Gerke und Solar Millennium:Fragen an die Fliege

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Immer neue, immer gigantischere Solarprojekte versprach Solar Millennium. Auch der Börsenprofessor Wolfgang Gerke rührte kräftig die Werbetrommel. Nun gerät er wegen umstrittener Geschäfte mit dem insolventen Skandalunternehmen in Erklärungsnot. Er fühlt sich hereingelegt.

Uwe Ritzer und Markus Balser

Braungebrannt, Schnauzbart und graue Haare stets akkurat gestutzt, am Hemdkragen eine Fliege statt Krawatte - das erhöht den Wiedererkennungswert. In TV-Talkshows und Fernsehnachrichten tritt Professor Dr. Wolfgang Gerke, 68, seit vielen Jahren als weiser, seriöser Experte auf. Gerade jetzt ist er wieder gefragt: Griechenland, Euro- und Schuldenkrise wollen durch einen Fachmann analysiert und einem Millionenpublikum möglichst einfach erklärt werden.

Gigantische Pläne, die meist auf dem Papier versickerten: Ein ähnliches Solarkraftwerk sollte in Kalifornien gebaut werden. Das Projekt blieb im frühen Entwicklungsstadium stecken. (Foto: dpa)

Nach den Auftritten des Banken- und Börsenprofessors erreichen die Fernsehsender allerdings in jüngster Zeit immer häufiger Mails, Briefe und Anrufe erboster Zuschauer, wie Gerke selbst erzählt. Wie man so einen wie ihn überhaupt einladen könne, heißt es da. Und nicht selten fällt dann der Name eines Skandalunternehmens: Solar Millennium.

Etwa 30.000 Anleger und Aktionäre haben bei der Sonnenkraftwerkfirma aus dem fränkischen Erlangen mutmaßlich einen dreistelligen Millionenbetrag verloren. Immer neue, immer gigantischere Solarprojekte versprach Solar Millennium, bis hin zum größten Sonnenkraftwerk der Welt in Kalifornien. Auch Gerke rührte kräftig die Werbetrommel. Er rühmte öffentlich die "verlässliche Umsetzung der Projekte, die bei Solar Millennium geboten wird". Tatsächlich verbarg sich hinter der Nebelwand aus ständig neuen Erfolgsmeldungen des Unternehmens nur wenig Zählbares. Viele Projekte von Solar Millennium waren vor allem Hoffnungswerte, versickerten noch auf dem Papier oder blieben in frühen Entwicklungsstadien stecken. Nur zwei Sonnenkraftwerke wurden fertiggebaut.

Seit Monaten beschäftigen sich Gerichte, Staatsanwälte und die Finanzaufsicht Bafin mit den merkwürdigen Vorgängen bei Solar Millennium und den Hintermännern der Firma. Kurz vor Weihnachten meldete das Unternehmen Insolvenz an. Seither versucht auch Insolvenzverwalter Volker Böhm herauszufinden, was bei Solar Millennium Wirklichkeit war und was Luftnummern. Und vor allem: Wohin die bei Anlegern eingesammelten 300 Millionen Euro geblieben sind.

"Gerke ist einer der Vorgänge, die wir uns noch sehr genau anschauen werden", sagt Böhm auf Anfrage. Er meint vor allem die Umstände, unter denen der Banken-Professor nach Informationen der Süddeutschen Zeitung kurz vor der Insolvenz heimlich noch 400.000 Euro von Solar Millennium kassierte.

Zweifel kursieren schon länger

Wolfgang Gerkes Rolle bei der Skandalfirma ist schwer zu durchschauen. Fiel der Präsident des Bayerischen Finanzzentrums und emeritierte Professor der Universität Erlangen-Nürnberg selbst auf falsche Versprechungen herein? Hoffte er, der Gier erklärtermaßen für ganz menschlich hält, selbst auf schnelle Millionengewinne? Aber vor allem: Hätte der erfahrene Finanzmann Gerke angesichts der vielen Ungereimtheiten um Solar Millennium nicht früh misstrauisch werden müssen?

Zweifel an der Seriosität und Kritik am Geschäftsgebaren des Unternehmens kursierten schon länger. Wieso engagierte er sich trotzdem? "Vor allem, weil ich von der Technologie überzeugt war und bin", sagt Gerke. Der bekannte Professor und der Mittelständler mit dem zweifelhaften Ruf - niemand weiß präzise, wann diese ungewöhnliche Liaison begann. Glaubt man Hannes Kuhn, sind er und Gerke alte Bekannte. "Ich habe eine persönliche Beziehung zu Herrn Gerke, den ich seit vielen Jahren kenne, als ich mein Diplom als Diplomkaufmann gemacht habe", sagte Kuhn bei der Hauptversammlung von Solar Millennium im Mai 2011. Gerke bestreitet dies vehement.

Kuhn ist einer der Gründer von Solar Millennium und war bis kurz vor der Insolvenz dort einflussreicher Aufsichtsrat. Gegen den Steuerberater laufen allerhand Ermittlungsverfahren; schwere Vorwürfe wie Insiderhandel mit Solar-Millennium-Aktien stehen im Raum. In anderem Zusammenhang hat ihn die Staatsanwaltschaft wegen schwerem Betrug angeklagt. Kuhn weist alle Vorwürfe zurück.

Wolfgang Gerke sagt, er sei über Kuhns Geschäfte, die Ermittlungen, die Ungereimtheiten nie informiert gewesen. 2005 trat er als Gastredner bei der Hauptversammlung zum ersten Mal bei Solar Millennium auf. Fortan wurde der Kontakt immer enger und es blieb nicht beim einfachen Fachvortrag. Als 2010 die Firma Solar Millennium Invest (SMI) gegründet wurde, saß der Bankenprofessor plötzlich als Teilhaber im Boot. Die SMI sollte für die Muttergesellschaft Solar Millennium AG Unternehmensanleihen, Genussrechte und Fondsanteile an Anleger verkaufen. Er habe die SMI mit aufgebaut, sagt Gerke.

Der prominente Professor aus dem Fernsehen sollte ein Aushängeschild sein, das Anlegern Seriosität suggerierte. Vor allem aber sollte Gerke dem Mittelständler Solar Millennium die Tür zur ganz großen Finanzwelt aufstoßen. Zu institutionellen Investoren, Pensionskassen, der Münchner Rück, Allianz. Geklappt hat das nie.

Wolfgang Gerke war jedoch mehr als nur ein Werbeträger von Solar Millennium. Er stieg selbst als Investor bei SMI ein. Allerdings nicht als Privatperson. Vielmehr übernahm seine Firma Audire 45 Prozent der Anteile an SMI. Das ist allein deshalb erstaunlich, weil die Audire zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich selbst längst aus dem letzten Loch pfiff. Beim missglückten Investment in eine Akustik-Technologiefirma namens Castel hatte Bankenprofessor Gerke mit seiner Audire gewaltig Schiffbruch erlitten und 1,4 Millionen Euro verloren. Die Firma schleppte sie als Verbindlichkeiten mit, die nicht durch Eigenkapital gedeckt wurden.

"Das ist nicht gerade der Inbegriff der bilanziellen Solidität", spottete ein Solar-Millennium-Aktionär auf der Hauptversammlung. Nicht nur er wunderte sich, weshalb eine Firma wie SMI, die ausgerechnet im Investmentgeschäft groß herauskommen will, sich selbst einen mittellosen Teilhaber ins Boot holt.

Auch hier führen Spuren zu Hannes Kuhn, dem Strippenzieher bei Solar Millennium. Dessen langjährige Steuerberatungsfirma Balance betreute auch die Audire GmbH. Beide Firmen residierten früher unter derselben Adresse. Zwei Balance-Mitarbeiter fungierten zeitweise sogar als Geschäftsführer von Audire. Kuhn befürwortete bei Solar Millennium nachhaltig das Engagement Gerkes bei SMI. Und er sicherte dieses mit einem Kredit ab. Denn Gerke stieg mit seiner Audire bei SMI ein, ohne für die 45 Prozent der Anteile tatsächlich Geld zu bezahlen. Seine Einlage übernahm vielmehr die SMI-Muttergesellschaft Solar Millennium AG.

Ein Vorschuss - wofür?

"Es wurden 500.000 Euro an Professor Gerke als Vorschuss auf Provisionen gezahlt und auf die Einlage voll angerechnet", gestand der inzwischen ausgeschiedene Solar-Millennium-Vorstandschef Christoph Wolff kritischen Aktionären ein. "Den Restbetrag von 275.000 Euro hat die Solar Millennium AG der Audire als Darlehen zur Verfügung gestellt." Ein Vorschuss also. Nur - wofür?

Wolfgang Gerke warb in seiner Zeit bei SMI keinen einzigen institutionellen Investor an. Das räumt er selbst ein, sieht die Verantwortung dafür jedoch bei anderen. "Ich wurde durch die Wirren bei Solar Millennium zwischen Aufsichtsrat und Vorstand gezielt an der Arbeit gehindert, von Informationen ferngehalten und in Misskredit gebracht", behauptet er. Statt sich um umweltfreundliche Energietechnik zu kümmern, hätten sich Vorstände und Aufsichtsräte "ihren internen Intrigen" gewidmet. Und er sei mit einem Businessplan angelockt worden, demzufolge sein SMI-Anteil binnen zwei, drei Jahren ein Vielfaches, nämlich bis zu sechs Millionen Euro, wert gewesen wäre. "Dieser Businessplan hat hinten und vorne nicht gestimmt und sich als Wolkenkuckucksheim erwiesen", sagt Gerke.

Wurde der Finanzprofessor also das Opfer seiner eigenen Gier? Er selbst fühlt sich hereingelegt. Der ehemalige Solar-Millennium-Vorstand Thomas Mayer fällt jedoch ein kühles Urteil über den Professor. Wolfgang Gerke habe für die SMI kaum mehr getan als seine Visitenkarten verteilt. "Sein Beitrag für das Unternehmen war nicht messbar", sagte Mayer auf SZ-Anfrage.

Am Ende wurde der umtriebige Professor dennoch fürstlich entlohnt. Ende August 2011 zog sich Gerke mit seiner Audire aus der SMI zurück. Ihr 45-Prozent-Anteil ging an die Solar Millennium AG. Zudem schlossen er und der damalige Vorstandschef der Solar Millennium AG, Christoph Wolff, einen Vergleich, über den striktes Stillschweigen vereinbart wurde. Gerke kassierte eine Art Abfindung in Höhe von 400 000 Euro. Gerke mag die Summe nicht bestätigen. Nur so viel: Hätte man sich nicht verglichen, hätte er Solar Millennium eine Millionenklage präsentiert.

Doch auch sein Abschied geriet merkwürdig. Bis heute gehört Wolfgang Gerke dem Aufsichtsrat von SMI an. Und SMI wirbt mit ihm noch immer für Anlagen bei Solar Millennium. Auf der Internetseite von SMI findet sich ein auffällig platziertes Interview mit vielen guten Ratschlägen des Professors. Er rühmt die "zukunftsträchtige Technologie", lobt speziell einen Fonds für sein "Alleinstellungsmerkmal" und preist den "richtigen Weg" der Skandalfirma in der Anlagepolitik. Viele gute Ratschläge, ausdrücklich vor dem Hintergrund der Finanzkrise. Und guter Rat ist bekanntlich teuer.

© SZ vom 17.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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