Gerhard Cromme räumt mal wieder auf:Vom Stahl die Härte

Gedrängt hat er sich nicht danach, Siemens aus der Führungskrise zu holen, doch jetzt will er den Job durchziehen. Denn schließlich lautet einer der Grundsätze des neuen Siemens-Aufsichtsratschefs: "Ich bin keiner, der wegläuft''.

Karl-Heinz Büschemann

Wer Gerhard Cromme von seiner neuen Aufgabe abhalten will, braucht schon die Statur eines Berthold Beitz. Der 93-jährige Chef des Hauses Krupp, der sich noch immer täglich in sein Büro in der Essener Villa Hügel begibt, wollte endlich selbst hören, was sein Mitarbeiter Cromme neuerdings bei Siemens in München zu schaffen habe.

Folgsam sprang Cromme, der im Hauptberuf Aufsichtsratsvorsitzender von Thyssen-Krupp ist, am vergangenen Freitagvormittag in den Firmenjet, um der Grauen Eminenz von Krupp artig Bericht zu erstatten. Mittags war er wieder zurück in München. Die Arbeit bei Siemens duldet nur wenige Pausen.

Dass er als neuer Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens zur zentralen Figur in dem verzweigten Konzern mit seinen 480.000 Mitarbeitern werden könnte, war dem 64-jährigen Cromme selbst erst vor zwei Wochen richtig klar geworden.

"Nicht um den Posten beworben''

Aber da hat er erst einmal erklärt, er wolle den Posten nicht. Sicherheitshalber. Das sollte mehr sagen: ,,Ich habe mich nicht um den Posten beworben.'' Doch sein Leben als Teilzeitrentner ist erst einmal wieder vorbei, seit er am vergangenen Mittwoch auf diesen Posten gewählt worden ist.

Cromme hatte 2001 den Chefposten beim Düsseldorfer Stahl- und Maschinenbaukonzern Thyssen-Krupp gegen den ruhigeren Sessel des Aufsichtsratsvorsitzenden getauscht, und er hat es seitdem langsamer angehen lassen.

Auch am langen Wochenende vom 1.Mai hättte er Besseres vorgehabt, als in München im Hotel herumzuhängen und Gespräche über Siemens zu führen. Lieber wäre er mit seiner Frau in seine Wohnung in Südfrankreich gefahren. Doch wie es aussieht, wird er auch in den nächsten Wochen vornehmlich an der Isar sein.

An dem 1,94-Meter-Mann geht nichts mehr vorbei

An dem 1,94-Meter-Mann von der Ruhr geht im Siemens-Konzern, der tief in gleich zwei Korruptionsaffären steckt, nichts mehr vorbei.

Aufsichtsratsvorsitzender Heinrich von Pierer ist zurückgetreten, Konzernchef Klaus Kleinfeld geht spätestens Ende September. Und wenn einer die Verantwortung dafür trägt, dass Deutschlands wichtigste Industrieadresse im Moment praktisch kopflos ist, ist es wohl Gerhard Cromme.

Der Mann von Thyssen-Krupp will einen Neuanfang bei Siemens, der bisher nicht denkbar war. Der Widerstand im Management gegen einen, der von außen kommt, war zu stark. Cromme setzte sich durch, und die Abendzeitung sprach in dicken Lettern bereits vom großen Zittern bei Siemens vor ,,Mr. Gnadenlos''.

Wenn einer erster Mann bei Siemens wird, der den Konzern von innen nicht kennt, muss Einiges schief gelaufen sein. Das gab es in der 160-jährigen Firmengeschichte noch nie.

Ein Manager anderen Typs

Vor zwei Jahren war ein Neuer an die Spitze gekommen, Klaus Kleinfeld galt als Manager anderen Typs. Der langjährige Konzernherr Pierer war mit 64 Jahren in der Konzernzentrale am Wittelsbacher Platz in München nur ein Büro weiter gezogen und Aufsichtsratschef geworden. So war das immer bei Siemens.

Für Cromme war keine besondere Rolle vorgesehen. Er war 2003 in den Siemens-Aufsichtsrat gekommen. Nichts Ungewöhnliches in der Deutschland AG: Sitzt einer von Siemens bei Thyssen-Krupp im Aufsichtsrat, so macht man es auch umgekehrt.

Der Mann, der in den Kriegswirren im oldenburgischen Vechta geboren wurde und im westfälischen Münster aufwuchs, ist schwer einzuschätzen. Er zeigt wenig Emotion. In Gesprächsrunden sitzt er meist mit geschürztem Mund oder schaut ernst vor sich auf den Tisch. Selten sieht man ihn lachen. Humor ist seine Sache offenbar nicht.

Vom Stahl die Härte

Man möchte den Mann auch nicht gern zum Gegner haben. Auch bei Siemens haben sich manche in Cromme, der sehr freundlich sein kann, gründlich verschätzt. Zum Beispiel Klaus Kleinfeld. Er und seine Verbündeten waren sich sicher, dass sie ,,den Ruhrbaron'', wie sie ihn nannten, an der Spitze des Siemens-Aufsichtsrates verhindern könnten. Das klappte nicht. Cromme gewann den Machtkampf.

Besonders übel soll Cromme aufgestoßen sein, dass Kleinfeld versucht haben soll, ihn unter Druck zu setzen, um im Amt bleiben zu können. Druck mag Cromme nur, solange er ihn selbst ausübt.

Ein besonders harter Hund

Nicht umsonst geht ihm der Ruf voraus, ein besonders harter Hund zu sein. Den hat er sich verdient. Cromme gehört in der deutschen Wirtschaft zu den einflussreichsten Figuren. Er hat Dinge gemacht, die vor ihm keiner wagte, und er gibt nur selten nach. ,,Wenn ich von einer Sache überzeugt bin, dann bringe ich sie zu Ende'', sagt er.

Aber warum tut sich einer, der bei Thyssen-Krupp die Chance hat, zum Nachfolger des großen Berthold Beitz in der Krupp-Stiftung zu werden, diesen Job bei Siemens an? Schließlich kann er in den Fallstricken des komplizierten Konzerns leicht ins Straucheln geraten. Zudem bekommt er für die Aufgabe im Jahr nur 270.000 Euro.

Für einen wie Cromme ist das ein Verlustgeschäft, denn er muss vier bis fünf andere Aufsichtsratsmandate aufgeben, um Zeit für den Münchner Job zu haben. Die Sache mache ihm aber Spaß, erklärt er. Außerdem, so sagt er vor Vertrauten im breitesten Westfälisch, sei er keiner, ,,der wechläuft''.

Schonungslosere Aufklärung als manchem lieb ist

Cromme will es also noch einmal wissen. Er lässt erkennen, dass er für Siemens einen Plan hat. Der ist im Detail nicht fertig. Aber am Ende werden die Korruptionsaffären schonungsloser aufgeklärt sein, als es manchem bei Siemens lieb ist. ,,Bei Siemens gibt es viele, die sich gegenseitig schützen und verhindern wollen, dass das aufgeklärt wird'', klagt er vor Vertrauten.

Der Konzern wird auch anders aussehen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der Neue den zehnköpfigen Zentralvorstand, der über allen Geschäftsbereichen thront, auflösen oder verkleinern wird. ,,Es kann doch nicht sein, dass da Heerscharen von Vorständen herumlaufen und keiner für irgendetwas verantwortlich ist'', zitiert ein Insider eine Erkenntnis des Neuen.

Kampf um Rheinhausen

Der Sturkopf wurde in der Republik erstmals berühmt als junger Chef von Krupp-Stahl in Bochum. In der Stahlkrise der achtziger Jahre beschloss Cromme, das Stahlwerk in Duisburg-Rheinhausen mit mehr als 5000 Beschäftigten dicht zu machen.

Die Republik tobte. Die wütenden Stahlwerker blockierten Straßen und Brücken. Mahnwachen zogen vor Crommes Wohnhaus im Essener Süden, Fernsehteams belagerten die Schulen seiner Kinder. Die Familie wurde vorübergehend nach Frankreich ,,ausgelagert'', so drückt er es selbst aus. Cromme war der Finsterling der Republik. Er hat sich durchgesetzt. Er sagt: ,,Ich war überzeugt, dass mein Weg richtig ist.''

1992 arrangierte er die erste feindliche Übernahme in Deutschland: Krupp-Stahl kaufte den Dortmunder Konkurrenten Hoesch gegen den Willen von dessen Management. Auch hier siegt Cromme. Tausende bei Hoesch verloren ihre Jobs, und nur ein paar Jahre später inszenierte der Manager den schwersten Machtkampf, der an der Ruhr je stattfand. Er war inzwischen Konzernchef von Krupp. Sein Plan: Die feindliche Übernahme von Thyssen. Ein Wahnsinn.

"Wildwestmanieren"

Der schwächliche Krupp-Konzern vergriff sich im Frühjahr 1997 an der viel größeren Thyssen AG. Thyssen-Chef Dieter Vogel warf Cromme ,,Wildwestmanieren'' vor. Arbeiter demonstrierten, Politiker waren fassungslos. Die Bild-Zeitung schrieb: ,,Herr Cromme, wollen Sie unser Land anzünden?'' Was tut Cromme? Er gibt nach. Für ein paar Monate. Dann hatte er seine Fusion.

Cromme sagt daher, dass er im richtigen Moment flexibel sein kann: ,,Ich weiß, wann ich die Fünf gerade sein lassen muss.'' Sein unterlegener Gegenspieler Dieter Vogel aber wurde vertrieben. Er durfte nicht einmal Co-Chef im neuen Unternehmen werden.

Cromme ist ein Alpha-Tier. Er will immer siegen. Dabei war ihm die Industriekarriere nicht in die Wiege gelegt. Der Vater war Lehrer für Latein und Griechisch. Brav lernt der Sohn die alten Sprachen. Aber er will mehr: Chef sein.

Vom Stahl die Härte

Er studiert Jura und Volkswirtschaft, nicht nur im heimischen Münster, sondern schön elitär auch in Lausanne und Harvard. Seinen Aufstieg als junger Manager macht er in dem französischen Mischkonzern St.Gobain. Seine Liebe zu Frankreich, auch dass er sehr gut Französisch spricht, bewirkt, dass er in dem Unternehmen nie am Rande steht.

Doch als er mit 43 das Angebot bekommt, in Paris stellvertretender Generaldirektor zu werden, lehnt er ab. Er entscheidet sich für Bochum. ,,Ich wollte Chef werden.'' Das ging bei St. Gobain nicht. Sein Vorgesetzter war nur zwei Jahre älter. Er wurde Vorstandsvorsitzender bei der Stahl-Tochter von Krupp. Keine drei Jahre später saß er an der Spitze von Krupp in Essen.

Einen Narren am langen Kerl gefressen

Berthold Beitz, Testamentsvollstrecker des letzten Krupp-Familienmitglieds, hatte an dem langen Kerl einen Narren gefressen.

Cromme gibt wenig Einblick in sein persönliches Leben. Ja, er spielt Golf. Das das tun viele Manager. Aber er bekennt: ,,Ich spiele schlecht.'' Das geben nur wenige zu.

Er verbringt viel Zeit in Südfrankreich. Dort macht er auch mal eine Walking-Runde, um fit zu bleiben. Er lese viel, sagt er, vor allem Zeitungen und Zeitschriften. Nicht den Nachrichtenkram. Der Mann, der stolz ist auf seine internationale Erfahrung, will anderes wissen, Dinge wie: ,,Wie werden wir vom Ausland gesehen?''

Zweite Karriere

Das könnte erklären, warum er eine zweite Karriere machte. Als er längst den Chefposten bei Thyssen-Krupp abgegeben hatte, wurde Cromme Leitfigur für gute Unternehmensführung.

Der damalige Bundeskanzler Schröder gab ihm 2001 den Auftrag, die Regierungskommission ,,Corporate Governance'' zu leiten, die deutsche Führungsprinzipien auf internationales Niveau heben sollte. ,,Die brauchten einen, der Ahnung hat'', sagt Cromme wenig bescheiden.

Seitdem hat er ein paar Feinde mehr. Diesmal aber auf Seiten seiner Manager-Kollegen. Denn er nervt die Unternehmenschefs mit neuen Regeln, die nicht allen passen. So fordert der ,,Cromme-Kodex'', dass Gehälter deutscher Konzernchefs individuell veröffentlicht werden sollten. Das brachte ihm manchen Vorwurf ein: ,,Der will sozialistische Verhältnisse bei den Vorständen'', wetterte etwa Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, der zu den Bestverdienern der Republik zählt - und zu den größten Kritikern Crommes. Provinziell sei das, antwortet der: ,,Da kann ich nur lachen.''

Deutscher Papst der Unternehmensführung

Seitdem er der deutsche Papst der Unternehmensführung ist, handelte sich Cromme bei Managern und Medien den Vorwurf der Heuchelei ein. Sein Kodex sieht auch vor, dass Unternehmenschefs nach Eintritt ins Rentenalter nicht Anführer des Aufsichtsrates werden sollten. Es sei nicht gut, wenn der Ex-Chef seinen Nachfolgern ins Handwerk pfuschen könne.

Dass Cromme genau diesen Fehltritt bei Thyssen-Krupp beging, schiebt er lässig beiseite. ,,Als ich in den Aufsichtsrat ging, gab es diese Vorschrift noch nicht.'' Widerstand ist zwecklos. Cromme denkt nicht daran, sich dem eigenen Verhaltenskanon zu unterwerfen.

Auch bei Siemens scheint es ihn nicht zu beeindrucken, dass er zunehmend unter Druck gerät. Er habe die beiden obersten Siemens-Chefs abgesägt, aber keinen Ersatz zu bieten, wird ihm entgegengehalten.

Vertrackte Lage

Die Lage ist für ihn vertrackt: Er braucht einen Nachfolger für Kleinfeld, und er braucht ihn schnell. Doch gute Leute sind nicht einfach zu finden. Einen hatte er schon an der Angel: Linde-Chef Wolfgang Reitzle. Einer hat allerdings zu früh geplaudert, Reitzle sagte ab.

Cromme muss seitdem mit dem Makel leben, erst die halbe Arbeit geleistet zu haben. Immerhin lässt er ausrichten, es gebe Kandidaten: ,,Ich habe einen im Kopf.''

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