Gesundheit:Auf der digitalen Couch

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Psychotherapeuten fordern strengere Regeln für Apps. Digitale Therapien könnten die Gesundheit der Patienten gefährden und bieten zu wenig Rückhalt in Krisen, heißt es. Der Regierung reicht hingegen eine Selbstverpflichtung der Hersteller.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Die Wartelisten von Psychotherapeuten sind in vielen Städten voll und auf dem Land ist es oft noch schlimmer. Wer in einer Krise steckt, sucht deshalb oft im Internet nach Hilfe - und findet dort immer häufiger Programme, die ihm automatisierte Unterstützung versprechen: Selbsthilfe-Apps und Stimmungstracker, Ernährungsrechner für Depressive oder Meditationsanleitungen für das Smartphone.

Der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Dietrich Munz, warnt nun, dass solche Therapie-Apps die Gesundheit der Patienten gefährden könnten. Bei Internetprogrammen fehle "der vollständige Eindruck und die körperliche Präsenz vom Patienten im unmittelbaren Gegenüber", sagt er. Dies sei aber nötig, um als Therapeut richtig einschätzen zu können, ob ein Patient zum Beispiel an Selbstmord denkt. Eine Internet-Diagnose sei auch dann fahrlässig, wenn ein Therapeut den Patienten per Video-Chat berate, heißt es in einer Mitteilung der Kammer. Die Psychotherapeuten fordern deshalb, dass ausgewählte Therapie-Anwendungen und andere Online-Hilfen künftig von Ärzten verschrieben werden können.

Anders als heute sollten Apps auf Rezept künftig allen Patienten zur Verfügung stehen, und nicht nur jenen, deren gesetzliche Krankenkasse die Programme als Extra-Leistung anbietet - ähnlich wie homöopathische Mittelchen. Dazu sollten die Anwendungen ein Zulassungsverfahren durchlaufen, heißt es aus der Kammer, am besten beim zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm).

Bereits heute hat eine Zertifizierungsstelle etwa eine Tinnitus-App zugelassen, die Musik auf dem Smartphone so filtert, dass sie die überaktiven Nervenzellen im Hörzentrum des Gehirns beruhigen soll. So bewirbt jedenfalls der Hersteller das Produkt auf seiner Webseite. Einige Krankenkassen erstatten das Programm ihren Patienten. Andere tun es nicht.

Um Erfinder solcher Anwendungen zu fördern, hat das Bfarm ein Innovationsbüro eingerichtet. Es soll Software-Entwickler dabei unterstützen, Programme so zu konzipieren, dass sie zum Medizinprodukt werden. Kürzlich lud auch Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) Start-up-Gründer zum "Networking" in ihr Ministerium ein. Auf der Bühne präsentierten Mittdreißiger zum Beispiel EKG-Noppen zum Anstöpseln ans eigene iPad oder eine App, die Asthma-Patienten berät.

Die Bundespsychotherapeutenkammer hebt in einem Grundsatzpapier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, bestimmte digitale Anwendungen als besonders nützlich hervor. Sinnvoll sei etwa, wenn Patienten ihren Tagesablauf mit ihrem Handy protokollierten, um sie anschließend mit ihrem Therapeuten zu besprechen. Auch eine Schreibtherapie per E-Mail oder ein Video-Telefonat sei in bestimmten Fällen sinnvoll. Es sei aber wichtig, dass die Programme auf "wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Verfahren" beruhen, dass ihre Wirksamkeit und ihre Nebenwirkungen bekannt seien.

Diese Dinge müssten bereits in den Angaben zum Programm stehen, heißt es in einer neuen Patienten-Checkliste der Kammer. Bei einer guten psychotherapeutischen App müssten Psychotherapeuten oder Ärzte als direkte Ansprechpartner bereit stehen. Besonders für Krisensituationen müssten die Programme einen Notfall-plan bereit halten - etwa einen Telefonanruf. Die Psychotherapeutenkammer fordert, dass Therapie-Apps künftig in das offizielle Hilfsmittelverzeichnis der Krankenkassen aufgenommen werden. Zugleich sollte es Psychotherapeuten dann gesetzlich erlaubt sein, Hilfsmittel zu verordnen. Bislang fehlt ihnen dazu die Befugnis. Wäre dies der Fall, könnten allen gesetzlich versicherten Patienten in Zukunft zugelassene technische Helfer zur Verfügung stehen.

Aus dem Bundesgesundheitsministerium heißt es dazu, dass sich Minister Hermann Gröhe (CDU) für eine europäische Selbstverpflichtung der App-Hersteller eingesetzt habe, die derzeit von den Datenschützern der EU-Länder geprüft werde. In Deutschland erarbeite zurzeit eine Arbeitsgruppe aus Ärzteschaft, Krankenkassen, Krankenhäusern, Industrie, Datenschützern und Wissenschaftlern einen Kriterienkatalog für sinnvolle Gesundheits-Apps.

© SZ vom 27.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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