Gerichtsprozess:Ein Mann, eine Vision

Prozessbeginn gegen Ex-Conergy-Manager

Bilanzvorschriften, wer macht die überhaupt? Hans-Martin Rüter vor Gericht.

(Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Bilanzvorschriften, wer macht die überhaupt? Hans-Martin Rüter, der frühere Chef des Solarunternehmens Conergy, steht vor Gericht.

Von Angelika Slavik

Hans-Martin Rüter ist ein demonstrativ gut gelaunter Mann an diesem Mittwochmorgen. Federnd kommt er den Flur entlang, fast schon beschwingt. Er bleibt kurz stehen und lächelt in die Kameras. Gebräunter Teint, hervorragender Anzug. Dann sagt er "danke" zu den Fotografen, tänzelt die Stufen hinauf und verschwindet hinter der Tür von Sitzungssaal 337 des Hamburger Landgerichts. Es ist der Prozessauftakt. Und Hans-Martin Rüter, 49, ist der Beschuldigte.

Sieben Jahre ist es her, seit die von Rüter gegründete Solarfirma Conergy in arge Turbulenzen geriet und Rüter in der Folge seinen Job als Vorstandsvorsitzender aufgeben musste. Solartechnologie habe ihn "von Anfang an fasziniert", wird er später vor Gericht sagen. Er wird schildern, wie er praktisch aus dem Nichts einen Millionenkonzern aufgebaut habe, nur mit der Kraft seiner Vision. Wie er ein sicheres, privilegiertes Leben als Unternehmensberater aufgegeben habe, um seinem Traum zu folgen. Rüter ist selbst auch einer, der andere faszinieren kann, immer noch.

Der Text des Staatsanwalts klingt da schon wesentlich nüchterner. Er wirft Rüter ebenso wie drei weiteren ehemaligen Managern von Conergy Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Insiderhandel vor: Neben dem Firmengründer Rüter müssen sich auch der einstige Aufsichtsratschef Dieter Ammer, 64, der frühere Projektvorstand Nikolaus Krane, 49, und der ehemalige Finanzvorstand Heiko Piossek, 49, vor Gericht verantworten.

Bilanzfälschung also. Wie konnte es so weit kommen? Die Staatsanwaltschaft zeichnet das Bild eines Unternehmens, das wegen eines ungeschickten Managements die Gewinnerwartungen von Anlegern und Banken im Jahr 2006 nicht mehr habe erfüllen können. Welches fürchtete, das Vertrauen der Investoren zu verlieren und deshalb in noch schlimmere finanzielle Nöte zu geraten. Und das deshalb anfing zu tricksen: die Gewinne von ausländischen Tochtergesellschaften seien nicht korrekt bilanziert worden, die vorgeschriebene Mitteilung über zu erwartende Verluste sei nicht erfolgt, maßgebliche Informationen - wie etwa, dass man einen Headhunter mit der Suche nach einem neuen Finanzvorstand beauftragt habe - seien der Öffentlichkeit vorenthalten worden. Stattdessen hätten die Manager von ihrem Insiderwissen profitiert und in großem Umfang Aktien des Unternehmens verkauft, im Wert von mehreren Millionen Euro. Hätte die Öffentlichkeit den gleichen Informationsstand gehabt wie die Manager, wäre der Kurs ungleich niedriger gewesen, die Aktienpakete hätten also weitaus weniger Geld eingebracht, argumentiert die Staatsanwaltschaft.

Die Beschuldigten wollen das nicht auf sich sitzen lassen, alle vier weisen die Vorwürfe zurück. Bevor Rüter dran ist und seine Lebensleistung darlegen darf, macht dessen Anwalt allerdings noch ein richtig großes Fass auf: Er habe da noch einen Antrag, sagt Klaus G. Walter, und dann verlangt er vom Gericht die Erteilung eines sogenannten rechtlichen Hinweises. Es dauert eine Stunde, bis Anwalt Walter seine Argumentation vorgebracht hat, viele trockene Worte, viele Abkürzungen, viele Paragrafen - aber der Inhalt hat es in sich: Er verstünde nicht, auf welcher rechtlichen Grundlage man seinem Mandanten Bilanzfälschung vorwerfe, argumentiert Walter sinngemäß. Denn für die Bilanzrichtlinien nach dem IFRS-Standard (IFRS steht für International Financial Reporting Standards, also internationale Bilanzierungsvorschriften), denen der Jahresabschluss 2006 von Conergy nicht genügt haben soll, gebe es in Wahrheit in Deutschland gar keine rechtliche Grundlage. Ja, sie seien sogar verfassungswidrig. Kernpunkt dieser These: Das Gremium, das diese IFRS-Regeln entwickle, sei eine rein private Institution und in keiner Weise demokratisch legitimiert. Deshalb sei die Umsetzung dieser Regeln weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene zulässig. Wenn sich Anwalt Walter und sein Mandant mit dieser Argumentation durchsetzen, wären das wohl gute Nachrichten für viele Angeklagte in ganz Europa.

Der rechtliche Hinweis bleibt vorerst aus, das Gericht muss erst Akten wälzen. Bis dahin darf Hans-Martin Rüter nun also erzählen, wie er einst auf lokalen Wochenmärkten um Kunden geworben habe. Wie er Flyer verteilt habe "aus meinem Rucksack" und wie er "in Ermangelung einer Garage" die Firma in seinem Wohnzimmer aufgebaut habe. Wie die Firma aufstieg und plötzlich, nach Rüters Argumentation praktisch ohne eigenes Verschulden, in Not geriet. Der nächste Verhandlungstag ist am Freitag.

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