Gescheiterte Griechenland-Gespräche:Warum Tsipras Schäuble auflaufen ließ

  • Stundenlang verhandeln die Euro-Finanzminister in Brüssel über einen Fahrplan für das hochverschuldete Griechenland.
  • Doch Griechenlands Premier Tsipras distanziert sich kurzfristig von einem Absichtsabkommen.
  • Tsipras ist in einer Zwickmühle. Er kann sich nicht auf eine Verlängerung des Hilfsprogramms einlassen, weil er sonst ein zentrales Wahlversprechen brechen würde.
  • Eine komplette Neuverhandlung wäre allerdings mit einem deutlichen Mehraufwand verbunden.

Analyse von Cerstin Gammelin, Brüssel

Als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eine Stunde vor Mitternacht das Sondertreffen der Euro-Finanzminister in Brüssel verließ, war er der Ansicht, dass eine Vereinbarung mit dem griechischen Kollegen über die weitere Zusammenarbeit mit dem hoch verschuldeten Land gefunden war.

Doch kurz nach Mitternacht stellte sich heraus, dass dem nicht so war. Nach stundenlangen, teils emotionalen Verhandlungen und vier verschiedenen Entwürfen für eine gemeinsame Absichtserklärung teilte Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis nach einem Telefonat mit, dass Regierungschef Alexis Tsipras die Zustimmung verweigere. Die gemeinsame Erklärung kam in die Schublade.

Ein guter, schwieriger Kompromiss

Das Nein aus Athen beruht im Wesentlichen auf dem Wort "Verlängerung". Die Euro-Partner hatten Varoufakis gedrängt, eine Verlängerung des laufenden Kreditprogramms zu beantragen. Bisher läuft es am 28. Februar aus. Der Plan der Euro-Partner ist es, dieses Programm noch einmal bis Juli zu verlängern und in dieser Zeit in Ruhe über ein neues Programm zu verhandeln.

Das Argument für die Verlängerung: Es ist im Vergleich einfacher, die anderen 18 Euro-Staaten zu bewegen, einer Verlängerung des bestehenden Programms zuzustimmen, als ein komplett neues Programm zu beschließen. Der Grund ist simpel: Wird verlängert, müssen nur einige Parlamente zustimmen, darunter der Bundestag. Wird neu geplant, müssen alle Länder ganz neu zustimmen.

Die griechische Regierung wiederum verfolgt den Plan, bis Juli eine "Brückenfinanzierung" zu verhandeln und in dieser Zeit ein neues Programm aufzulegen. In der Sache also liegen beide Verhandler gar nicht so weit auseinander. Das Dilemma allerdings ist, dass es bisher keinen Weg gibt, sich auf den Kompromiss, der in der Sache so gut wie fertig ist, zu einigen.

Tsipras' Angst vor dem gebrochenen Versprechen

Die Herausforderung für Athen ist eine innenpolitische: Die griechische Regierung braucht unbedingt die Zusage aus Europa, dass es eine "neue" Finanzierung gibt. Sie hat den Bürgern versprochen, das alte, verhasste Program zu beenden und die Troika aus dem Land zu jagen. Das ist das zentrale Wahlversprechen, das Premier Tsipras unter keinen Umständen brechen will. Die griechischen Bürger haben Syriza und Tsipras gewählt, weil sie die Troika nicht mehr sehen wollen. Weil sie wieder ein souveränes Land werden wollen. Würde Tsipras jetzt Ja zu einer Verlängerung sagen, wäre das Ende seiner Regierungszeit absehbar.

Würde Tsipras einer Verlängerung des bisherigen Programms zustimmen, deren fester Bestandteil die Troika ist, hätte er keine Handhabe mehr, Gespräche mit der Troika zu verweigern. Er hätte sein Wahlversprechen gebrochen. Die Bürger, die ihn derzeit im Umfragen mit 70 Prozent unterstützen, würden sich abwenden. Womöglich käme es zu Neuwahlen, die neue Regierung wäre schnell wieder weg. Vertraute, konservative Politiker bekämen eine neue Chance.

Womöglich kalkulieren einige Hardliner mit diesem Szenario. Klar, dass Tsipras um diese Konstellation weiß - und für seine Regierung kämpft. Die zentrale Frage, die die Europäer in den kommenden Tagen beantworten müssen, lautet daher: Was ist ein Wahlversprechen wert? An diesem Donnerstag auf dem EU-Gipfel und kommenden Montag beim nächsten Treffen der Euro-Finanzminister ist Gelegenheit, diese Frage zu beantworten.

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