Geschäfte mit Abgasen:Die Industrie im Klimawandel

Lesezeit: 3 min

Die neuen Pläne zum Emissionshandel machen die Wirtschaft ratlos: Es gibt zu viele Gewinner.

Von Michael Bauchmüller

Seit dem vergangenen Freitag herrscht Ratlosigkeit beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Eigentlich hätte die Wirtschaftslobby rasch die neuen Pläne für den deutschen Klimaschutz geißeln müssen, denn für etliche Unternehmen bringen sie deutliche Mehrbelastungen.

Doch der BDI schweigt, der Verband ist über den Klimaschutz entzweit: Für zu viele Firmen könnte sich der Emissionsrechtehandel, der vom kommenden Januar an den Kohlendioxid-Ausstoß senken soll, auszahlen. Frühestens an diesem Donnerstag will sich der Verband äußern. Wortkarg ist auch der Verband der deutschen Elektrizitätswirtschaft, dessen Sprecherin darauf verweist, man habe sich "bislang bei diesem Thema bewusst zurückgehalten". Der Grund: Der Graben läuft quer durch die Strombranche.

Unerwartete Profiteure ...

Stein des Anstoßes ist eine winzige Gesetzes-Passage, über deren Sinn Juristen seit einigen Tagen grübeln. Sie hat einige Unternehmen zu unerwarteten Profiteuren des Emissionshandels gemacht - auf Kosten aller anderen. Die Bundesregierung hatte in ihrem "Zuteilungsgesetz", das die Verteilung der Emissionsrechte haarklein regelt, eine Ausnahme zugelassen.

Wer nicht, wie eigentlich bei den Zuteilungsregeln vorgesehen, den "historischen" Ausstoß von Kohlendioxid in den Jahren 2000 bis 2002 als Berechnungsgrundlage wählen wollte, konnte seine Anlage - zum Beispiel ein Kraftwerk - auch wie eine neue Anlage behandeln lassen. Für neue Anlagen gelten andere Regeln als für alte: Sie erhalten Emissionsrechte je nach erwarteter Produktionsmenge.

Sie müssen sich auch nicht den Minderungszielen unterwerfen - um 2,91 Prozent wollte Berlin die Emissionen senken -, sondern nach moderner Technik arbeiten. Im Gegenzug wird Jahr für Jahr die erwartete mit der tatsächlichen Produktionsmenge verglichen. Wer mehr Zertifikate bekommen hat als er brauchte, muss sie wieder zurückgeben.

Die Bundesregierung kann froh sein, dass nur für 519 von 1860 Anlagen diese "Optionsregel" beantragt wurde. 15 Prozent aller Emissionsrechte werden nach der Regel verteilt, also 77 von insgesamt 495 Millionen Tonnen CO2. Und während sich die "Optierer", die in Wirklichkeit "Optimierer" sind, heimlich freuen, haben andere das Nachsehen. Wer nach historischen Werten Emissionsrechte beantragte, so sagt ein Industrievertreter, "beißt sich jetzt ins Knie".

... und Verlierer

Und das gleich doppelt: Zum einen müssen nun mindestens diejenigen Anlagen, die nicht die Hintertür wählten, ihre Emissionen dreimal stärker mindern als bislang vorgesehen, so will es das Gesetz. Zum anderen könnten die "Optierer" noch von der EU-Kommission belohnt werden: Dort gibt es Zweifel, ob die nachträgliche Änderung der Zuteilung rechtens ist.

Das heißt: Wer sich per Antrag viele Zertifikate sicherte, muss sie womöglich noch nicht einmal nachträglich zurückgeben - und kann sie ausgerechnet jenen Unternehmen verkaufen, denen es nun an Rechten mangelt. Vor allem bei den Stromkonzernen, so heißt es in Industriekreisen, ist der Zwist groß: Während sich Eon reichlich über die "Optionsregel" eindeckte, dürften dessen Konkurrenten bald emsig ausrechnen, wer im Emissionshandel künftig auf wessen Kosten lebt. Vattenfall-Deutschland Chef Klaus Rauscher kündigte am Mittwoch bereits an, der Strompreis werde nicht zuletzt durch den Emissionshandel demnächst weiter steigen.

Allerdings warten derzeit die meisten Unternehmen immer noch auf den Zuteilungsbescheid. Bis Ende kommender Woche, so heißt es, sollen die Unternehmen Post von der Deutschen Emissionshandelsstelle bekommen haben. "Kann sein, dass es dann einen heißen Tanz gibt", sagt eine Sprecherin der Wirtschaftsvereinigung Stahl.

Schon jetzt ist klar, dass die Gerichte mit dem Emissionshandel viel Arbeit haben werden. "Das Gesetz ist handwerklich grob fehlerhaft", sagt der Münchner Rechtsanwalt Uwe Erling, der eine Reihe betroffener Unternehmen betreut. "Man kann viele strittige Fragen so oder so auslegen." Noch völlig unklar etwa ist, wer nun die zusätzliche Last schultern muss: Sind es nur diejenigen, die nicht die Optionsregel gewählt haben? Oder auch die Optierer selbst, wie es das Umweltministerium möchte? Unterdessen braut sich schon der nächste Ärger zusammen.

Mit Emissionsrechten über 30 Millionen Tonnen CO2 sollten benachteiligte Unternehmen eigentlich entschädigt werden, wenn auch erst in den Jahren 2008 bis 2012 - so sehen es jüngste Regierungspläne für eine Gesetzesinitiative vor. Nun ist anscheinend wieder offen, ob sich dies rechtlich überhaupt halten lässt. "Das Ding hängt völlig in der Luft", berichtete ein Verhandlungsteilnehmer am Mittwoch.

© SZ vom 09.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: