "Gerade bildungsfernere und weniger gut situierte Versicherte nehmen solche Angebote aber nur selten wahr", so die Expertin. "Das vorgebliche Ziel, vor allem sogenannte Präventionsmuffel zu einer Verhaltensänderung zu motivieren, haben die Bonusprogramme bislang nicht erreicht."

Bezahlt machen könnten sich die Aktionen für die Kassen trotzdem. "In erster Linie sind Bonusprogramme als Marketinginstrumente zu verstehen, mit denen die Kassen neue Mitglieder gewinnen oder an sich binden wollen", sagt Unternehmensberater Hacker. Dass die Angebote vor allem junge, aktive, gesundheitsbewusste Menschen ansprechen, ist dabei ein erwünschter Nebeneffekt. "Natürlich wünschen sich die Kassen Mitglieder mit möglichst wenig gesundheitlichen Problemen und hoffen, diese 'guten Risiken' auch möglichst lange zu behalten", sagt Hacker. Die Zuschüsse für tragbare Fitnesselektronik oder andere Prämien seien aus Sicht der Anbieter daher gut investiertes Geld, auch wenn die Präventionsidee meist auf der Strecke bleiben.

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