Geschäfte von Ägyptens Armee:Das graue Reich der Offiziere

Nudeln, Flatscreens, Schlachthöfe - es gibt kaum eine Branche in Ägypten, an der die Armee nicht mitverdient. Im Machtkampf um die Zukunft des Landes geht es auch um das Geld der Generäle.

Von Jannis Brühl

Das Militär ist längst bei jedem Ägypter zu Hause. Die Nudeln von "Queen", das Mineralwasser von "Safi" - Ausgaben für viele Produkte des täglichen Lebens fließen an Unternehmen, die der Armee gehören. Verteidigungsminister und Armeechef Abdel Fattah al-Sisi ist nach dem Putsch vom Mittwoch nicht nur Held der Opposition. Der Mann in der sandfarbenen Uniform herrscht auch über eines der mächtigsten Wirtschaftsimperien des Landes.

Mit der Absetzung Mursis hat das Militär seine politische Macht behauptet. Dass in Ägypten aber eine Marktwirtschaft nach westlichem Vorbild entsteht, ist unwahrscheinlich. Auch wenn internationale Investoren und die kleine Mittelschicht darauf hoffen mögen. Denn die Liberalisierung ist der Albtraum der Offiziere. Sie haben zu viel zu verlieren. Der Politikwissenschaftler und Ägypten-Kenner Robert Springborg, Professor an der Naval Postgraduate School der amerikanischen Armee in Monterey, formuliert es im Gespräch mit dem US-Radiosender NPR so: "Das Militär ist nicht auf Kriegsführung fokussiert. Es ist auf Konsum fokussiert."

Neben Waffenfabriken gehören der Armee Putzfirmen, Kinderkrippen, Schlachthäuser, die Tankstellenkette "Wataniyya" - und vor allem: Land. Viel Land, das sie im Laufe der Zeit konfisziert hat. In mehr als 35 Fabriken produzieren armeeeigene Firmen Flatscreen-Fernseher oder Kühlschränke. Allein für das Industriekonglomerat AOI arbeiten 16.000 Menschen an Militär- und Ziviltechnik.

Unter Führung des Militärs soll Nasr, die Firma, die in Lizenz Autos von Fiat produzierte, nach vier Jahren Stillstand wieder den Betrieb aufnehmen. Diese Nachricht verkündete im Mai Reda Hafez, Minister für Militärproduktion und Chef der Luftwaffe in Personalunion. Schätzungen, wie groß der Anteil der Armeefirmen an der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes ist, schwanken zwischen zehn und 40 Prozent.

Weder Parlament noch staatliche Rechnungsprüfer haben die Kontrolle

Die Armee verfügt über den Militärhaushalt von mehr als vier Milliarden Dollar, dazu kommen jährlich 1,3 Milliarden Dollar amerikanische Militärhilfe. Wie viel Geld das Militär mit seinen Geschäften verdient, ist ein Geheimnis. Es gibt keine öffentliche Kontrolle seiner Wirtschaftsaktivitäten, weder durch das Parlament noch durch staatliche Rechnungsprüfer.

Wer in Kairo an Militäranlagen vorbeifährt, dem fallen denn auch die vergleichsweise schicken Wohnhäuser der Offiziere auf. Seit der ägyptische Tourismus boomt, wurden viele von ihnen Springborg zufolge mit Anteilen an Hotels und Restaurants in Urlaubsgebieten an der Küste entlohnt. Der Professor sagt, Offiziere verdienten "Milliarden und Milliarden und Milliarden Dollar".

Die Geldflüsse aus den Geschäften des Militärs fließen völlig getrennt vom Staatsbudget. Zudem gelten weitreichende Steuerbefreiungen. "Graue Ökonomie" nennt Chérine Chams El-Dine von der Universität Kairo die Wirtschaftsmacht des Militärs (El-Dines Analyse als PDF).

Dass sich die Offiziere am Vermögen des Landes bedienen, hat in Ägypten Tradition. Schon der vom Sozialismus inspirierte Staatschef und Offizier Gamal Abdel Nasser, der von 1954 bis 1970 an der Macht war, verstaatlichte große Teile der Wirtschaft. Die Nähe zum großen Geschäft war verführerisch für mächtige Offiziere und für Präsidenten stets eine Möglichkeit, die putschfreudige Armee mit Geld ruhig zu stellen.

Konkurrenz zu Oligarchen

Nassers Nachfolger Anwar al-Sadat versuchte, Ägyptens Wirtschaft umzubauen. Sein Konzept des Infitah, der wirtschaftlichen Öffnung zum Westen und der Abkehr von der Sowjetunion, brachte mächtige Konkurrenten des Militärs ins Spiel. Das System gebar eine neue Klasse von Wirtschaftsbossen aus der Privatwirtschaft, die vor allem durch ihre Nähe zu Sadat und dessen Nachfolger Hosni Mubarak zu Reichtum gelangten. Al-Dschasira zufolge war es unter Sadat und Mubarak üblich, Offiziere nach ihrer Militärlaufbahn nicht mit politischen Posten, sondern mit Arbeit in Firmen zu versorgen, die mit Land spekulieren und an Bauprojekten verdienen.

Widerstand gegen Privatisierungen ist in Ägypten also nicht nur politisch, sondern auch egoistisch motiviert. Was privat ist, ist nicht mehr unter der Kontrolle des Militärs. Der amerikanische Botschafter Francis J. Ricciardone beschwerte sich 2008 in einer von Wikileaks veröffentlichten Depesche, dass die Armeeführung keinerlei Interesse an Wirtschaftsreformen habe.

Als Mubarak 2011 zurücktreten musste, klagten Gerichte umgehend Rivalen des Militärs aus dem Klüngel des gestürzten Präsidenten an, darunter dessen Sohn Gamal und den Stahlmagnaten Ahmed Ezz. Sie sollen illegal an Geld aus Privatisierungen und an lukrative Staatsaufträge gekommen sein. Die vom Militär geführte Übergangsregierung ging der New York Times zufolge auch gezielt mit dubiosen Anschuldigungen gegen Verfechter einer wirtschaftlichen Öffnung vor.

Als vergangenes Jahr unter Präsident Mursi die neue Verfassung ausgearbeitet wurde, forderten Oppositionsgruppen, dass das Militär dem Parlament wenigstens für einen Teil seiner Geschäfte Rechenschaft ablegen sollte - ohne Erfolg. Die Ägypter haben weiterhin keinen Einblick in das graue Wirtschaftsreich der Männer in Uniform.

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