Gescheiterte VW-Übernahme:Einblick ins geheime Porsche-Drehbuch

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Wann entwickelten sie den Plan zur VW-Übernahme? Der frühere Porsche-Vorstandsvorsitzende Wendelin Wiedeking (links) und sein früherer Finanzvorstand Holger Härter. (Foto: dpa)

Codenamen "Paris" und "Venedig": Ein Gerichtsbeschluss offenbart, wie sich Porsche in der Übernahmeschlacht jahrelang an Volkswagen angeschlichen haben soll.

Von Max Hägler, Stuttgart, und Klaus Ott

Es war der Juli 2005. Und niemand in Deutschland konnte sich vorstellen, dass der kleine Sportwagenbauer Porsche vier Jahre später versuchen würde, den weitaus größeren Automobilkonzern Volkswagen zu übernehmen und ihn sich einzuverleiben. Wirklich niemand?

In jenen Julitagen des Jahres 2005 schrieb eine große Wirtschaftskanzlei, die den Autobauer Porsche beriet, ein Papier, in dem es um die Frage geht, ob "Paris" denn "Venedig" übernehmen solle. Wenn man mehr als 80 Prozent von "Venedig" erwerbe, so der Hinweis der Anwälte, dann könne "Paris" dem Vorstand von "Venedig" auch Weisungen erteilen und auf den Cashflow, also die flüssigen Mittel des anderen Unternehmens zugreifen.

"No Comment" auf Presseanfragen

"Paris" steht für P wie Porsche. Und "Venedig" für V wie VW. Solche Code-Namen sind üblich bei großen Firmengeschäften. In den Juli-Tagen des Jahres 2005 tagte auch die Gesellschafterversammlung von Porsche. Auch in dieser Runde ging es um den sogenannten "> 80 % Ansatz". Auf einer für diesen Termin erstellten Power-Point-Folie war sogar von einem "indikativen Zeitplan" die Rede - und auch von einer "Kommunikationsstrategie vis-a-vis Öffentlichkeit".

Presseanfragen zu dem heiklen Thema solle man bei Porsche einfach mit "no Comment" beantworten, lautete die Empfehlung, die den Gesellschaftern präsentiert wurde. Nachzulesen ist all dies in einem kürzlich ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichtes Stuttgart (OLG), der völlig neue Einblicke ermöglicht in den Übernahmepoker zwischen dem kleinen Sportwagenbauer aus Stuttgart und dem Massenhersteller aus Wolfsburg mit all seinen Marken (VW, Audi, Škoda und andere).

Es geht dabei um die alles entscheidende Frage: Hat Porsche, damals geführt von Vorstandschef Wendelin Wiedeking und seinem Finanzchef Holger Härter, erst am 26. Oktober 2008 beschlossen, mehr als 75 Prozent von VW zu übernehmen? Oder fiel - allen Dementis aus der damaligen Zeit zum Trotz - die Entscheidung darüber schon im März 2008? Oder sogar noch früher? Und wurden dadurch andere Aktionäre, die mit VW-Aktien spekulierten und von den Plänen nichts wussten, aber eigentlich hätten wissen müssen, um Milliarden gebracht?

Die Staatsanwaltschaft in Stuttgart hegt genau diesen Verdacht. Sie vermutet, dass die handelnden Personen bei Porsche ihre wahren Absichten verschleiert haben. Andernfalls wäre der Kurs der VW-Aktie wohl explodiert und Porsche hätte sich die Übernahme von VW, die mit milliardenschweren Krediten finanziert wurde, möglicherweise nicht mehr leisten können. Die Ermittler haben den damaligen Vorstandschef Wiedeking und seinen Finanzvorstand Härter wegen Marktmanipulation angeklagt.

Und deshalb haben die Staatsanwälte auch Widerspruch eingelegt, als das Landgericht Stuttgart die Anklage im April diesen Jahres zunächst nicht zugelassen hatte. Das Oberlandesgericht hat nun angeordnet, dass dieser heikle Fall vor Gericht muss - und nicht im stillen Kämmerlein beerdigt werden darf.

Zu klären ist vor Gericht also: Was genau ist damals gelaufen? Wurde bei Porsche getrickst und getäuscht? Wurden VW-Aktionäre um Milliarden geprellt? Aus dem Beschluss des OLG geht hervor, dass man sich bei Porsche jedenfalls schon sehr früh Gedanken über ein mögliches Zusammengehen von Porsche und VW gemacht hat. Nur in welcher Form? Mit dem Projekt werde "sicher das größte Rad der Firmengeschichte" gedreht und es sei "sicher auch ein bedeutendes in der deutschen Industriegeschichte".

So steht es in einer Mail vom 30. November 2006. In einer anderen internen Mail vom 6. November 2006 riet ein Porsche-Angestellter dazu, man solle "möglichst unauffällig durchsegeln", um die Details einer etwaigen Transaktion nicht in einem frühen und unfertigen Stadium nach außen tragen zu müssen.

Wenige Tage später, am 14. November 2006, äußerte ein Anwalt von Porsche Zweifel, ob die bisherige Kommunikationsstrategie durchhaltbar sei. Das Risiko sei groß, dass eine von Porsche beschlossene Kapitalmaßnahme als weiterer Mosaikstein eines "Gesamtplans VW" der Familie Porsche und Piëch interpretiert werde. Angefügt war dem Schreiben des Anwalts auch ein Papier, das erklärte, wie mit möglichen Journalistenfragen umzugehen sei.

Journalistenfragen sollten abgebügelt werden

Demnach sollten alle Fragen nach einem weiteren Beteiligungsaufbau als "Spekulation" abgetan werden. Man solle Journalisten sagen, es bestünde "gegenwärtig", "derzeit" oder "zur Zeit" keine Absicht, die Beteiligung weiter zu erhöhen oder VW zu übernehmen.

In diese Vorgehensweise fügt sich aus Sicht des Oberlandesgerichts auch ein weiterer Vorgang ein. Am 6. März 2007 habe Porsche-Chef Wiedeking beim Genfer Autosalon erzählt, dass derzeit keine Pläne bestünden, die schon vorhandene Beteiligung an VW auf mehr als 30 Prozent zu erhöhen. Nur einen Tag später hätten aber die "Familienaktionäre", also die Porsches und Piëchs, solches beschlossen.

Am 3. März 2008 entschied der Porsche-Aufsichtsrat dann, dass Porsche seinen VW-Anteil auf mehr als 50 Prozent erhöhen dürfe. Eine Übernahmeabsicht wurde weiter bestritten: zur vernünftigen Kontrolle von VW brauche es ja sowieso 80 Prozent. Ein Aufsichtsratsmitglied hat den Ermittlungsakten zufolge in der Sitzung aber darauf verwiesen, dass "am Ende des Übernahmeprozesses eine faktische Integration von VW" stehe.

Auch deshalb spreche einiges dafür, so das Oberlandesgericht, dass bereits damals de facto "Grünes Licht" gegeben worden sei für die erst im Oktober 2008 verkündete Absicht, VW zu schlucken. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hat dazu viele Zeugen befragt, auch einen gewissen W.P., bei dem es sich um Wolfgang Porsche handeln dürfte, Oberhaupt des Porsche-Clans und damals wie heute Porsche-Aufsichtsratschef.

W.P. sagte auf die Frage der Ermittler, warum man nicht schon am 3. März 2008 eine höhere VW-Beteiligung offiziell beabsichtigt habe, es hätten noch "einige Themen reifen" müssen. Um welche es gehe, erklärte er nicht. Eine frühere Porsche-Justiziarin dagegen sagte den Ermittlern, ihr sei schon im April 2006 klar gewesen, dass Porsche Volkswagen übernehmen wolle.

Für Porsche ist das alles nicht schön, vor allem wegen der Schadensersatzklagen diverser Kapitalfonds, die Milliardenbeträge verlangen, weil sie bei ihren Aktiendeals getäuscht worden seien. Doch in Stuttgart gibt man sich weiter siegesgewiss. Wiedeking und Härter könnten in dem nun anstehenden Prozess die Vorwürfe ausräumen, glauben die Verantwortlichen bei Porsche SE.

Das Unternehmen wehrt sich bisher erfolgreich gegen die Milliardenklagen. Man habe im Hinblick auf VW alles Mögliche überlegt, aber bis Oktober 2008 keinen Übernahme-Beschluss gefasst. Vertrauliche Planspiele müssten möglich sein, so die Argumentation. Sonst könnten die Sitzungen ja gleich im Fernsehen übertragen werden, und die Konkurrenz schaue zu.

Auch das Oberlandesgericht Stuttgart sagt nicht, dass Wiedeking und Härter am Ende tatsächlich verurteilt werden müssen. Der Schluss, dass Porsche bereits im März 2008 "verdeckt" die Übernahme von VW beschlossen habe, liege "ebenso nahe" wie das Gegenteil - also die Sicht von Wiedeking und Härter, dass die Übernahmeentscheidung tatsächlich erst im Oktober 2008 gefallen sei und sie die Öffentlichkeit mithin nicht getäuscht haben.

Diese "diffizilen Beweiswürdigungsfragen" müssten jedoch, so schreibt das Oberlandesgericht, öffentlich geklärt werden. Deshalb kommt es nun zum Prozess um den Fall "Paris" und "Venedig".

© SZ vom 05.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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