Gerichtstermin:Zweifel an der Nachrüstung

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Die Umwelthilfe will vor Gericht ein Fahrverbot durchsetzen. Nächste Woche soll das Urteil fallen.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

"Wer ist die Autoindustrie?", fragt Richter Wolfgang Kern mit einem Anflug von Ungeduld. Spätestens in diesem Moment zeichnet sich am Mittwoch vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht ab: Die Nachrüstung von alten Diesel-Pkw, wie sie "die Autoindustrie" angekündigt hat, taugt vor Gericht derzeit nicht dazu, Fahrverbote in deutschen Innenstädten abzuwenden. Weder gibt es eine verbindliche Zusage der Industrie, die in Deutschland von zwei Verbänden vertreten wird. Noch liegen gesicherte Erkenntnisse darüber vor, wann die Nachrüstung beginnt und was sie wirklich bringt.

In Stuttgart werden die Grenzwerte für Stickoxide deutlich verfehlt

"Eine Luftnummer", nennt das Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. In 16 deutschen Städten will sie gerichtlich Fahrverbote durchsetzen, damit die Luft besser wird. Stuttgart ist dafür ein besonderes Pflaster: In der Autostadt werden die Grenzwerte für Stickoxid am weitesten verfehlt. Resch fordert, dass alle Diesel aus Stuttgart ausgesperrt werden.

Sein Urteil wird Richter Kern erst Ende nächster Woche verkünden. Aber nach der sechsstündigen Verhandlung an diesem Mittwoch wäre es keine Überraschung, sollte er das Land Baden-Württemberg zu Fahrverboten in Stuttgart vom 1. Januar 2018 an verpflichten. Von den Fahrverbotsplänen, die Landesverkehrsminister Winfried Hermann ursprünglich erarbeiten ließ, war die grün-schwarze Regierung in ihrem Luftreinhalteplan vorläufig abgerückt. Zum einen hatte Bundesminister Alexander Dobrindt das von Hermann vorgelegte Modell aus rechtlichen Gründen verworfen. Zum anderen setzt die schwarz-grüne Regierung auch mit Blick auf die Bundestagswahl lieber auf die Nachrüstung.

Die Gutachterin der Landesregierung ging davon aus, dass 50 Prozent der Euro-5-Diesel-Fahrzeuge nachgerüstet werden, und dass sich dadurch die Stickoxid-Emission dieser Fahrzeuge halbieren lässt. Eine Annahme, die Experten für sehr optimistisch halten. Hochgerechnet auf die Messstelle am Neckartor in Stuttgart, dem Ort in Deutschland, an dem die Grenzwerte für Stickoxide am deutlichsten überschritten werden, würde sich demnach eine Senkung der Schadstoffwerte um neun Prozent ergeben. "Das ist natürlich nicht sehr viel", sagte Richter Kern. Mehrmals fragte er nach, was die Landesregierung als "Erfolg" einer Nachrüstung definiere. Antwort: Sie müsse den gleichen Effekt haben wie die ursprünglich ins Auge gefassten Verkehrsbeschränkungen. Die Landesregierung verlange verbindliche Zusagen der Industrie bis Ende 2017.

Von 2020 an will die Landesregierung die Grenzwerte einhalten, die Umwelthilfe strebt dieses Ziel 2018 an. Für Verwunderung sorgte, dass das Land alle Fahrverbote wegen unerwünschter "Verkehrsverlagerungen" infrage stellte. In einem Vergleich hat sich die Regierung vergangenes Jahr verpflichtet, den Verkehr am Neckartor zum 1. Januar 2018 um 20 Prozent zu reduzieren; auch dafür gibt es noch keinen Plan. Unverhohlen sagte Richter Kern den Vertretern des Landes: Er wisse, dass Fahrverbote politisch nicht erwünscht seien, "und Sie müssen nun juristische Gründe dafür suchen".

© SZ vom 20.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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